Diebstahl:Der Banana-Trick

Wird an Kassen mit Selbstbedienung mehr geklaut? Und wie oft tauschen Kunden ein teures Etikett gegen das einer günstigeren Ware?

Von Jan Schwenkenbecher

Viermal innerhalb eines Monats packte ein 58-jähriger Herr eine Portion Kalbsleber in einem Münchner Supermarkt in eine Obsttüte, um so an der Selbstbedienungskasse den Endpreis zu drücken. Dreimal kam er davon. Weil der Mann im Monat über 24 000 Euro verdient, musste er nun für die vier Stücke Kalbsleber, deren Wert zwischen 13 und 47 Euro rangierte, insgesamt 208 000 Euro Strafe zahlen. Motive für seine Tat konnte der Kalbsleber-Dieb nicht nennen. War ihm fad? Muss für SB-Kassen die volkstümliche Annahme gelten, dass Gelegenheit Diebe macht?

Glaubt man einer Umfrage von Voucher Codes Pro - einer britischen Webseite, die Gutscheine und Rabatt-Codes zum Download bereitstellt - hat jeder fünfte schon mal an einer SB-Kasse geklaut. Im Netz findet sich gar ein eigenes Glossar für verschiedene Diebstahl-Varianten. Es gibt den "Banana-Trick", bei dem der Dieb die teuren Bio-Fairtrade-Bananen mit dem Label der günstigeren Variante etikettiert. Schmuggelt er etwas an der Waage der Kasse vorbei, macht er einen "pass around". Und klebt jemand das Etikett von 500 Gramm Salz auf das Pfund Kaffee, ist das ein "switcheroo". Gibt es tatsächlich Menschen, die aus Langeweile klauen? Ein kleiner Kick im sonst stets gleichförmig dahinplätschernden Alltag?

"Man muss da ein bisschen aufpassen, dass man nicht von einer kleinen Gruppe verallgemeinert", sagt Martin Rettenberger, Rechtspsychologe und Leiter der Kriminologischen Zentralstelle. Dieses "Sensation Seeking", das Streben nach intensiven Empfindungen, überlappe mit anderen Persönlichkeitsmerkmalen. Die Suche nach dem Kick spielt zum Beispiel bei der Jugendkriminalität eine gewisse Rolle. Ansonsten taucht Nervenkitzel als Motiv gelegentlich bei einer antisozialen Persönlichkeitsstörung auf. Allerdings gilt hierbei: "Die Gruppe der klassisch Dissozialen ist allgemein kriminell. Die stellen alles Mögliche an und lassen dann natürlich auch mal im Laden etwas mitgehen", sagt Rettenberger. Zudem sei die Gruppe der Menschen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung eher klein.

Es gibt nicht viele Studien, die untersuchen, ob an SB-Kassen mehr geklaut wird als sonst. Eine der wenigen stammt aus dem Jahr 2011 von der Universität Leicester. Anhand der Daten von sechs großen Einzelhandelsketten zeigten die Ergebnisse, dass in Läden, in denen Kunden selbst bezahlen, nicht mehr gestohlen wird. Fragt man bei deutschen Supermarktketten nach, scheint Diebstahl an SB-Kassen kein Problem zu sein. Bei Rewe nicht, bei Kaufland nicht, und auch bei Real nicht, wo solche Kassen schon seit 2002 im Einsatz sind. Real-Pressesprecher Markus Jablonski sagt: "Wir haben uns die Frage schon 2002 gestellt. Nach einem Jahr haben wir festgestellt, dass nicht mehr geklaut wird. Wenn das ein Problem wäre, hätten wir das zurückgebaut." Macht die Gelegenheit also doch keine Diebe? "Wir wissen", sagt Psychologe Rettenberger, "dass die Wahrscheinlichkeit aufgedeckt zu werden, ganz entscheidend dazu beiträgt, ob Menschen kriminell werden." Auch bei SB-Kassen wuseln Mitarbeiter zwischen den Geräten umher. Sie helfen den Kunden, das grüne Dingsda aus dem Korb als Chicorée zu klassifizieren und den dazugehörigen Knopf zu finden. Nebendran stehen Kassierer an herkömmlichen Kassen, die es immer noch gibt. Kameras hängen an der Decke. Der Kassenbereich ist keine menschenleere Zone, in der die anarchischen Ausbrüche des Feierabend-Einkäufers unbeobachtet blieben. Und selbst wenn dem so wäre, gilt als wichtigster Punkt: "Die meisten Menschen klauen nicht", sagt Rettenberger.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: