Diabetes Typ II:Blutzuckermessung oft unnötig

Diabetiker, die sich kein Insulin spritzen, können auf die tägliche Selbstkontrollen ihres Blutzuckers verzichten, berichten Ärzte der Universität Oxford. Betroffen ist davon auch die Mehrzahl der sechs Millionen Diabetiker in Deutschland.

Werner Bartens

Diabetiker, die sich kein Insulin spritzen müssen, können getrost auf die tägliche Selbstkontrolle ihres Blutzuckers verzichten. Zu diesem Ergebnis kommen Ärzte der Universitäten Oxford und Londonderry im British Medical Journal (online) in zwei Studien.

Diabetes Typ II: Wissenschaftler zweifeln am Sinn täglicher Blutzuckermessungen.

Wissenschaftler zweifeln am Sinn täglicher Blutzuckermessungen.

(Foto: Foto: AP)

"Auf Lebensqualität und Gesundheit der Leute wirkt sich die regelmäßige Messung nicht positiv aus", sagt Judit Simon, Hauptautorin einer Untersuchung. "Die Routine-Bestimmungen sind teuer und dämpfen zudem die Lebensqualität der Menschen."

Die Zuckerkrankheit wird in wohlhabenden Ländern häufiger. Vor zehn Jahren nahmen Ärzte an, dass vier bis fünf Millionen Menschen in Deutschland von Diabetes betroffen sind, davon 90 Prozent vom als Alterszucker bezeichneten Typ II. Inzwischen vermuten Mediziner, dass es fünf bis sechs Millionen Diabetiker in Deutschland gibt, Tendenz steigend.

Um Folgeleiden wie Nierenversagen, Gefäßverschluss und Erblindung zu verhindern oder hinauszuzögern, wird auch Typ-II-Diabetikern, die nicht Insulin spritzen, von manchen Ärzten und Fachverbänden geraten, den Blutzucker mehrmals täglich zu kontrollieren.

Nach Untersuchungen der britischen Ärzte ist dieser Rat unsinnig. Die Mediziner hatten fast 500 Typ-II-Diabetiker zwei Jahre lang untersucht und in drei Gruppen eingeteilt. Ein Teil der Patienten ging nur bei Beschwerden und Routinebesuchen zum Arzt, die anderen beiden Gruppen maßen ihren Blutzucker täglich und ließen sich Werte und Verhaltensvorgaben von ihrem Arzt erklären oder erlernten selbst, was sie bei welchen Werten zu tun hatten.

Häufiger depressiv

Am Ende der Beobachtungsphase ging es den Diabetikern, die regelmäßig Blutzucker gemessen hatten, jedoch keineswegs besser als der Gruppe, die nicht ständig kontrollierte. Weder war der Blutzucker besser eingestellt, noch die Lebenszufriedenheit größer - im Gegenteil: Patienten, die immer wieder ihren Blutzucker bestimmten, waren sogar häufiger depressiv.

Zudem war die Selbstmessung im Mittel 90 Pfund (etwa 112 Euro) pro Jahr teurer. "Wenn ein Diabetiker sich nicht selbst kontrollieren will, ist seine Versorgung keinesfalls schlechter", sagt Maurice O'Keane, der die zweite Studie geleitet hat.

"Es gibt keinen Vorteil für Patienten", sagt Günther Egidi von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin. "Die Messung hat keine Konsequenzen." Es reiche, wenn Diabetiker regelmäßig zum Arzt gingen und stichprobenartig einmal pro Woche den Zucker im Urin testen ließen. "Hier geht es auch um kommerzielle Aspekte", vermutet Egidi, denn der tägliche Test werde von industrienahen Ärztegruppen empfohlen.

50 Blutzuckerteststreifen kosten etwa 35 Euro und werden mehrmals täglich verwendet. 100 Streifen für den Urintest sind hingegen für knapp zehn Euro zu haben und viel seltener nötig.

"Man sollte nur etwas messen, wenn man es auch ändern kann", sagt Martin Reincke, Diabetes-Experte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Sonst bekommen die Patienten eine Kontrollitis und verschwenden nur Geld."

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