Der Wert des Artenschutzes:Milliarden-Dollar-Bienen

Die Natur, unser Kapital: Was kostet es, wenn Ökosysteme aus dem Gleichgewicht geraten? Wie die Wissenschaft versucht, den Wert des Artenschutzes zu beziffern.

Jeanne Rubner

Was ist ein Tigerleben wert? Wie viel kostet es, wenn Korallenriffe sterben? Oder: Welcher Schaden entsteht Obstbauern, wenn es keine Bienen mehr gibt, die Apfelblüten befruchten?

Kirschblüte im Alten Land bei Lühe

Welcher Schaden entsteht Obstbauern, wenn es keine Bienen mehr gibt, die die Blüten befruchten? Der Wert von Bienen und anderer Tiere, die Pflanzen bestäuben, beläuft sich auf jährlich 150 Milliarden Dollar.

(Foto: dpa)

Sind das alles unsinnige Fragen? Nein, sagen Umweltökonomen - der Wert eines ausgeglichenen Ökosystems lässt sich durchaus berechnen, und ebenso lässt sich beziffern, was es kostet, wenn die Natur aus dem Gleichgewicht gerät.

Die bislang umfangreichste Kostenschätzung des Artenschutzes haben Forscher nun am Mittwoch in Nagoya vorgelegt. Im Auftrag der Vereinten Nationen (UN) haben weltweit 500 Experten zahlreiche Studien zusammengetragen, um den wirtschaftlichen Wert von Wäldern, Böden und Ozeanen zu ermitteln.

"The Economics of Ecosystems and Biodiversity" (die Ökonomie der Ökosysteme und Artenvielfalt), kurz TEEB, heißt das Mammut-Unterfangen, das im Auftrag der UN vor knapp drei Jahren begann und dessen Endbericht jetzt vorliegt. Geleitet hat die Meta-Studie Pavan Sukhdev, ein Ex-Banker aus Indien.

Demnach belaufen sich die Schäden, die Menschen an der Natur verursachen- indem sie Meere leerfischen, Äcker überdüngen und Wälder abholzen -, auf zwei bis 4,5 Billionen Dollar jährlich. Eine andere Untersuchung der UN kommt sogar auf die Schadensumme von 6,6 Billionen Dollar - das entspricht elf Prozent des globalen Bruttosozialprodukts.

Zugegeben: Das sind ziemlich krude Schätzungen der Folgen eines Raubbaus an der Natur, was schon die Spannbreite der Summen belegt. Der Grund für die große Unsicherheit liegt in der Komplexität von Ökosystemen.

Wenn eine Art verschwindet, sagt der Würzburger Ökologe Eduard Linsenmaier, dann wird damit auch das gesamte Ökosystem geschwächt, weil es weniger regenerierfähig und produktiv ist. Was aber bedeutet das genau? Es lässt sich schwerer bewerten, welche Folgen es hat, wenn Eisbären oder Tiger aussterben, als wenn wegen des Anstiegs des Meeresspiegels Inselstaaten überflutet werden.

Trotzdem hoffen Umweltschützer auf einen "Stern-Effekt" - dass sich beim Kampf für Artenvielfalt jetzt ein Durchstarten wie beim Klimaschutz einstellt: Als der britische Ökonom Nicholas Stern 2006 für die Regierung in London ausrechnete, was es kosten würde, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, beziehungsweise wie teuer es werden würde, nicht zu handeln, erregte er große Aufmerksamkeit. Und der Klimaschutz kam auf die politische Agenda.

In der TEEB-Studie haben die Fachleute einige für den Artenschutz besonders wichtige Punkte herausgearbeitet. Zum Beispiel den Verlust an Wald: Wenn bis 2050 mit derselben Geschwindigkeit wie bisher Bäume abgeholzt werden, dann verlöre die Menschheit ein Kapital von jährlich zwei Billionen Dollar. Oder die Überfischung: Der Wettbewerb zwischen hoch subventionierten und industrialisierten Fangflotten hat dazu geführt, dass Fischbestände schwinden. Auf lange Sicht profitiert davon niemand - vielmehr verringert sich das weltweite Einkommen durch Fischfang um 50 Milliarden Dollar jährlich.

Weitere Beispiele sind Insekten und Korallen: Der Wert von Bienen und anderer Tiere, die Pflanzen bestäuben, beläuft sich auf jährlich 150 Milliarden Dollar - was fast zehn Prozent des weltweiten Umsatzes der Lebensmittelproduktion für Menschen ausmacht. Allein in den USA büßten Farmer 2007 um die 15 Milliarden Dollar an Einkommen ein, weil ein großes Bienensterben die Ernten vernichtete.

Wertvoll sind auch Korallenriffe. Selbst wenn sie nur ein gutes Prozent des Kontinentalschelfs bedecken, beherbergen die Riffe zwischen ein und drei Millionen Arten, darunter mehr als ein Viertel aller Fische. 30 Millionen Küsten- und Inselbewohner sind auf Korallenriffe angewiesen, sie beziehen daraus ihre Nahrung und ihr Einkommen, was sich auf einen Dollarwert von schätzungsweise 30 bis 170 Milliarden jährlich beläuft.

Die ökonomische Bewertung von Natur könnte auch dazu führen, dass Unternehmen den Artenschutz in die Kosten der Produktion einberechnen müssen. Und wenn artenreiche Wälder oder Flüsse einen bezifferbaren Wert haben, kann auch das dazu beitragen, dass sie besser geschützt werden. In Mexiko etwa erprobt die Regierung seit einigen Jahren ein Bezahlsystem für Ökodienste in Wäldern. Die Folge: Es werden nur halb so viele Bäume wie früher gefällt. Weil die Bäume CO2 binden, spart man so einen Kohlendioxidausstoß von 3,2 Millionen Tonnen.

Mit den Tigern übrigens, so steht es im TEEB-Bericht, verspiele Indien ein riesiges Potential. Gab es 1900 noch etwa hunderttausend Tiere, so sind es inzwischen nur noch 1400. Dabei könnte der Tiger mehr Touristen nach Indien locken und dem Land Einkünfte bescheren. Zumindest Ruanda hat das mit den Berggorillas geschafft. Gorilla-Trecking bringt dem afrikanischen Land Einkünfte von jährlich zehn Millionen Dollar.

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