Das trockene Mittelmeer:Verstopfung bei Gibraltar

Vor sechs Millionen Jahren kam der Wasserzufluss aus dem Atlantik bei Gibraltar zum Erliegen. Das Mittelmeer trocknete aus. Und das nicht zum letzten Mal.

Axel Bojanowski

Es ist, geologisch gesehen, nicht lange her, da war das Mittelmeer verschwunden. Wo zuvor Wasser war, erstreckte sich eine karge Tiefebene. Ihr Grund war eine Salzwüste, vereinzelte Seen schimmerten darin.

Das trockene Mittelmeer: Das Bassin des heutigen Mittelmeers wird in zwei Millionen Jahren eine Salzwüste sein. Das Meer wird bis dahin erneut austrocknen, sagen Geologen.

Das Bassin des heutigen Mittelmeers wird in zwei Millionen Jahren eine Salzwüste sein. Das Meer wird bis dahin erneut austrocknen, sagen Geologen.

(Foto: Foto: Nasa)

Wie abgeschnittene Kegel ragten Hochplateaus hervor. Deren Gipfel bildeten heutige Inseln wie Mallorca, Korsika und Sardinien. Sie waren von karger Hochgebirgs-Vegetation bedeckt.

Die Mittelmeer-Küste fiel mehr als zwei Kilometer hinab. Tiefe Canyons durchschnitten die schroffen Hänge, in den Kerben stürzen Flüsse zu Tal. Terrassen zerklüfteten die Felsschrägen; auf ihnen standen vereinzelt Nadelwälder.

So sah die mediterrane Landschaft vor sechs Millionen Jahren aus. Das Mittelmeer war ausgetrocknet, als hätte jemand einen Stöpsel gezogen. Erst jetzt gibt es schlüssige Erklärungen für dieses erstaunliche Rätsel der Geologie.

Bevor Forscher das Unglaubliche in Betracht zogen, brauchte es viele erstaunliche Entdeckungen. Im 19. Jahrhundert stießen Bauarbeiter in Südfrankreich beim Brunnenbohren tief im Untergrund auf eine Schlucht. Später erkannten Naturkundler, dass sich dieser Graben unter dem gesamten Rhône-Tal entlangzog.

Die Rhône hatte sich offenbar einst deutlich tiefer in den Boden geschnitten. Entsprechend niedrig musste der Pegel des Mittelmeers gewesen sein, folgerten Wissenschafter. Doch vorerst glaubten einzig Science-Fiction-Autoren an die Idee vom einst ausgetrockneten Mittelmeer.

Ominöse Gesteinsschicht im gesamten Mittelmeer

Doch Ende der 1950er-Jahre entdeckten Ozeanographen im Boden des Mittelmeers eine seltsame Schicht. Die Meeresforscher hatten Schallwellen in den Untergrund geschickt. Diese wurden etwa 100 Meter tief im Boden reflektiert; diesen Reflektor gab es im gesamten Mittelmeer.

Die Wissenschaftler waren auf eine ominöse Gesteinsschicht getroffen. Was auch immer es für ein Material war, es hatte sich gleichmäßig im gesamten Mittelmeer abgelagert.

Im Sommer 1970 enthüllten Bohrungen, dass es sich um Salz handelte. Unter anderem fanden Forscher Anhydrit - ein Salz, das an Land auf heißen Salzmarschen entsteht, wenn Wasser verdunstet. Wie war das Salz auf den Grund des Mittelmeers gelangt? Und warum hatte es sich dort gleichmäßig über den gesamten Grund verteilt?

Kenneth Hsü und seine Crew auf dem Forschungsschiff Glomar Challenger ließen nicht locker. Ihre nächste Bohrung förderte mit der Salzschicht ein weiteres rätselhaftes Relikt der Urzeit zutage, das niemand im Tiefseeboden erwartet hatte: Stromatolithen - versteinerte Bakterienmatten, die in flachem Wasser gedeihen. Nun blieb den Forschern nur noch ein Schluss: Der Grund des Mittelmeers muss einst nahezu trockengefallen sein.

Verstopfung bei Gibraltar

Weitere Untersuchungen stützten die These. Es zeigte sich, dass Nil, Rhône und andere Flüsse bis zu 2400 Meter tiefe Schneisen in die Küsten des Mittelmeers geschnitten hatten.

Hatte sich ihr Wasser vormals direkt auf den Meeresboden ergossen? Eine Bohrung vor Sardinien brachte den Beweis: Dort lagen im Meeresgrund große Mengen Kies. Der Schotter bildete den gewaltigen Schwemmfächer einer urzeitlichen Flussmündung.

Die Bestimmung des Alters der Salzschicht im Meeresboden lieferte dann die nächste Überraschung. Es hatte sich vor fünf bis sechs Millionen Jahren abgelagert. Zu jener Zeit muss das Mittelmeer verdampft sein und das Salz hinterlassen haben, folgerten die Geologen.

Die Salzschicht war allerdings stellenweise bis zu 3500 Meter dick - es hat sich also binnen einer Million Jahre hundertmal mehr Salz abgelagert, als im Mittelmeer überhaupt hätte gelöst sein können. Gab es mehrere Verdampfungs-Zyklen, fragten sich die Wissenschaftler.

Die These war eine weitere Provokation. Dass ein Ozean einmal verschwindet, erschien bereits ominös. Doch ein Meer, das binnen einer Million Jahre immer wieder verdampft, überforderte die Phantasie von Geologen. Seither streiten Wissenschaftler über den Mechanismus.

Wasseraustausch mit dem Atlantik abgewürgt

Rob Govers von der Universität Utrecht in den Niederlanden hat nun eine Erklärung geliefert. Seinen Berechnungen zufolge trocknete das Mittelmeer nur einmal aus.

Ein Großteil des Salzes habe sich dabei abgelagert, als das Meer eine übersättigte Salzbrühe war wie heute das Tote Meer. Die Einengung der Straße von Gibraltar habe den Wasseraustausch mit dem Atlantik abgewürgt, schreibt Govers im Fachblatt Geology (Bd.37, S.167, 2009).

Nur über die Meerenge von Gibraltar ist das Mittelmeer mit den Ozeanen verbunden. Durch das Nadelöhr strömt an der Oberfläche Atlantikwasser herein, darunter fließt das salzigere Mittelmeerwasser hinaus. Eine Blockade der Passage würde das Mittelmeer von seiner Quelle abschneiden, das Wasser würde in rund 2000 Jahren verdunsten; zurück blieben Salzlaken.

Forscher haben diverse Möglichkeiten ersonnen, wie die schmale Meerenge vor sechs Millionen Jahren blockiert worden sein könnte. Erdplatten-Verschiebungen hätten die Straße von Gibraltar verschlossen, hieß es zum Beispiel. Oder eine Klima-Abkühlung habe Wasser in Gletschern gebunden und den weltweiten Meeresspiegel abgesenkt. Doch Beweise für die Theorien blieben aus.

Govers Berechnungen liefern nun Belege für eine andere Theorie: Eine Hebung des Meeresbodens habe das Mittelmeer allmählich von seinem Zustrom abgeschnitten. Eine leichte Absenkung des Wasserpegels reichte dann aus, um die Austrocknung des Mittelmeers unumkehrbar zu machen.

Verstopfung bei Gibraltar

Den Auslöser der Meeresspiegel-Absenkung lässt Govers offen. Eine Kettenreaktion vermutet der Geologe: Als sich der Wasserspiegel senkte, wurde der Meeresgrund entlastet, er hob sich. Die Hebung verkleinerte die Straße von Gibraltar ein wenig. Folglich verringerte sich der Wasserzustrom aus dem Atlantik weiter - und damit wiederum die Wasserlast auf dem Meeresgrund. Die Hebung des Bodens setzte sich fort.

Das langsame Abschnüren des Mittelmeers machte das Wasser zu einer übersättigten Salzbrühe, schreibt Govers. Unter der mediterranen Sonne verdunstete mehr Wasser als nachströmte, zurück blieb das Salz. Am Grund bildeten sich dicke Salzkrusten. Das meiste Salz habe sich abgelagert, bevor das Meer trockenfiel, berichtet Govers. Irgendwann ragte vor Gibraltar der felsige Grund aus dem Wasser - die Meerenge war geschlossen, das Meer trocknete aus.

Das Wasser kehrt zurück

Das Becken wäre auch nicht mehr vollgelaufen, hätten nicht gewaltige Umwälzungen im Erdinneren den Meeresboden verformt. Unter Gibraltar schiebt sich eine kilometerdicke Erdplatte unter den Boden des Mittelmeers. Ihr Ruckeln lässt regelmäßig die Erde zittern; 1755 wurde von einem solchen Beben Lissabon zerstört.

Vor acht Millionen Jahren schob sich die Platte nahezu waagerecht in den Untergrund, doch seit etwa fünfeinhalb Millionen Jahren taucht die Erdplatte fast senkrecht ab. Dabei zerrt sie den Grund des Mittelmeers unterhalb der Straße von Gibraltar mit in die Tiefe, berichtet Rob Govers. Das öffnete vor 5,3 Millionen Jahren die Meerenge. Es strömte wieder Wasser vom Atlantik ins Mittelmeer.

Doch es war wohl die letzte Wiederbelebung. Das Mittelmeer geht seinem Ende entgegen, es wird wieder salziger. Auch driftet der afrikanische Kontinent unaufhaltsam in Richtung Europa. In ein bis zwei Millionen Jahren wird die Erdplatten-Verschiebung die Meerenge von Gibraltar voraussichtlich schließen.

Der Wasserpegel wird dann um einen Meter pro Jahr fallen. Schließlich werden die mediterranen Inseln wieder zu Hochgebirgen, und das Wasser weicht einer Salzwüste. Dann ist das Mittelmeer Geschichte. Endgültig.

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