3D-Alzheimermodell:Demenz in Schälchen

Erstmals haben Forscher ein Alzheimermodell aus menschlichen Zellen entwickelt. Es soll die Suche nach dringend notwendigen Medikamenten beschleunigen - Forscher setzen deshalb große Hoffnungen in den künstlichen Zellhaufen.

Von Kathrin Zinkant

Am Anfang steht der Überschuss: Eiweißmüll sammelt sich im Gehirn an, bildet Klumpen, Plaques genannt, setzt die Nervenzellen unter Stress. Bald bilden sich im Inneren der Neuronen Protein-Ablagerungen, lange Faserbündel genannt Tangles. Und schließlich sterben die Zellen, eine nach der anderen. Zurück bleibt ein großes Vergessen - namens Alzheimer.

Fast 20 Jahre alt ist diese Hypothese über die Entstehung der wohl gefürchtetsten Demenz-Erkrankung; ob sie stimmt, ließ sich bislang nie vollständig prüfen, weil die Krankheit in Mäusen nicht ganz der menschlichen Form entspricht. Doch Forschern von der Harvard Medical School im Raum Boston ist es nun gelungen, aus menschlichen embryonalen Stammzellen ein Labormodell des echten Alzheimer zu entwickeln, eine Art krankes Nervengeflecht in der Petrischale - "Alzheimer's-in-a-dish", wie es die Forscher nennen.

Schon nach wenigen Wochen bildeten sich im Nervengeflecht die ersten Alzheimer-Plaques

Einer der beteiligten Wissenschaftler, der Genetiker und Altersforscher Doo Yeon Kim, hatte aus menschlichen Stammzellen zuvor schon kleine, räumlich miteinander vernetzte Nervenzellverbände in einem Gel wachsen lassen. Kim und sein Institutskollege Rudolph Tanzi wendeten nun noch einen genetischen Trick an: Sie bauten zwei Erbanlagen in die Zellen ein, die für die familiäre Form der Alzheimerdemenz verantwortlich sind (Nature, online).

Nur wenige Wochen, nachdem die Forscher diese manipulierten Zellen im Gel kultiviert hatten, bildeten sich erste Plaques aus dem sogenannten Amyloid-Beta-Eiweiß. Wenig später formten sich in den Neuronen die berüchtigten Tangles, wie es die zwei Jahrzehnte alte Hypothese verlangt. Es war ein klarer Widerspruch zu den Vermutungen eines zweiten Lagers innerhalb des Forschungsfelds: Die Anhänger der sogenannten Tau-Hypothese nahmen an, dass erst die aus Tau-Protein geformten Tangles in den Neuronen den Krankheitsprozess anschieben. Dass der seit vielen Jahren schwelende Streit nun einen Sieger hätte, ist zwar noch nicht gesagt: Dem Modell fehlt noch einiges, etwa Immunzellen, die an der Krankheit beteiligt sind.

Doch die Fachwelt zeigt sich begeistert von der Demenz im Schälchen. Terrence Town von der University of California in Los Angeles sieht die Amyloid-Hypthese sogar bestätigt. Der Münchener Alzheimer-Forscher Christian Haass will das Modell auch an der Technischen Universität nutzen. Tanzi selbst wird künftig nicht nur die Mechanismen der häufigsten Demenzform am "Alzheimer's-in-a-dish" untersuchen, sondern auch Tausende potenzielle Medikamente prüfen, die sich derzeit in der Entwicklung befinden. Bislang lässt sich Alzheimer schließlich nicht wirksam behandeln.

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