Charakteranalyse:PC schlägt Freunde

Wer in sozialen Netzwerken seine Vorlieben verrät, zeigt damit seinen Charakter. Anhand der Facebook-Likes kennt der Computer die Persönlichkeit eines Menschen inzwischen besser als dessen Freunde.

Von Christian Weber

Bislang schien es eine der wenigen, alleine dem Menschen vorbehaltene Gabe zu sein: die Fähigkeit, den Charakter eines anderen Menschen zu beurteilen. Doch das könnte sich ändern, wenn man den Experimenten eines Forscherteams um Wu Youyou und Michal Kosinski von der University of Cambridge vertrauen darf: Im Wissenschaftsmagazin PNAS (online) führen sie jetzt den Nachweis, dass Computer die Persönlichkeit eines Menschen sogar besser erfassen können als dessen soziales Umfeld - besser also als Kollegen, Familie, Freunde.

Ehepartner beurteilen sich gegenseitig - noch - einen Tick zuverlässiger als Computer

Für ihre Studie ermittelten die Forscher zuerst mit einem online gestellten Standardfragebogen die Persönlichkeitseigenschaften von mehr als 86 000 Probanden gemäß dem Big-Five-Modell der Psychologie. Nach diesem bewährten Ansatz lässt sich der Charakter eines Menschen damit beschreiben, wie stark fünf Eigenschaften bei ihm ausgeprägt sind: Neurotizismus, Extroversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für neue Erfahrungen. In einem weiteren Schritt mussten dann Facebook-Freunde dieser Versuchspersonen mithilfe eines vereinfachten Fragebogens ebenfalls Big-Five-Profile der ursprünglichen Probanden erstellen. Dann kam der Computer an die Reihe: Er wurde mit allen Facebook-Likes der Studiengruppe gefüttert. Aus diesen Daten errechneten dann in andern Studien zuvor entwickelte Algorithmen ebenfalls ein Profil. Dabei zeigte sich im Durchschnitt eine leicht bessere Übereinstimmung mit dem Selbsttest der Probanden als bei der Beurteilung durch deren soziales Umfeld.

Diese Ergebnisse bestätigen zum einen frühere Studien, wonach sich aus den durch die Likes offenbarten Vorlieben Persönlichkeitseigenschaften ablesen lassen: Wer angibt, gerne zu tanzen und auf Partys zu gehen, der ist vermutlich eher extrovertiert. Wer gerne wissenschaftliche Vorträge hört und neue Kunst besichtigt, ist wahrscheinlich offen für Erfahrungen. Neu war nun, dass die Computer solche Daten noch besser verarbeiten können als Menschen, mit einer Ausnahme: Ehepartner beurteilten sich gegenseitig - noch - um einen Tick zuverlässiger. Allerdings dürften die Computer umso besser werden, je mehr Datenmaterial sie erhalten.

Und womöglich entwickeln die Rechner dabei noch weitere diagnostische Fähigkeiten. So zeigen die Forscher aus Cambridge in der vorliegenden Studie auch, dass die Algorithmen ebenfalls besser als Menschen voraussagen konnten, ob die Probanden etwa Drogen nehmen, depressiv oder bei schlechter Gesundheit sind. Entsprechend vielfältige neue Anwendungen lassen sich vorstellen. Werbung könnte gezielt auf die Persönlichkeit ausgerichtet werden, Personalchefs könnten Bewerber automatisch screenen lassen, Algorithmen könnten die Partnersuche weiter verfeinern.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: