Buchkritik:Von der Zwangsläufigkeit der Katastrophen

In einem Essay denkt Ulrich Teusch darüber nach, wie der Fortschritt immer neue Katastrophen erzeugt. Die Technik hat sich längst unserer Kontrolle entzogen.

Matthias Zimmer

An Warnungen über die Konsequenzen einer durch Technik bestimmten Gesellschaft gibt es keinen Mangel. Von Hans Freyer auf der rechten bis hin zu Theodor W. Adorno auf der linken Seite des politischen Spektrums wurden die wesentlichen Erkenntnisse schon vor mehr als fünfzig Jahren formuliert. Mittlerweile ist es auch um die politischen Apologeten eines technisch verstandenen Fortschritts eher ruhig geworden.

Buchkritik: An der Hybris zerschellt: die Katastrophe bei der Flugshow von Ramstein im August 1988.

An der Hybris zerschellt: die Katastrophe bei der Flugshow von Ramstein im August 1988.

(Foto: Foto: dpa)

Weder sehen sich heute die Sozialdemokraten, wie in den siebziger Jahren, als Garanten eines planbaren technischen Fortschritts, noch käme heute einem Christdemokraten das Wort über die Lippen, konservativ sein heiße, an der Spitze des Fortschritts zu marschieren. Die Rede über den Fortschritt ist in Moll gehalten, die Strahlkraft und die Verheißung der Technik durch die bewusst gewordenen Folgewirkungen verblasst. Das Projekt der Moderne, mit Hilfe aller technischen Möglichkeiten die Natur zu beherrschen und dem Menschen das Reich der Freiheit zu eröffnen, ist stillschweigend beendet worden.

Doch der technische Fortschritt braucht keine ideologische Absicherung, er ist einfach da und speist sich aus sich selbst heraus. Hier setzt der Essay von Ulrich Teusch an. In 21 Kapiteln umkreist er das Phänomen der Katastrophe und unseren Umgang damit. Katastrophen sind die Grenzfälle der technischen Gesellschaft, und in ihnen zeigt sich unser Umgang mit dem Einbruch des Außeralltäglichen.

Dabei muss man nicht zwischen Naturkatastrophen und technischen Katastrophen unterscheiden, denn längst schon ist ja auch die Natur durch den Menschen manipuliert und störanfällig geworden. Teusch bezeichnet unsere Gesellschaft nicht als eine Katastrophengesellschaft, weil sie durch ein historisch einzigartiges Maß an Katastrophen betroffen wäre, sondern weil unser exzessives Streben nach mehr Sicherheit permanent neue und größere Unsicherheiten gebiert. Die Katastrophengesellschaft ist das, was wir aus ihr machen.

Die sichtbare Katastrophe ist nur die Spitze eines Eisbergs, und es war ja auch nicht eine solche Spitze, die der Titanic zum Verhängnis geworden ist. Aber wir diskutieren nur die Spitzen, die Auffälligkeiten. Ironisch nimmt Teusch dies aufs Korn: "Ob wir als Schlafwandler durch die Welt tapsen oder wie die Spürhunde ständig Witterung aufnehmen - am Ende ist's einerlei. Es macht eh keinen Unterschied."

Unter der Oberfläche des Sichtbaren, das wir, Witterung aufnehmend, in zunehmender Erregung diskutieren, verbirgt sich aber das eigentliche Problem. Die Frage muss also nicht sein: Was lernen wir aus Katastrophen und wie gehen wir damit um? Sondern für Teusch lautet die Frage vielmehr: Warum ist der Diskurs über die Katastrophe noch nicht bei den zugrunde liegenden Bedingungen angekommen?

Die Antwort lautet kurzgefasst: Weil wir damit die Grundlagen unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auf den Prüfstand stellen müssen. Weil wir uns dann eingestehen müssten, dass Technik nicht mehr Instrument für bestimmbare Zwecke ist, sondern ein Großsystem, dass sich durch zunehmende Komplexität und die Geschwindigkeit des Wandels einer effektiven Steuerung entzieht.

Und weil sich technische Kategorien so weit in unser Denken eingeschlichen haben, dass wir ein Teil des technischen Systems geworden sind. Wir suchen technische Lösungen für technisch verursachte Probleme - auch wenn wir von dem freudigen Technik- und Fortschrittsoptimismus früherer Jahre inzwischen Abschied genommen haben.

Der ausführliche Essay erhebt nicht den Anspruch, eine Theorie der technischen Gesellschaft oder der Katastrophen zu liefern, sondern präsentiert seine Erkenntnisse ironisch, zugespitzt, mitunter polemisch, in unterhaltsamer Nachdenklichkeit. Dass sich Teusch sowohl auf soziologische und philosophische Argumente wie auch auf literarische Zeugnisse stützt, weitet die Perspektive.

Am Ende sind wir, wie es die Photographie auf dem Bucheinband suggeriert, fröhliche Zuschauer unserer selbstverursachten Katastrophen, entspannt vor dem Hintergrund der brennenden Twin Towers parlierend und die Sonne genießend. Es bleibt lediglich die Gewissheit: Die nächste Katastrophe kommt bestimmt.

ULRICH TEUSCH: Die Katastrophengesellschaft. Warum wir aus Schaden nicht klug werden. Rotpunktverlag, Zürich 2008. 229 Seiten, 22 Euro.

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