Brustkrebs-Vorsorge:"Wo ist da noch der Nutzen?"

Eine große Auswertung von Mammographie-Daten zeigt statistisch wenig Vorteile und viele Nachteile für Frauen. Fachleute fordern eine ausgewogenere Darstellung der Sinnhaftigkeit des Verfahrens: "Wenn 2000 Frauen zehn Jahre lang im Screening-Programm sind, überlebt eine länger."

Werner Bartens

Schaden kann es ja nicht. Das glauben viele Frauen, die sich regelmäßig einer Mammographie unterziehen. Dass die Röntgenuntersuchung der Brust die Überlebenschancen verbessert, falls ein Tumor entdeckt wird, denken nicht nur viele Frauen, sondern auch die meisten Ärzte.

Mammographie, Brustkrebs, Screening, Untersuchung, Foto: dpa

Verfahrenen mit umstrittenem Sinn: die Mammographie.

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Eine soeben erschienene breit angelegte Analyse der bisherigen Daten zur Mammographie weckt daran Zweifel. "Wenn 2000 Frauen zehn Jahre lang im Screening-Programm sind, überlebt eine länger", schreiben Peter Gøtzsche und Margrethe Nielsen vom Cochrane-Zentrum in Kopenhagen (Cochrane Review 2006, Issue 4, No. CD001877).

Dies sei zwar ein gewisser Nutzen. "Doch bei zehn gesunden Frauen, bei denen ohne Screening nichts aufgefallen wäre, wird Brustkrebs diagnostiziert und sie werden unnötigerweise behandelt."

Schatten im Röntgenbild kann auch harmlos sein

Gøtzsche spricht sich gegen das Screening aus: "Die Chance auf Vorteile ist zu gering im Vergleich zum Risiko für schwere Schäden." Die Untersuchung der dänischen Autoren ergab nicht nur, dass zehn von 2000 Frauen unnötig Chemotherapie bekommen, operiert oder bestrahlt werden.

Zudem müssten 200 von 2000 Frauen mit Belastungen rechnen, weil ihnen ein falsch positiver Befund mitgeteilt wird. Das heißt, der Arzt spricht von verdächtigen Knoten oder Krebs, und es dauert Monate oder Jahre, bis sich der Schatten im Röntgenbild als harmlos erweist.

"Diese Ungewissheit ist für viele Frauen die schlimmste Zeit in ihrem Leben", sagt Ingrid Mühlhauser, Gesundheitswissenschaftlerin der Universität Hamburg, die die Einstellung zur Mammographie untersucht hat.

Für Michael Baum, 1987 Initiator einer der ersten Massenuntersuchungen in Großbritannien, "überwiegt mit diesen jüngsten Beweisen der Schaden den Nutzen". Er fordert eine neue Diskussion über das Screening in Großbritannien.

"Ich will es wissen", sagt hingegen Ute Krainick-Strobel vom Brustzentrum der Universität Tübingen, "viele andere Frauen wollen das auch." Die Perspektive aus Sicht des Einzelfalls sei eine andere als die der Statistiker.

"Für mich ist Screening sinnvoll, denn dabei werden bis zu 30 Prozent Krebsvorstufen entdeckt", sagt die Frauenärztin. Jede Vorstufe habe eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, nach zehn Jahren zu entarten.

"Wo ist da noch der Nutzen?"

Ob das für die Frauen von Bedeutung ist und wie oft sich der Tumor bemerkbar mache, könne nicht gesagt werden. "Wenn man einen Brustkrebs vor sich hat, weiß man nie, ob er tödlich ist oder nicht", sagt Sylvia Heywang-Köbrunner vom Brustzentrum der TU München. "Dann muss man als Arzt behandeln, das ist das Dilemma."

Für ihre Analyse haben Gøtzsche und Nielsen Studien mit einer halben Million Frauen berücksichtigt. Das Wort der Dänen hat Gewicht. Denn Gøtzsche leitet das Cochrane-Zentrum in Kopenhagen.

Diese nach dem britischen Mediziner Archie Cochrane benannten Institute haben es sich zur Aufgabe gemacht, die methodische Qualität medizinischer Studien weltweit zu prüfen und nur solche zu berücksichtigen, die den Gütetest überstehen. Ist die Spreu vom Weizen getrennt, erstellen Cochrane-Zentren aus hochwertigen Ergebnissen eine detaillierte Zusammenfassung für die Praxis.

Bereits im Jahr 2000 hatten Gøtzsche und sein Kollege Ole Olsen die Fachwelt aufgeschreckt. Seinerzeit behaupteten die Ärzte, dass es keine Beweise dafür gebe, dass Screening das Risiko für Frauen verringert, an Brustkrebs zu sterben. "Im Vergleich dazu haben wir jetzt genauere Ergebnisse zum Umfang von Überdiagnose und Übertherapie."

Durchschnittliche Lebensverlängerung: ein Tag

Damit ist gemeint, dass mit der Mammographie besonders langsam wachsende Krebsformen und Krebsvorstufen entdeckt werden. Viele dieser Tumore verursachen ein Leben lang keine Beschwerden, wären ohne Untersuchung nie aufgefallen.

Trotzdem folgt nach der Diagnose die Therapie: Durch das Screening steigt die Rate der Brustamputationen um 20 Prozent. Belastende Behandlungen wie Bestrahlung und Chemotherapie folgen, ohne dass sie unbedingt nötig wären.

Gøtzsche hat einen Tag durchschnittliche Lebensverlängerung für die Frauen ermittelt, die zehn Jahre lang im Mammographie-Programm sind. "Diese Zeit geht für Anreise, Warten und Untersuchung drauf", sagt Gøtzsche. "Wo ist da noch der Nutzen?" Besser sei es, das Geld für gesicherte Therapien bei Brustkrebs, etwa mit Tamoxifen, auszugeben. Das verlängere das Leben erkrankter Frauen um durchschnittlich sechs Monate.

Die Entscheidung der Frauen für oder wider die Untersuchung ist stark davon abhängig, wie groß die Angst vor Krebs ist und ob Verwandte oder Freunde von Tumoren betroffen waren. Gynäkologen sind zumeist für die Untersuchung. Nicht nur aus finanziellen Gründen.

"Die bisherige Praxis ist unethisch"

Jeder von ihnen hat Patientinnen gesehen, die erst in die Praxis kamen, als der Krebs schon weit fortgeschritten war, sodass nichts mehr helfen konnte. Vom Screening erhoffen sie sich, die Frauen regelmäßiger kontrollieren zu können.

Kritiker des Screenings fordern vor allem eine bessere Aufklärung der Frauen. "Es ist dringend nötig, dass die Mammographie endlich ausgewogener dargestellt wird", sagt Gøtzsche.

Die Hamburger Medizinerin Mühlhauser hat nachgewiesen, wie verzerrt und einseitig positiv das Screening in offiziellen Broschüren geschildert wird. "Die bisherige Praxis ist unethisch", sagt Gøtzsche. "Eine Frau kann nicht rational entscheiden, wenn sie nur etwas über die Vorteile gehört hat."

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