Bisphenol A:"Guerillakrieg" um einen Plastikgrundstoff

Bisphenol A wirkt ähnlich wie das weibliche Sexualhormon Östrogen - das ist bekannt. Doch die Risikoforschung zu dem verbreiteten Stoff zeigt, wie sich Resultate mit subtilen Tricks steuern lassen.

Walter Willems

Um eine unscheinbare, kristalline Chemikalie ist ein verheerender Streit ausgebrochen. Beteiligte sprechen von einem "Guerillakrieg", der auf Kongressen und in Fachzeitschriften ausgetragen werde. Beobachter fürchten ein "Auseinanderfallen der wissenschaftlichen Kultur in zwei Lager". Gegenstand des Konflikts ist der Plastik-Grundstoff Bisphenol A (BPA) und die Frage: Inwieweit gehen Gefahren für Mensch und Umwelt von dieser Substanz aus?

Bisphenol A: Bisphenol A kann aus zum Beispiel aus Plastikflaschen entweichen.

Bisphenol A kann aus zum Beispiel aus Plastikflaschen entweichen.

(Foto: Foto: iStock)

Als in den USA im August ein nationales Expertenkomitee BPA als eher unbedenklich einstufte, widersprachen fast zeitgleich 38 Forscher in einer Konsenserklärung in der Zeitschrift Reproductive Toxicology (Bd.24, S.131, 2007). Auch in der EU scheint es Unstimmigkeiten zu geben.

Das entscheidende Gremium, in dem Vertreter der EU-Staaten, der Industrie und des European Chemical Bureau sitzen, konnte sich bei seinem Treffen Mitte September wieder nicht über die Risikobewertung von BPA einigen. Stattdessen wurde den Mitgliedern eingeräumt, bis Anfang November Kommentare einzureichen.

Es geht um eine Substanz, die zu den wichtigsten Chemikalien weltweit zählt. Bisphenol A ist der Grundstoff zur Herstellung von Polykarbonat-Kunststoffen und Kunstharzen. Drei Millionen Tonnen werden davon jährlich produziert mit einem Umsatz in Milliardenhöhe. Polykarbonat ist allgegenwärtig; es steckt in Autoteilen, Baustoffen, CDs, Zahnfüllungen, Lebensmittelverpackungen und Babyfläschchen. Aber es entweicht auch in die Umwelt, gelangt etwa ins Grundwasser oder in den Hausstaub.

Kleinkrieg der Toxikologen

Bisphenol A wirkt ähnlich wie das weibliche Sexualhormon Östrogen. Einigkeit besteht darin, dass große Mengen von dem Stoff schädlich sind. "Bei hohen Dosierungen findet man in Tierversuchen eine ganze Reihe von Effekten", sagt Detlef Wölfle vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).

Seit rund zehn Jahren aber deuten Studien darauf hin, dass die Substanz auch in geringer Dosis den Organismus schädigen kann. Untersuchungen fanden Hinweise etwa darauf, dass BPA die Spermienproduktion verringert, die Entwicklung des Gehirns beeinflusst, das Gewicht der Prostata erhöht oder Veränderungen des Erbguts bewirkt, deren Auswirkungen sich erst nach Generationen zeigen.

An Studien mangelt es nicht. "Bisphenol A ist eine der am besten untersuchten Substanzen, die es gibt", sagt Wölfle. Allein zum Niedrigdosis-Bereich wurden bislang weit über 150 Untersuchungen publiziert, allerdings mit auffällig widersprüchlichen Resultaten. Bemerkenswert dabei ist, dass das Ergebnis einer Studie offenbar davon abhängt, wer sie bezahlt.

Das zeigte eine Auswertung des Biologen Frederick vom Saal von der Universität von Missouri in Columbia. Saal, Wortführer der BPA-Kritiker, prüfte insgesamt 163 Niedrigdosis-Studien, die bis November 2006 veröffentlicht worden waren. 138 der 152 öffentlich finanzierten Studien wiesen auf Schäden hin, sämtliche elf industriell gesponserten Studien zeigten keine Hinweise darauf.

"Guerillakrieg" um einen Plastikgrundstoff

"Der Finanzier ist ein zuverlässiger Prädiktor für das Ergebnis", resümiert der Umwelttoxikologe Jörg Oehlmann von der Universität Frankfurt. "Es ist ein Ping-Pong-Spiel", sagt der Toxikologe Werner Kloas vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie. "Erst zeigt eine Studie heftige Effekte bei Niedrigdosierung, dann zeigt eine Industrie- Studie, dass es doch nichts gibt."

Resultate je nach Rattenart

Hinter dem Wirrwarr der Ergebnisse verbirgt sich ein Lehrstück in Sachen Studiendesign. Mit subtilen Tricks lässt sich das Resultat einer Untersuchung in die gewünschte Richtung lenken. "Da wird an allen möglichen Schräubchen gedreht", sagt Oehlmann. Plötzlich geht es nicht mehr einfach um Ratten, Mäuse oder Schnecken, sondern um das Material der Käfige, die Zusammensetzung des Futters, Temperaturschwankungen oder um verschiedene Unterarten von Versuchstieren.

Allein die Wahl des Rattenart reicht aus, um ein bestimmtes Resultat zu garantieren. So reagieren Ratten vom Stamm Charles River-Sprague Dawley (CD-SD) besonders unempfindlich auf weibliche Geschlechtshormone. Selbst auf den extrem potenten Wirkstoff der Antibaby-Pille, Ethinyl-Estradiol (EE), reagieren CD-SD-Ratten erst bei einer täglichen Gabe von 50 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht.

Frauen sind da deutlich empfindlicher: Pillen zur Schwangerschaftsverhütung enthalten nur rund 0,5 Mikrogramm EE pro Kilogramm Körpergewicht. Noch nie wurden Saal zufolge bei CD-SD-Ratten Schäden durch geringe Mengen BPA nachgewiesen. Zehn von 23 Studien, die Entwarnung für die Substanz gaben, stützten ihre Resultate auf Ratten dieses Typs.

Der Frankfurter Toxikologe Oehlmann untersuchte dagegen im Auftrag des Umweltbundesamts den Effekt von BPA an der Süßwasserschnecke Marisa cornuarietis. Schon geringe Mengen hatten bei den Weichtieren dramatische Folgen. Manche Weibchen entwickelten eine zweite Vaginalöffnung, generell hatten die weiblichen Tiere vergrößerte Eileiter und die Eierproduktion vervierfachte sich.

Durch die Menge der gebildeten Eier zerrissen bei jeder zehnten Schnecke die Eileiter. Dieser Effekt trat aber nur in der zehnmonatigen Ruhephase der Tiere auf. In der Laichzeit von November bis Januar, in der die Tiere sowieso massenhaft Eier produzieren, blieben geringe BPA-Mengen ohne Wirkung.

Zur Sicherheit wiederholte Oehlmann die Studie zweimal: Dabei zeigten sich schon ab einem Schwellenwert von 14Nanogramm pro Liter Schäden - einer Konzentration, wie sie in deutschen Gewässern durchaus vorkommt. "Das Ergebnis hatte eine neue Qualität", sagt Oehlmann. "Die Anerkennung der Studie hätte zu einem Verbot von BisphenolA führen müssen."

In einer industriell finanzierten Folgestudie hingegen verschwanden die beunruhigenden Effekte komplett. Allerdings ersetzten die beauftragten Forscher die ursprünglich aus Florida stammenden Schnecken von Oehlmann durch Tiere aus Costa Rica. Diese Art pflanzt sich ganzjährig fort und die Gabe von BPA blieb folgenlos. Zusätzlich erhöhten die Forscher noch die Wassertemperatur von 22 auf 25 Grad Celsius.

In Oehlmanns Studien hatte eine höhere Wassertemperatur schon genügt, um den Effekt von Bisphenol A zu maskieren. Die Folgestudie sei logisch durchdacht gewesen, sagt Werner Kloas. "Nach dem Motto: 'Wie kann ich einen steigernden Einfluss verhindern'."

Um falsche Resultate zu verhindern, setzen Toxikologen gewöhnlich auf so genannte Positiv-Kontrollen. Versuchstieren wird dann ein Stoff verabreicht, der ähnlich wirkt wie die zu untersuchende Substanz, allerdings in einer Dosis, bei der ein Effekt auftreten muss. Für Bisphenol A wäre das synthetische Östrogen EE eine mögliche Positiv-Kontrolle. Bleibt in der Kontroll-Gruppe eine Wirkung aus, so ist dies ein starkes Indiz dafür, dass das Experiment an sich fehlgeschlagen ist. Auf eine solche Positiv-Kontrolle aber hatte die Industriestudie zu den Schnecken verzichtet.

So akademisch die Diskussion über Versuchstiere erscheinen mag, die Studien beeinflussen das Leben der Verbraucher direkt: Die EU-Lebensmittelbehörde EFSA erhöhte Anfang dieses Jahres die tägliche akzeptable Aufnahmemenge BPA, den TDI-Wert (Tolerable Daily Intake), von zehn auf 50 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht. Vorher hatten Rechnungen der Behörde ergeben, dass Babys im Alter von sechs Monaten täglich 13 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht aufnehmen.

Tarnung für schädliche Effekte

Die Erhöhung des TDI-Wertes basierte auf einer von der Wirtschaft finanzierten Studie der Biologin Rochelle Tyl vom Research Triangle Institute im US-Staat North Carolina (SZ vom 7.2.).

Tyl hatte schon früher im industriellen Auftrag BPA geprüft: Dabei verwendete sie CD-SD-Ratten und verzichtete auf eine Positiv-Kontrolle. Ernährt wurden die Versuchstiere damals mit Futter vom Typ Purina 5002. Auch diese Nahrung auf Sojabasis, so argwöhnen Kritiker, könne aufgrund der enthaltenen Pflanzenöstrogene die Wirkung anderer hormonähnlicher Stoffe verschleiern.

Tyls neue Studie ergab, dass unterhalb einer Menge von fünf Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht durch BPA bei Mäusen keine Schäden auftreten. Gemäß der geltenden Sicherheitsnormen legte die EFSA daraufhin ein Hundertstel dieser Menge als TDI-Wert fest. "

Die Studie war sehr sorgfältig geplant", betont Wölfle. Tyl habe Östrogen-sensible Mäuse und eine Positiv-Kontrollgruppe verwendet. Vernünftig publiziert wurde die Untersuchung bislang allerdings nicht. Abgesehen von einer dürftigen Zusammenfassung in einem Tagungsband der amerikanischen Society of Toxicology wartet die Fachwelt seit einem Jahr auf die Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift.

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