Biowaffen:Angriff der Pestleichen

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Die lange Geschichte der biologischen Kriegsführung. Von Wolfgang. U. Eckart, Institut für Geschichte der Medizin in Heidelberg.

(SZ vom 22.10.2001) - Sie kam mit der Götterpost. Zeus hatte schon den Streit und die Gewalt auf die Erde geschickt, um sich der Menschen, dieser lästigen Spezies, zu entledigen. Die Menschen aber lebten munter fort.

Diesmal ging der Olympier geschickter vor: Er ersann den Menschen ein vergiftetes Geschenk, Pandora, eine künstliche Frauenfigur, schön wie die unsterblichen Göttinnen.

Charis umstrahlt sie, ein unendlicher Reiz, ein Glanz, der ihren Betrachter überwältigt und niederwirft. Doch in ihrem Inneren hat Zeus Furchtbares versteckt, "alle Übel und Krankheiten", Bakterien und Viren, würde man heute wohl sagen.

Die Büchse der Pandora

Prometheus warnt die Menschen noch: "Falls die Götter euch ein Geschenk machen, nehmt es nicht an und schickt es dorthin zurück, wo es herkam. " Epimetheus verspricht seinem Bruder hoch und heilig, sich diese Warnung zu Herzen zu nehmen.

Nur einen Tag später liefert ihm der Götterbote Hermes frei Haus die vergiftete Sendung. Epimetheus öffnet der schönen Frau begeistert die Tür, die beiden heiraten auf der Stelle, Pandora öffnet ihre Büchse, und Übel und Krankheit verbreiten sich über die Erde. Nur die Hoffnung bleibt am Grund ihres Gefäßes zurück.

Wie kaum ein anderer antiker Mythos steht die Geschichte der Pandora und ihrer mit Schrecken und Krankheit gefüllten Büchse für die geistige Situation unserer Tage. Mit der wachsenden Zahl von Milzbrandinfektionen in den USA wächst auch die Panik, die ohnehin auf gut bereitetem Boden wurzelt.

Nicht erst die "vielköpfige Hydra" des Terrorismus - die Zeit der Krise liebt offensichtlich den Rückgriff auf den griechischen Mythos - sondern auch ein in den vergangenen Jahrzehnten wohl konstruiertes Seuchenszenario haben die Menschheit empfänglich gemacht für die derzeit überbordende Erregerangst. Diese Angst speist sich aber auch aus dem Wissen um die Befähigung des Menschen zur biologischen Kriegsführung.

Geschenkte Pocken

Wenn wir unter dieser vermeintlich modernen Form des Krieges oder des terroristischen Angriffs den Einsatz lebender Mikroorganismen zu feindlichen Zwecken verstehen, dann relativiert sich freilich die Modernität solcher Kriegsführung schnell.

Seit der Antike wissen wir um die Möglichkeit der Verseuchung von Quellen und Brunnen durch Tierkadaver. Und spätestens als im Jahre 1347 über die Mauern der Schwarzmeerstadt Caffa von den belagernden Tartaren die ersten Pestleichen katapultiert wurden, um deren Bewohner mit dem gleichen Fäulnisfieber zu schlagen, das ihr eigenes Heer stündlich dezimierte, drang die technische Realisierbarkeit solcher Kriegsführung tief ins Bewusstsein der Menschheit.

Auch die belagerte Stadt starb, und die wenigen flüchtenden Genuesischen Schiffsmannschaften brachten die Pest in wenigen Wochen nach Europa, wo die Krankheit bis 1352 wahrscheinlich mehr als 20 Millionen Opfer forderte.

Auch in den Folgejahrhunderten wurden "biologische" Waffen vergleichbarer Art immer wieder eingesetzt. So verteilten britische Siedler in der "Neuen Welt" pockeninfizierte Decken, um die indianische Urbevölkerung auszurotten; vergleichbare Fälle in Ozeanien sind rekonstruierbar.

Bakterieller Krieg immmer im Blickfeld

Ins militärische Kalkül konnten Erreger als Waffen ernsthaft und gezielt freilich erst mit dem Anbruch der bakteriologischen Ära gezogen werden. Man muss Erreger erst identifizieren, in Reinkultur herstellen, verimpfen oder anders zu verbreiten lernen, um taktische Überlegungen anstellen zu können. Zunächst und besonders im Ersten Weltkrieg stand jedoch die vermeintlich preiswertere Produktion und Verwendung chemischer Kampfstoffe im Vordergrund.

Aber auch der bakterielle Krieg blieb immer im Blickfeld, wie sonst hätte er Eingang in das Genfer Protokoll von 1925 finden können, das ausdrücklich auch den Einsatz "bakteriologischer Mittel im Kriege" verbot?

Wie anders hätte es in Erich Kästners denkwürdigem und an Aktualität kaum zu überbietendem Gedicht "Das letzte Kapitel" aus dem Jahre 1930 heißen können: "Am 13. Juli flogen von Boston eintausend mit Gas und Bazillen beladene Flugzeuge fort und vollbrachten, rund um den Globus sausend, den von der Weltregierung befohlenen Mord. Die Flugzeuge irrten mit tausend toten Piloten, unter dem Himmel und sanken brennend ins Feld"?

Bakterienregen über China

Mit welcher Intensität seit den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts die biologische Kriegsführung weltweit zunächst ins allgemeine Bewusstsein, sodann in die Petrischalen und schließlich auf die Erprobungsfelder der Militärs gelangte, zeigt gerade das Beispiel der Milzbrandforschung.

Milzbrand-Versuche der Japaner

Offensive Anstrengungen zur Erforschung der militärischen Anwendung des für Mensch und Tier überaus gefährlichen Milzbranderregers Bacillus anthracis entfaltete etwa die japanische Truppeneinheit 731 seit den späten dreißiger Jahren in Forschungskonzentrationslagern auf dem besetzten chinesischen Festland.

In umfangreichen Menschenversuchen an chinesischen Gefangenen wurde zunächst der Zusammenhang zwischen Infektionsart und Todesrate erforscht. Hierbei zeigte sich, dass die orale Verabreichung, etwa durch kontaminierte Nahrung, sicherer zum Tode führte als alle übrigen.

Da eine solche Darreichungsform allerdings umfangreiche Sabotageangriffe hinter der feindlichen Linie erforderlich gemacht hätte, konzentrierte man sich immer mehr auf die Methode des "Bakterienregens"; Aerosole mit hoher Keimdichte oder Erregersporen in trockenem Zustand mit Sand oder Stärke vermischt sollten von Flugzeugen versprüht oder verstreut ausgebracht werden.

Die zweite der beiden Methoden wurde schließlich favorisiert, weil sie bei einer sicheren Flughöhe von etwa 4000 Meter wegen der höheren Fallgeschwindigkeit die größte Zielgenauigkeit versprach. Es kam zu zahlreichen Feldversuchen mit vielen Todesopfern auch unter den Japanern.

In China von Flugzeugen versprüht

Schließlich gelang es sogar, einen Stamm des Erregers zu finden, der bei Infektion offener Wunden bis zu 100 Prozent tödlich war. In der Mandschurei und während der Chekiang-Offensive wurden in den späten dreißiger und frühen vierziger Jahren Milzbranderreger tatsächlich umfangreich und mit verheerenden Folgen von Flugzeugen versprüht oder in Porzellanbomben abgeworfen. Allein die eigenen Verluste sollen nach Berührung der kontaminierten Gebiete in die Tausende gegangen sein.

Zum Einsatz gegen die Amerikaner ist es wegen des Kriegsverlaufs nicht mehr gekommen, wohl aber zeigten sich die Sieger an den Forschungsergebnissen der Besiegten höchst interessiert. Das gesamte Aktenmaterial wurde schnellstens nach Washington gebracht, übersetzt, ausgewertet und blieb Jahrzehnte unter Verschluss.

US-Programm für biological warfare

Schon 1941 hatte auch die U.S. Army ein umfangreiches Programm für biological warfare in Gang gebracht. Einsatzbereite Waffensysteme wurden früh für Milzbrand, Pest, Hasenpest und andere Erreger entwickelt. Mit dem Beginn des Kalten Krieges wurde die Forschung an biologischen Waffensystemen dramatisch forciert.

Den US-Forschern kamen bei ihren eigenen Anstrengungen im Rahmen der biologischen Kriegsforschung die Ergebnisse der Japaner wie gerufen. Waren doch gerade die Ergebnisse der japanischen Humanexperimente von höchstem Wert: Selbst solche Experimente zu organisieren, war man auf Grund berechtigter Skrupel gegenüber den möglicherweise tödlichen Humanexperimenten nicht gewillt.

Vor diesem Hintergrund ließ sich das amerikanische State-War-Navy Coordinating Committee (SWNCC) mit dem führenden japanischen Kopf der chinesischen Lagerexperimente, Ishii Shiro, schließlich sogar auf einen Handel "Versuchsdaten gegen Straffreiheit" ein, wohlwissend, dass die US-Regierung dadurch später einmal ernsthaft beschämt werden könne.

Zu einem Milzbrand- Waffeneinsatz kam es zumindest auf amerikanischer Seite nicht, wohl aber bei den britischen Verbündeten. Auf Initiative des Microbiological Research Establishment wurde die schottische Insel Gruinard 1942 überaus "erfolgreich" mit Milzbrand-Bomben kontaminiert und blieb für mehr als ein halbes Jahrhundert unbetretbar.

Forschung im Dunkel

Die biologische Kriegswaffenforschung der amerikanischen Streitkräfte wurde mit japanischem Knowhow bis 1969 fortgeführt. Nicht, dass die Armee dann plötzlich das Interesse daran verloren hätte: Die Empörung der Weltöffentlichkeit angesichts der Eskalation des auch chemisch-biologischen Krieges in Südostasien zwang Nixon zu einem offiziellen Stopp aller Biokriegsexperimente.

Am 10. April 1972 unterzeichneten immerhin 118 Staaten, darunter auch die Sowjetunion, die Biowaffenkonvention. Es wäre aber naiv zu glauben, dass damit in all diesen Ländern auf biomilitärische Forschungen verzichtet worden wäre. So kam es noch 1979 zu einem schweren Milzbrand- Ausbruch in Sverdlovsk, der 1992 von Jelzin bestätigt wurde und an die 1000 Opfer gefordert haben soll.

Deutsche Forschung im Zweiten Weltkrieg

Auch auf deutscher Seite wurden während des Zweiten Weltkrieges Anstrengungen auf dem Gebiet der biologischen Kriegsführung unternommen. Im Frühjahr 1943 drängten der Wehrmachtsführungsstab und der Generalstab der Luftwaffe auf die zügige Vorbereitung eines offensiven B- und C-Krieges.

Im Februar 1943 erhielt die mit dieser Aufgabe betraute Arbeitsgemeinschaft den Tarnnamen "Blitzableiter".

Zum Führungsstab dieser Arbeitsgruppe gehörte neben dem Posener Krebs- und Pestforscher Kurt Blome, dem Gießener Seuchenhygieniker Heinrich Kliewe und Generalarzt Schreiber auch der Malariaforscher Gerhard Rose.

Dass diese Forschungen, denen Hitler mit berichteter Distanz gegenüberstand, keineswegs nur in defensiver Absicht, sondern auch durchaus offensiv vorangetrieben wurden, zeigt gerade die Einbeziehung der für die Verbreitung bedeutenden Aerosoltechnik. Zum Einsatz kamen solche Waffen auf deutscher Seite allerdings nicht.

Wenn wir mit dem Wissen um die Möglichkeiten des molekularbiologischen genetic engineering sorgenvoll auf die dramatischen Entwicklungen in den USA sehen, so hat dies zweifellos seine Berechtigung.

Ob allerdings vereinzelte Terrorakte eines immer noch nicht hinreichend identifizierten Angreifers Situationen heraufbeschwören können, die mit den alten Seuchenkatastrophen vergleichbar sind, darf bezweifelt werden.

Allerdings sollte auch der Umstand nicht aus dem Blick verloren werden, dass Pandoras Büchse bereits weit geöffnet war, als sie in unseren Tagen in die Hände einer terroristischen Hydra fiel.

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