Forschung:Viele Krebsstudien sind mangelhaft

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In Forschungsergebnissen fehlen Daten, Protokolle sind lückenhaft, Versuchstiere verschwinden. Wird im Labor zu viel geschummelt? Fragen an Ulrich Dirnagl vom Uniklinikum Charité.

Interview von Hanno Charisius

Zwei Forschergruppen haben grobe Mängel in vielen biomedizinischen Fachartikeln gefunden. Ergebnisse lassen sich nicht reproduzieren, Versuchsprotokolle sind lückenhaft, Daten fehlen, Versuchstiere verschwinden aus der Auswertung - so das Fazit von zwei Untersuchungen im Fachblatt PloS Biology. Der Schlaganfallforscher Ulrich Dirnagl vom Universitätsklinikum Charité in Berlin hat mit seinem Team Hunderte Studien analysiert.

SZ: Herr Dirnagl, Sie haben Fachveröffentlichungen zu Schlaganfällen und Krebs von anderen Forschern untersucht. Was ist Ihnen dabei aufgefallen?

Ulrich Dirnagl: In den meisten untersuchten Publikationen ist nicht nachvollziehbar, wie viele Tiere in einen Versuch hineingingen und wie viele nachher in der statistischen Analyse aufgenommen wurden - um es mal ganz vorsichtig zu formulieren.

Also sind Tiere während des Versuchs verschwunden?

So kann man sagen, ja. In mehr als 50 Prozent der untersuchten Studien war in der behandelten Gruppe eine andere Zahl von Tieren als in der Kontrollgruppe. Diese Asymmetrie deutet darauf hin, dass Tiere aus der Untersuchung genommen wurden, denn es ergibt überhaupt keinen Sinn mit unterschiedlich großen Versuchsgruppen in ein Experiment zu starten. Es kann ja gute Gründe geben, einzelne Versuchstiere herauszunehmen - aber die müssen eben angegeben werden.

Warum wird das dennoch publiziert?

Es gibt Regeln, die Forscher einzuhalten haben; und beim Einreichen von Facharbeiten wird auch abgefragt, ob die Regeln eingehalten wurden - aber es wird nicht standardmäßig überprüft. Tierschwund ist auch nur ein Puzzlestück in der Qualitätsbeurteilung einer Studie. Randomisierung und Verblindung, wie es heute in humanmedizinischer Forschung Standard ist, finden oft nicht statt.

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Passiert das in betrügerischer Absicht?

In den meisten Fällen hat das mit Betrug nichts zu tun. Wir bezeichnen das Problem als "Bias": Die Befangenheit eines Forschers, der ja ein bestimmtes Ergebnis erzielen möchte, führt zu einer Verzerrung.

Nach dem Prinzip: Man wünscht sich etwas und findet es dann auch?

Genau dieses Problem wird durch das bestehende Wissenschaftssystem noch gefördert. Man wird nicht Professor, indem man die Studie eines anderen wiederholt oder nachweist, dass Ergebnisse anderer Gruppen nicht stimmen können. Man bekommt den Ruf nur, wenn man selbst Spektakuläres herausgefunden hat.

Gibt es überhaupt einen Weg aus diesem Dilemma?

Das kann die Wissenschaft nicht alleine lösen, das müssen die Institutionen in die Wege leiten. Die Geldgeber und die Berufungskommissionen zum Beispiel. Auch qualitativ hochwertige Arbeit muss belohnt werden und nicht nur spektakuläre Resultate. Förderorganisationen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft müssen es zur Auflage machen, dass alle Ergebnisse veröffentlicht werden und nicht nur die, die zur eigenen Hypothese passen.

Aber wer will schon zugeben, dass ein Experiment nicht geklappt hat?

Natürlich kommt man mit solchen Aufsätzen nicht in die ganz hochrangigen Journals, aber es gibt Magazine, die auch negative Resultate veröffentlichen. Nur bekommt man mit solchen Publikationen eben keinen Job und keine Gelder.

Wie lange dauert es, bis sich das ändert?

Wir wissen seit gut 15 Jahren, was da läuft. Vor zehn Jahren war ich noch optimistischer als heute, dass es schnell passieren kann. Aber wir wissen aus der klinischen Forschung, dass es prinzipiell möglich ist. Noch vor 30 bis 40 Jahren sah es da noch ganz genauso aus wie heute in den Grundlagenfächern. In klinischen Studien wäre es heute undenkbar, dass Patienten einfach verschwinden. Es hat gut 20 Jahre gedauert, bis sich etwas verbessert hat und wir sind noch lange nicht am Ziel. Noch immer wird in der humanmedizinischen Forschung nur die Hälfte aller abgeschlossenen Studien veröffentlicht.

Kann man der biomedizinischen Forschung überhaupt noch vertrauen?

Jeder kann beurteilen, ob eine Veröffentlichung etwas taugt, man muss sich nur die Zeit nehmen. Vielen Forschern fehlt allerdings das nötige statistische Verständnis. Manche Versuchstiergruppen sind so klein, dass man mit einem Würfel wahrscheinlich aussagekräftigere Ergebnisse hinbekommen würde als durch die Analyse solcher Daten. Ich halte solche Untersuchungen für unethisch, weil die Ergebnisse meistens nicht verwertbar sind. Legt man eine Untersuchung richtig an, braucht man vielleicht größere Versuchstiergruppen. Unterm Strich aber spart man Tiere, weil man robustere Ergebnisse erzielt.

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Ulrich Dirnagl ist Arzt und klinischer Koordinator am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Berlin.

© SZ vom 05.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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