Biologie:Wieso die Maus den Skorpion jagt

Kann eine Maus die Stiche eines Skorpions überleben? Im Fall der Grashüpfermaus muss die Frage umgekehrt gestellt werden: Der Skorpion hat kaum Chancen, den Angriff des possierlichen Nagers zu überstehen. Forscher haben entschlüsselt, welch raffinierter Mechanismus der Maus ihr wagemutiges Verhalten ermöglicht.

Von Christian Weber

Putzig schaut sie aus, die Grashüpfermaus: Kulleraugen, Wuschelfell, rosa Schnuppernäschen - so als könnte sie keiner Fliege etwas zuleide tun. Anders verhält es sich mit Skorpionen. Kaum ist das Exemplar der Gattung Centruroides sculpturatus - Trivialname: Kleiner Texas-Sandskorpion - in ihr Blickfeld gekrabbelt, rennt die Maus los, stürzt sich auf das Tier, verbeißt sich in dessen Körper. In heftiger Abwehr schlägt der Skorpion mit seinem giftigen Schwanz auf die Maus ein, versetzt ihr Stiche ins Gesicht. Die rührt das kaum.

Sekunden später sitzt der kleine Nager wieder auf seinen Hinterpfoten und kaut manierlich an dem erlegten Skorpion herum, als sei er ein Stück Allgäuer Käse.

Es ist ein beeindruckendes Video, das die Forscher um die Neurobiologin Ashlee Rowe von der University of Texas ins Netz gestellt haben, nicht nur, weil es unserem gewohnten Mäusebild widerspricht. Wissenschaftlich spannend ist die Tatsache, dass die Grashüpfermaus schadlos die Attacken eines Skorpions überlebt, dessen Gift als extrem schmerzhaft gilt und sogar Menschen umbringen kann. Offensichtlich haben diese Mäuse es geschafft, im Laufe der Evolution ihr Schmerzempfinden für dieses Gift einfach abzulegen.

Genau das belegen nun Rowe und Kollegen in einer molekularbiologischen Studie, die sie in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Science vorstellen. In ausgefeilten Experimenten konnten sie zeigen, dass sich im Körper der Maus bestimmte biochemische Mechanismen entwickelt haben, die verhindern, dass jene zwei Schmerzrezeptoren anspringen, über die das Gift des Skorpions üblicherweise wirkt. Mehr noch: Ausgerechnet diese toxische Dosis führt zudem dazu, dass die Maus vorübergehend für alle Arten von Schmerz unempfindlich wird.

Selbst die Wissenschaftler staunten. "Schmerz ist eigentlich sinnvoll, weil er vor Gewebeschäden warnt", erläutern die Autoren. Er erinnert Lebewesen daran, dass man nicht durch Glastüren laufen sollte, und dass womöglich ein Besuch beim Zahnarzt ansteht.

Wenn Menschen keinen Schmerz mehr empfinden

Zwar gibt es auch Menschen, die aufgrund einer seltenen, angeborenen Mutation keinen Schmerz empfinden können. Doch führen diese ein gefährliches Leben.

Der britische Genetiker James Cox berichtete 2006 im Fachblatt Nature von einem derartigen Fall in Nordpakistan. Es handelte sich um einen Jungen, der sich zur Unterhaltung der Passanten Messer durch die Arme stach und über glühende Kohlen lief. Er starb an seinem 14. Geburtstag, als er überprüfte, ob es selbst dann nicht wehtut, wenn man vom Dach eines Hauses springt.

Die furchtlosen Grashüpfermäuse hingegen gedeihen. Offenbar überwiegen in ihrem Lebensraum, etwa in Arizona, die Vorteile der Schmerzfreiheit deren Nachteile. In der Wüste gibt es keinen Käse, und in der Not frisst der Nager Skorpione.

Die Forscher denken derweil weiter, so etwa der Neurowissenschaftler Gary Lewin vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin: "Pharmafirmen haben ein großes Interesse daran, neue Arzneien zu entwickeln, die genau das tun, was das Skorpiongift mit den Grashüpfermäusen macht: Schmerz lindern." Die neue Studie könnte ein erster Schritt dahin sein.

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