Biologie:Uhr im Panzer

Lesezeit: 2 min

Ähnlich wie bei den Ringen eines Baumstammes, kann man im Panzer der Karettschildkröte das Alter ablesen. (Foto: Hawksbill Sea Turtle/Carey de Concha)

Forscher haben ermittelt, wann Karettschildkröten Nachwuchs bekommen. Dabei helfen Relikte von Atombombentests.

Von Andrea Hoferichter

An Hawaiis Stränden ist die Echte Karettschildkröte ein seltener Besucher. Nur etwa 20 weibliche Tiere gleiten hier jedes Jahr an Land, um ihre Eier abzulegen. Bisher wissen Biologen wenig über die vom Aussterben bedrohte Art. Zum Beispiel ist bis heute unklar, in welchem Alter die Schildkröten das erste Mal Nachwuchs bekommen. Dieses Geheimnis wollen Meeresbiologen aus Hawaii nun gelüftet haben - mit einer ungewöhnlichen Methode.

Das Team um Kyle van Houtan vom Pacific Islands Fisheries Science Center in Honolulu fand die Information in den braun geflammten Panzern der Karettschildkröten. "In den Hornschichten der Schildkrötenpanzer 'tickt' eine Uhr, an der man das Alter der Tiere ablesen kann", sagt van Houtan. Die Schichten aus Keratin, ein Material, das auch in Haaren und Fingernägeln des Menschen zu finden ist, enthalten unterschiedliche Mengen der radioaktiven Kohlenstoffvariante C14, je nachdem, wann sie gewachsen sind.

Durch Atombombentests Mitte des 20sten Jahrhunderts wurden in der Atmosphäre riesige Mengen des Stoffs erzeugt. Die C14-Konzentration in der Luft sinkt seitdem. Pflanzen saugen das veränderte Kohlendioxid auf und geben es an Tiere weiter. Die Abnahme der C14-Menge in der Luft spiegelt sich deshalb in den Panzern der Meeresschildkröten wieder. Je jünger die Schildkröten, desto weniger C14 gab es zu deren Lebzeiten in der Atmosphäre und desto weniger gelangte über die Nahrung in die Panzer.

Die Tiere werden erst mit 29 Jahren geschlechtsreif, deutlich später als vermutet

So konnten die Forscher das Alter der Keratin-Proben rekonstruieren. Van Houtans Team sammelte insgesamt 36 Rückenpanzer, die in den vergangenen 60 Jahren gefunden wurden, die meisten davon auf Hawaii. Die Rückenschilde stammten von toten gestrandeten Tieren, aus Museen und naturhistorischen Archiven. Die Forscher untersuchten jeweils eine Hornplatte am hinteren Ende des Panzers. "Diese Platte ist in der Regel am besten erhalten und enthält die ganze Lebenschronik einer Schildkröte", sagt van Houtan.

Bei der Auswertung der Daten erlebten die Forscher eine Überraschung: Mit Hilfe der Größe der Panzer schätzten sie ab, wann die Schildkröten geschlechtsreif wurden. Offenbar war das erst mit durchschnittlich 29 Jahren der Fall, berichten die Biologen im Fachmagazin Proceedings B of the Royal Society of Chemistry. "Das ist viel später als wir erwartet hatten", sagt van Houtan. Zwar stimmt dieses Ergebnis mit älteren Schätzungen überein, etwa der auf der Roten Liste für bedrohte Arten der Weltnaturschutzunion. Jüngere Studien, die auf Analysen von Knochenmaterial gründen, ließen aber vermuten, dass die Tiere bereits mit 20 Jahren geschlechtsreif sind. In der Karibik sollen sie sogar schon mit zehn Jahren Nachwuchs bekommen.

Stimmen van Houtans Ergebnisse, ist das eine schlechte Nachricht für die Population der Tiere auf Hawaii. "Offenbar sind die Bedingungen für die Echte Karettschildkröte in unserem Archipel nicht ideal", sagt er. Ein Grund könnte der schlechte Zustand der Korallenriffe sein, in denen die Tiere nur noch wenig Nahrung finden. Um Klarheit zu schaffen, seien weitere Untersuchungen nötig. Erklärungsbedarf gibt es auch für ein anderes Phänomen: Unter dem Mikroskop fanden die Biologen Linien im Keratin der Panzer. Sie zeigen an, dass das Wachstum der Schildkröten mehrmals pro Jahr unterbrochen wurde. Die Zeit, den Grund für diese Pausen herauszufinden, könnte allerdings knapp werden: Zwar ist die Jagd auf die Echte Karettschildkröte schon seit langem verboten, doch die Bestände erholen sich nicht schnell genug. "Tendenz fallend" heißt es dazu auf der Roten Liste.

© SZ vom 01.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: