Biologie:Gäste aus der Tundra

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(Foto: Axel Schonert)

Immer mehr Singschwäne überwintern in den nördlichen Bundesländern Deutschlands. Der Grund hierfür liegt vermutlich in neuen Futterquellen.

Von Elke Brüser

Im Februar, bevor die Singschwäne wieder zu ihren Brutgebieten im hohen Norden abfliegen, stehen die Chancen gut, ihren Gesang zu hören. Manche beschreiben die sehr speziellen Töne als glockenartig, andere vergleichen sie mit Posaunenklängen. Immer mehr Exemplare von Cygnus cygnus, der bei Alfred Brehm noch Cygnus musicus hieß, überwintern in Deutschland: die meisten in den nördlichen Bundesländern. Wer sich nicht auskennt, verwechselt Singschwäne leicht mit den Höckerschwänen, die ganzjährig in Deutschland leben.

Beide Arten sind etwa gleich groß, haben ein strahlend weißes Gefieder und einen 70 bis 80 Zentimeter langen Hals, den die Singschwäne allerdings etwas aufrechter tragen als Höckerschwäne. Das simpelste Unterscheidungsmerkmal ist der Schnabel. Bei Singschwänen ist er leuchtend gelb, bei Höckerschwänen orange-rot mit schwarzem Höcker.

Ende Oktober landen die ersten Singschwäne in der norddeutschen Küstenlandschaft, bevölkern die mecklenburgische Boddenregion oder ziehen entlang der Flüsse ins Binnenland. "Die Schwäne brauchen offene Wasserflächen für die Gefiederpflege und als Schlafplatz", sagt der Biologe Nico Stenschke von der Universität Halle. Dass immer mehr Singschwäne in Deutschland überwintern, hängt wahrscheinlich mit dem zunehmenden Anbau von Mais und von Winterrapssorten zusammen, die weniger bitter schmecken.

Wenn die Flussufer vereist sind und die großen Vögel nicht nach Wasserpflanzen wie Seegras und Laichkraut gründeln können, ernähren sie sich von den Ernteresten. Auf schneebedeckten Feldern sind die Singschwäne oft kaum zu erkennen. Sie lagern in sicherem Abstand zu Straßen und Feldwegen, gehen in der weißen Landschaft beinahe unter. Die meisten Singschwäne, die an der Mittelelbe und längs der Oder überwintern, kommen aus dem Baltikum. In Schleswig-Holstein sind vor allem skandinavische Gäste. Um herauszufinden, woher genau die Singschwäne kommen und welche Routen sie fliegen, haben die Vogelschutzorganisationen Bird Life und NABU-Wittenberg - unterstützt von der Firma Heidelberg Cement - Im Februar 2014 zwölf Singschwäne mit Halsringen und Sendern ausgestattet. Fünf der Tiere tauchten zehn Monate später wieder als Wintergäste in Deutschland auf.

Die Daten der Sender zeigten, dass sie den Sommer in der Tundra diesseits und jenseits des Urals verbracht hatten. Das Schicksal der restlichen sieben Vögel ist unbekannt. Denn die 50 Gramm leichten Sender, die mit Solarzellen arbeiten, zeichnen zwar alle 20 Minuten Flughöhe, Temperatur und Ortsdaten per GPS auf und speichern die Daten vier bis fünf Jahre lang. Doch die Informationen werden nicht via Satellit gesendet, sondern können nur abgerufen werden, wenn ein Singschwan mit Sender gesichtet wird und es einem der Projektmitglieder gelingt, sich dem Tier mit einem Laptop bis auf wenige Hundert Meter zu nähern.

Die bis jetzt gesammelten Daten deuten darauf hin, dass die Tiere relativ ortstreu sind, was Brutgebiet und Winterquartier angeht. Derzeit hoffen die beteiligten Wissenschaftler Nico Stenschke, Axel Schonert und Axel Degen, dass noch weitere Singschwäne mit gelbem Halsring von Feldornithologen oder Naturliebhabern gesichtet werden. Die beringten Vögel können fast überall zwischen Flensburg und dem Bodensee unterwegs sein. Wer eines der Tiere entdeckt, kann das unter axel.degen@t-online.de melden.

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