Biologie:Funksignale vom Falter

Forscher versehen Insekten und Vögel mit winzigen Sendern. Die Tiere könnten bald via Satellit vor Seuchen und Hurrikanen warnen.

Claus-Peter Lieckfeld

Es war nur ein kleine Etappe für den Schmetterling, aber ein großer Schritt für die Zoologie. Der Flugplatz von Lawrence, einem kleinen Ort im US-Bundesstaat Kansas, am 20.Mai 2009: Ein orange-schwarzer Monarchfalter zappelt in der Hand eines Wissenschaftlers. Der Forscher klebt dem Insekt mit einer Pinzette einen winzigen Radiotransmitter auf den Unterleib und setzt den Falter aus. Das Tier taumelt zuerst, dann erhebt es sich in die Luft und flattert davon. Chip Taylor, Direktor der Organisation "Monarch Watch" an der Kansas University, und Martin Wikelski, seit Sommer 2008 Professor an der Universität Konstanz und Direktor des Max-Planck-Institutes für Ornithologie in Radolfzell, atmen auf. Der Start ist gelungen.

Biologie: Unter dem Flügel steht die Antenne eines nur knapp 0,2 Gramm schweren Transponders hervor.

Unter dem Flügel steht die Antenne eines nur knapp 0,2 Gramm schweren Transponders hervor.

(Foto: Foto: Carrie Fudickar/MPI)

Zuerst mit einem Kleinflugzeug, dann vom Auto aus folgen Taylor und Wikelski den Signalen des Schmetterlings, orten ihn schließlich 11,4 Meilen entfernt in Richtung Nord-Nordost, wo sie ihn zwischen Büschen wieder einfangen und von dem Sender befreien. Mit dem Jungfernflug ist es erstmals gelungen, einen einzelnen Schmetterling mit einem Sender zu versehen und über eine längere Distanz mit dem Flugzeug zu verfolgen.

Dies ist zuerst einmal eine gute Nachricht für jene Biologen, die den Geheimnissen des berühmten Zugs der Monarchfalter auf die Schliche kommen wollen: Millionen dieser Schmetterlinge fliegen jedes Frühjahr von Mexiko nach Norden und erreichen nach Monaten die großen Seen in Kanada. Die dort geschlüpften Tiere fliegen dann wieder Tausende Kilometer zurück nach Mexiko. Bisher kannte man nur diese grobe Wanderungsbewegung. In Zukunft wird man einzelne Individuen auf ihrer Reise beobachten können. "Das ist ein Durchbruch für die Wissenschaft", schwärmt Wikelski. Aber: "Auch die Gesellschaft wird von den neuen Techniken profitieren, zum Beispiel bei der Prognose von Epidemien."

Bereits vor vierzig Jahren deutete sich an, dass Tiere auf Sendung einiges zu melden haben. Damals verfolgte man mit Hilfe klobiger Halsbandsender und Peilantennen etwa die Bewegungsmuster von Hirschrudeln. Oder wie rumänische Wölfe ihren Tag-Nacht-Rhythmus ändern, um sich bei Dunkelheit, vorbei an verängstigten Hofhunden, in die Städte zu schleichen. In den 1970er-Jahren erfassten Satelliten die ersten brauchbaren Daten von größeren Tieren. Wissenschaftler spürten dadurch die Wanderungen der Wale rund um den Globus auf ebenso wie die Marathon-Strecken der Meeresschildkröten. Gänse, Kraniche, Albatrosse und andere Großvögel gaben Detailauskünfte über ihre Zugrouten, über Rastplätze und Tagesflugleistungen.

Wirklich bekannt wurde die satellitengestützten Vogelforschung durch "Prinzesschen": Die weithin beliebte Störchin, seit 1994 auf Sendung, wurde Anfang 2009 in Hoopstad bei Johannesburg tot aufgefunden. Die Storchendame war Mitte August 2008 zu ihrer letzten Fernreise aufgebrochen. Von Sachsen-Anhalt aus hatte sie die Feuchtgebiete des Sudan angeflogen. Dort verweilte sie zwei Monate, bevor sie am Nikolaustag das übrige Afrika unter die Flügel nahm, kurz vor Heiligabend überflog sie die Grenze zu Südafrika, Kurs Hauptstadt. Dann verstummten die Signale.

Bald soll die ganze Tierwelt zirpen

Zu solcher Funkstille soll es in Zukunft nicht mehr kommen. Wenn es nach Wikelski ginge, würde bald die ganze Biosphäre elektronisch zirpen. Dafür steht das von ihm begründete Projekt ICARUS (International Cooperation for Animal Research Using Space). Während bis vor kurzem noch rund drei Viertel aller Vögel- und Säugetierarten sowie alle Insekten zu klein waren, um Sender zu tragen, soll sich das nun ändern. Schon bald werden Sender nur noch fünf Gramm wiegen. Weitere Gewichtsreduktionen - etwa auf ein Gramm oder gar ein halbes Gramm - werden es erlauben, routinemäßig Schmetterlinge, Libellen oder Heuschrecken zu verfolgen, so wie es jetzt versuchsweise beim Monarchfalter bereits gelungen ist.

Biologie: "Prinzesschen" machte die satellitengestützte Vogelforschung bekannt.

"Prinzesschen" machte die satellitengestützte Vogelforschung bekannt.

(Foto: Foto: dpa)

Vor kurzem trafen sich ein knappes Dutzend Ornithologen und Satelliten-Spezialisten bei Wikelski in der Vogelwarte Radolfzell, und diskutierten begeistert über die neuen Möglichkeiten. Ja, der Zug der Monarchen! Aber man könnte auch herausfinden, wie der Distelfalter den Alpenhauptkamm überquert als wäre das nur ein kleiner Maulwurfshügel.

Der dänische Ornithologe Kaspar Thorup schlug vor, den Jung-Kuckucken auf der Insel Fünen das Geheimnis zu entlocken, wie sie es schaffen, gut orientiert auf Fernwanderschaft zu gehen, obwohl ihre Pflegeeltern sie nicht per Eltern-Kind-Schulung auf Kurs bringen können.

Neue Mini-Sender könnten der Schlüssel zu fesselnden wissenschaftlichen Fragen sein. Experimentatoren könnten mit einem Klick einem Zugvogel, der einen Mini-Transponder trägt, das Magnetfeld der Erde unkenntlich machen. Verlöre der Testflieger daraufhin abrupt die Zugrichtung - was sich per ICARUS-Ortung in Echtzeit erkennen ließe -, wäre die Existenz des Magnetkompasses im Vogelhirn endgültig bewiesen.

Wikelski betont jedoch, dass es bei ICARUS weniger um ornithologische Spezialfragen geht, sondern um praktische Anwendungen. So gibt es Hinweise, dass manche Vögel und Tiere Erdbeben oder Hurrikane im Voraus fühlen und mit typischen Bewegungsmustern reagieren. Mit Minisendern versehene Frühwarner in den Risikozonen könnten die Vorwarnzeit um lebensrettende Tage oder Stunden verlängern. Bei drohenden Heuschreckenplagen könnten Insekten und Vögel, die sich auf den Verzehr dieser Großinsekten spezialisiert haben, per Satelliten-Rückmeldung einen Frühalarm auslösen. Von Wanderalbatrossen verspricht sich Wikelski, dass sie weit kostengünstiger als technische Flugobjekte die Luftzusammensetzung in der niederen Atmosphäre messen können.

Doch der wichtigste Grund für die Einrichtung der Professur in Konstanz war die Hoffnung, dass ICARUS auch bei der Bekämpfung von Vogelgrippe, Ebola und West-Nil-Virus helfen könnte. So könnten mit Sendern versehene Gänse in bekannten Vogelgrippe-Gebieten für Experten lesbare Signale produzieren: abrupt geänderte Verhaltensmuster etwa oder über den jähen Tod mehrerer Senderträger.

Überraschung in der Vogelhöhle

Nach einer Expertise des Instituts für Raumfahrttechnik der TU München, ist es bereits jetzt technisch möglich, Mini-Sender zu konstruieren, die auch Satelliten in 450 Kilometer Höhe über längere Zeit anfunken können - bisher allerdings nur in kostspieliger Handarbeit. Aber auch die Massenfertigung sollte möglich sein. Eine entscheidende Frage sei aber noch, ob die Sender den Wellensalat durchdringen können, der von Funkern aller Art angerichtet wird? Eine Cessna wird nun dieser Frage in zwei Kilometer Höhe nachgehen; sie soll den Großraum München überfliegen und ergründen, was von den Positionsmeldungen der neuen Mini-Sender noch oben ankommt. Die Hochschule der Bundeswehr hat bereits ihre Bereitschaft erklärt, sich an einer Machbarkeitsstudie zu beteiligen.

Damit unterdessen niemand auf die Idee kommt, dass es bei der tiergestützten Fernerkundung um weltfremde Grundlagenforschung geht, erzählt Wikelski gerne Geschichten wie diese: Eigentlich wollte er im Juni 2008 im Dschungel von Venezuela nur einen neuen "Black Box"-Flugschreiber mit Minisender ausprobieren. Sein Forschungsteam hatte sich zu einer Karsthöhle vorgekämpft, wo sogenannte Fettschwalme zu Zigtausenden den Tag verschlafen und in riesigen Wolken zu Beginn der kurzen tropischen Dämmerung in die umliegenden Wälder ausschwärmen, um Früchte zu suchen.

Die Forscher klebten drei Vögeln die kleinen Hightech-Sender ins Gefieder. Doch zu ihrem Erstaunen kehrte keiner von ihnen am nächsten Morgen mit der heimkehrenden Vogelwolke zurück. Sollten ausgerechnet die drei besenderten Vögel verunglückt sein? Erst nach 74 Stunden tauchten die drei Schwalme wieder in der Schlafhöhle auf. Mit einem speziellen Gerät konnten die Wissenschaftler die gespeicherten GPS-Daten der Heimkehrer auslesen.

Das Ergebnis: Die Schwalme hatten jeweils zwei Tage und Nächte im Freien verbracht - nahrungssuchend im Dunkeln, den Tag in Baumkronen schlafend -, ehe sie wieder in ihre Heimathöhle zurückkehrten, warum, weiß man noch nicht genau. Eine Schlussfolgerung war jedenfalls klar: In der Höhle herrscht Schichtbetrieb. Jeweils nur ein Drittel der Gesamtpopulation ist anwesend, während die Mehrzahl draußen schläft oder in den Wäldern unterwegs ist.

Das war eine entscheidende Einsicht. "Bisher hatte man," so Wikelski, "die Fettschwalme kaum als Verbreiter von Pflanzensamen auf der Rechnung." Man nahm an, dass sie die verdauten Kerne hauptsächlich am bekannten Ruheplatz, also in der Großhöhle, ausscheiden und ausspucken. Neuer Wissensstand dank der fernablesbaren Mini-Flugschreiber: Die Vögel sind bedeutende Freilandgärtner im Dienste botanischer Artenvielfalt. "Regenwaldschutz muss auch Schwalm-Schutz sein", sagen daher die Forscher.

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