Biologie:Fische unterscheiden menschliche Gesichter

Lesezeit: 2 min

Schützenfische erlegen ihre Beute mit einem gezielten Wasserstrahl. (Foto: AFP)

Schützenfische merken sich menschliche Gesichter verblüffend gut, zeigt ein Experiment. Bislang hatte man so eine komplexe Aufgabe nur höher entwickelten Tieren zugetraut.

Von Tina Baier

Schafe können es. Kühe und Pferde auch. Und natürlich Hunde. All diese Tiere sind in der Lage, menschliche Gesichter voneinander zu unterscheiden. Das ist weniger erstaunlich, als es zunächst erscheint. Schließlich handelt es sich um Haustiere, die ständig mit Menschen zu tun haben und deshalb vielleicht im Lauf der Zeit die Fähigkeit erworben haben, diejenigen zu erkennen, die sie mit Futter versorgen. Aber wieso können es auch Schützenfische?

Die Tiere leben in tropischen Flussmündungen und jagen Insekten, indem sie die Beute mit einem kräftigen Wasserstrahl von Uferpflanzen herunterschießen. Wenn das Insekt dann hilflos auf der Wasseroberfläche zappelt, schnappen es die Fische. Umgang mit Menschen haben diese Unterwasserschützen üblicherweise nicht. Gesichter zu erkennen, kann sich also nicht als evolutionärer Vorteil erwiesen haben. Dass sie dazu dennoch in der Lage sind, wie ein Team um die Zoologin Cait Newport von der University of Oxford herausgefunden hat, spricht dafür, dass Tiere es lernen können, Gesichter zu erkennen, ähnlich wie sie auch verschiedene Objekte unterscheiden ( Scientific Reports). Es bedarf offensichtlich nicht einer spezialisierten, hoch entwickelten Hirnstruktur im so genannten Neocortex, wie manche Wissenschaftler vermuten. Schützenfische haben ein vergleichsweise einfach strukturiertes Gehirn ohne Neocortex.

Die Fische lernen unterschiedlich schnell

In einem ersten Experiment montierten die Wissenschaftler einen Bildschirm über dem Aquarium ihrer Versuchsfische und zeigten den Tieren zwei menschliche Gesichter. Wenn sie eines der beiden Gesichter anspuckten, dass andere aber nicht, bekamen die Tiere etwas zu fressen. Die Fische lernten auf diese Weise, welches Gesicht sie nicht anspritzen durften, um die Belohnung zu bekommen. Allerdings waren sie unterschiedlich schnell: Einer der Fische wusste schon nach zwei Durchläufen, welches Gesicht tabu war, ein anderer benötigte 14 Lernzyklen. In einem weiteren Experiment sollten die Schützenfische dann das Tabu-Gesicht von 44 anderen unterscheiden, die sie zuvor noch nie gesehen hatten. Für die Tiere war das kein Problem. Mit einer Erfolgsquote von 81 Prozent zielten die Tiere auf das ihnen unbekannte Gesicht und bekamen ihre Belohnung. Das Ganze funktionierte auch dann noch, als die Biologen den Fischen die Gesichter in Schwarz-weiß zeigten, statt in Farbe. Sogar wenn die Wissenschaftler die Form der Gesichter durch eine ovale Schablone kaschierten, konnten die Fische die Aufgabe lösen.

"Eine größere Anzahl menschlicher Gesichter voneinander zu unterscheiden ist extrem schwierig", sagt Cait Newport, die Erstautorin der Studie. Denn sie ähneln sich stark in ihren grundsätzlichen Erkennungsmerkmalen: "Alle haben zwei Augen über einer Nase und einem Mund", sagt Newport. Um verschiedene Gesichter auseinanderhalten zu können, muss man auf feine Unterschiede achten. Dass die Schützenfische dazu in der Lage sind, beweist nach Ansicht der Biologen, dass keine komplizierten Hirnstrukturen erforderlich sind, um Gesichter zu unterscheiden. Möglicherweise sei der Neocortex beim Menschen aber notwendig, um ein und dasselbe Gesicht nicht nur von vorne wiederzuerkennen wie in dem Fischexperiment, sondern auch aus verschiedenen Blickwinkeln und mit unterschiedlichem Ausdruck, spekuliert Newport.

Klar ist, dass die Fähigkeit, Gesichter zu unterscheiden, bei Mensch und Fisch ganz eigene Gründe hat: Menschen sind soziale Wesen, für die es wichtig ist, Artgenossen unterscheiden zu können. Schützenfische haben dagegen wahrscheinlich ausgeprägte visuelle Fähigkeiten, weil sie kleine Beutetiere vor einem komplexen Hintergrund erkennen und dabei auch noch die Lichtbrechung des Wassers berücksichtigen müssen, wenn sie mit ihrem Wasserstrahl treffen wollen.

© SZ vom 08.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: