Biologie:Der Machmal-Fisch

Kuckuckswels

Unbeschwertes Elterndasein: Kuckuckswelse überlassen Kinderstress anderen.

(Foto: Haps/CC BY-SA 3.0)

Kuckuckswelse lassen ihre Eier von einer anderen Fischart ausbrüten. Für die Leihmütter hat das beträchtliche Nachteile. Es kommt zu einem Gemetzel.

Von Katrin Blawat

Der Kuckuckswels zählt nicht gerade zu jenen Tieren, die sich für den Nachwuchs aufopfern. Im Gegenteil: Der im afrikanischen Tanganjikasee heimische Fisch nutzt eine extravagante Form der Fremdbetreuung für seine Jungen, der er auch seinen Namen verdankt: Er jubelt in einem genau abgepassten Moment seine Eier einem artfremden Weibchen unter. Der Kuckuckswels ist der einzige bekannte Fisch, der sich ausschließlich auf diesen sogenannten Brutparasitismus verlässt, um seinen Nachwuchs großzuziehen. Wie der ungewöhnliche Brutparasitismus unter Wasser funktioniert, woran er scheitern kann und welchen Preis er mit sich bringt, beschrieb kürzlich ein Team um Martin Reichard von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften im Fachmagazin Science Advances.

Als Wirtstiere für den Kuckuckswels dienen Buntbarsche, die ihrerseits ebenfalls auf spezielle Weise für ihre Eier sorgen. Das Weibchen sammelt zunächst mit dem Mund die noch unbefruchteten Eier von einem eigens präparierten Sandflecken auf, um dann den Samen vom Männchen aufzunehmen. Die Eier brütet es dann zwei bis drei Wochen lang im Mund aus. Evolutionär gesehen keine schlechte Idee, weil der Nachwuchs gut geschützt ist vor Fressfeinden - zumindest vor solchen, die von außen kommen.

Wenn die Buntbarsche nur Nachteile haben, wie konnte sich dieses System etablieren

In den wenigen Sekunden, in denen der Buntbarsch seine eigenen Eier aufliest, schmuggelt der Kuckuckswels seine Eier unter die des Wirts-Weibchens, auf dass dieses auch die fremden Nachkommen im Mund ausbrütet. Die Larven des Kuckuckswelses schlüpfen jedoch schneller, haben dann Hunger - und fressen noch in der Mundhöhle, was ihnen am nächsten ist: die Buntbarsch-Eier. Am Ende schwimmen daher oft nur Kuckuckswelse aus dem Mund einer Buntbarsch-Mutter.

Auf lange Sicht wäre das für keinen der Beteiligten eine gute Lösung. Dem Kuckuckswels muss schließlich daran gelegen sein, den Buntbarsch-Nachwuchs nicht auszurotten. Sonst könnte er seine Eier nirgendwo mehr hin schmuggeln. Daher sind auch die Wirtsfische nicht vollkommen wehrlos; ihre Chance liegt in jenem Moment, in dem sie die Eier in den Mund aufnehmen. Buntbarsch-Weibchen können unter anderem anhand der Größe erkennen, welche Eier von ihnen selbst stammen und welche vom Kuckuckswels (letztere sind etwas kleiner). Fehlerlos funktioniert die Unterscheidung jedoch nicht, und diese Schwachstelle kommt den Brutparasiten zugute.

Die Fähigkeit, zwischen eigener und fremder Brut zu differenzieren, hat sich bei den Buntbarschen zum Teil im Lauf der Evolution entwickelt. Darüber hinaus beruht sie aber auf individuellem Lernen, wie Experimente gezeigt haben. Die Forscher verglichen das Unterscheidungsvermögen von Buntbarsch-Arten aus dem Tanganjikasee und anderen Buntbarsch-Spezies aus Gewässern, in denen der Kuckuckswels nicht vorkommt. Die unerfahrenen Wirtstiere ließen sich bis um das Elffache leichter täuschen, was sich auf die fehlende "evolutionäre Erfahrung" zurückführen lässt. Die Trefferquote der unbedarften Wirtsfische besserte sich jedoch im Lauf der Experimente. Das lässt auf einen individuellen Lerneffekt schließen. Dennoch blieben Buntbarsche aus dem Tanganjikasee deutlich erfolgreicher.

Allerdings zahlten jene Weibchen, die fremde Eier besonders rigoros aussortierten, einen hohen Preis: Regelmäßig fielen auch ihre eigenen Eier durch das Erkennungsraster und wurden fälschlicherweise ebenfalls abgelehnt.

Gut weg kommen die Wirtsfische somit in keinem Fall. "Für die Buntbarsche hat der Brutparasitismus nichts Gutes", sagt Studienleiter Reichard. "Sie können nur versuchen, den Verlust so gering wie möglich zu halten." Ihre Lage ist sogar noch schlechter als die der Vögel, denen fremde Eier untergeschoben werden. "Der Kuckuckswels geht noch einen Schritt weiter", sagt Reichard. Jungvögel des Europäischen Kuckucks werfen ihre artfremden "Geschwister" zwar häufig aus dem gemeinsamen Nest, doch immerhin fressen sie sie nicht auf.

Wenn die Buntbarsche nur Nachteile durch die parasitären Kuckuckswelse haben - wieso konnte sich dann ein derartiges System überhaupt erhalten? Martin Reichard sieht die Erklärung in "starken mütterlichen Instinkten" der Buntbarsche. Und auch wenn der Brutparasitismus in dieser Form unter Fischen bisher nur vom Kuckuckswels bekannt ist, setzten viele Fischarten auf andere, weniger extreme Formen der Fremdbetreuung. Manche Spezies praktizieren einen "fakultativen Parasitismus" innerhalb der eigenen Art: Dort kümmern sich die Eltern nur um den Nachwuchs, wenn es gar nicht anders geht. Falls möglich, schummeln sie ihre Eier Artgenossen unter.

Weniger einseitig ist das gemeinschaftliche Kümmern um die Brut, bei der mehrere Elternpaare die eigenen wie auch fremde Nachkommen beschützen. In einer weiteren Variante helfen nicht-verwandte Artgenossen beim Schutz fremder Jungen. Im Gegenzug dürfen diese "Paten" in der Gruppe bleiben, wodurch sie ihrerseits vor Fressfeinden geschützt sind. Es komme unter Fischen häufig vor, dass sich jemand anders als die eigenen Eltern um den Nachwuchs kümmert, resümiert der Biologe Brian Wisenden in einer Übersichtsarbeit. Hauptsächlich liege das an den geringen Kosten, die das für Fische bedeute. Sich um Junge zu kümmern, heißt für Fisch-Eltern kaum mehr, als sie vor Fressfeinden zu schützen. Damit wird ihnen deutlich weniger abverlangt als Säugetier-Eltern, die viel Energie in die Milchproduktion stecken, oder auch vielen Vögeln, die ein aufwendiges Nest bauen und dann ständig Nahrung für die Kleinen heranschaffen müssen. Weil der eigene Nachwuchs ihnen nicht allzu viel abverlangt, können es sich Fisch-Eltern leisten, ein Auge auch auf andere Junge zu haben.

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