Biologie der Größe:Das Geheimnis der absoluten Giganten

Warum ist der Mensch keine vier Meter groß, wieso die Ameise millimeterklein? Biologen erforschen, welche Faktoren für die Größe eines Lebewesens verantwortlich sind - und finden faszinierende Antworten beim größten Landlebewesen aller Zeiten.

Esther Göbel

Dass es im Leben nicht auf die Größe ankomme, würde Martin Sander wohl bestreiten. Schließlich erforscht der Paläontologe von der Universität Bonn ein Objekt der Superlative: eines der größten Tiere, das jemals an Land gelebt hat, im Extremfall so hoch wie drei Giraffen, mit einer Körpermasse von zehn Elefanten, einem Hals so lang wie drei Kobraschlangen und einem täglichen Futterpensum von einer halben Tonne. So liest sich der Steckbrief des Brachiosaurus, dem wohl berühmtesten Vertreter des bis zu 30 Meter langen und 70 Tonnen schweren Sauropoden; jenen vierbeinigen, pflanzenfressenden, Dinosauriern, die während des Oberjura 145 Millionen Jahre lang das Leben an Land dominierten.

Seit mehr als sieben Jahren erforscht Sander mit seinem Team die Biologie der Riesentiere. Gerade haben die Wissenschaftler aus ihren Ergebnissen eine Ausstellung im American Museum of Natural History in Manhatten zusammengetragen. Die extreme Größe der Saurier, in Fachkreisen "Gigantismus" genannt, fasziniert nicht nur Sander und seine Kollegen. Die Sauropoden gelten als die Superstars unter den Landbewohnern; im gesamten Tierreich haben nur Wale eine noch größere Körpermasse.

Wie aber konnten die Sauropoden eine derartige Größe erreichen? Und warum wurde nach ihrem Aussterben kein anderes Landlebewesen mehr so groß? Welche Faktoren entscheiden darüber, wie klein eine Ameise bleibt oder wie groß ein Elefant wird? Wieso wächst der Mensch nicht drei, vier oder gar zehn Meter in den Himmel? So banal diese Fragen auch klingen mögen, die Forschung kann sie längst nicht alle beantworten.

Im Fall der Sauropoden allerdings haben die Wissenschaftler zumindest einige Erklärungen gefunden. "Diese Saurier konnten deshalb so groß werden, weil sich bei ihnen zwei primitive Merkmale - Eier legen und die Nahrung nicht kauen - mit zwei evolutiven Innovationen gekoppelt haben: mit einer hohen Stoffwechselrate und einer vogelartigen Lunge", erklärt Sander. Indem sie Eier legten, garantierten die Sauropoden eine hohe Zahl an Nachkommen und damit eine stabile Population. Das Fehlen von Zähnen machte den Dinosaurierkopf leichter - was wiederum den langen Hals ermöglichte. Dieser verschaffte den Riesentieren einen energetischen Vorteil. Sie konnten große Flächen abgrasen, also mehr Energie aus ihrer Umgebung aufnehmen als andere Tiere. Da sie nicht kauten, sparten die Sauropoden Zeit; ein Brachiosaurus schlang sein Essen hastig herunter. Dank der hohen Stoffwechselrate konnten die Saurier schnell an Größe zulegen. Und die große, vogelähnliche Lunge mit ihren Luftsäcken ermöglichte das Atmen trotz des langen Halses - die Lunge eines Säugetiers wäre dieser Aufgabe nicht gewachsen.

Ihre gigantische Größe brachte den Sauropoden vor allem einen Vorteil: Schutz vor Raubfeinden. "Die größten Pflanzenfresser sind den Fleischfressern praktisch davon gewachsen", sagt Sander. "So waren sie als erwachsene Tiere nicht mehr gefährdet." Vor dem Aussterben konnte dies die Tiere nicht bewahren. Gemeinsam mit allen anderen Dinosauriern verschwanden die Sauropoden vor 65 Millionen Jahren von der Erde.

Übrig bleibt die Frage nach den entscheidenden Faktoren für die Größe eines Lebewesens. "Die Körpergröße hängt von vielen Faktoren ab, vor allem aber von der Umwelt", sagt der Evolutionsbiologe Ralph Tiedemann von der Universität Potsdam. Haben zum Beispiel die großen Tiere einer Population Vorteile bei der Nahrungssuche oder können sie sich besser vor Fressfeinden schützen als kleinere Exemplare, werden die Individuen von Generation zu Generation größer. Wissenschaftler nennen diesen Vorgang gerichtete Selektion. Sie ist, neben zufälligen und spontanen Änderungen des Erbguts, der Motor, der die Evolution vorantreibt.

Doch Lebewesen wachsen nicht bis in die Unendlichkeit - sondern nur so lange, bis sich die Vorteile einer bestimmten Größe erschöpft haben. Das entscheidende Kriterium dabei ist die sogenannte Fitness der Individuen, also die Anzahl der Nachkommen. Es setzen sich diejenigen Individuen mit ihren Merkmalen durch, welche die meisten Nachkommen produzieren. Manchmal können das auch kleine Tiere sein. Nämlich dann, wenn die kostbare Nahrung knapp wird und nicht mehr ausreichen würde, um große Exemplare mit der nötigen Energie zu versorgen. Oder wenn das Futter in einem schmalen Erdloch steckt, in das nur die kleinen Individuen hineingelangen, oder wenn man flink und beweglich sein muss, um seine Räuber abzuwehren.

Auch die geographische Lage beeinflusst das Größenwachstum. Große Tiere, die auf Inseln eingewandert sind, werden dort von Generation zu Generation kleiner. Ein Beispiel dafür ist der Zwergelefant auf Borneo mit einer Schulterhöhhe von 2,50 Meter - ein Winzling im Vergleich zum Asiatischen Elefanten mit bis zu 3,50 Meter Schulterhöhe. Kleine Tiere hingegen werden über Generationen auf Inseln größer. Welche Kräfte es genau sind, die diese besondere Anpassung der Tiere an ihre neue Umwelt bewirken, kann bis heute niemand sagen. Wohl aber, dass das Phänomen bei verschiedenen Tiergruppen auftritt. "Man kann die Entwicklung bei Säugern, aber auch bei Vögeln, Schlangen und Schildkröten beobachten", sagt Yingguang Frank Chan vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön. Er untersucht das sogenannte Inselphänomen an Riesenmäusen, die sich auf den Färöer Inseln im Nordatlantik entwickelt haben.

Als ganz normale Hausmäuse waren sie vor etwa 150 Jahren auf die Vulkaninsel gelangt. Dann legten die Tiere stetig an Größe zu. Mittlerweile sind sie so groß, dass sie sogar die einheimischen Vogelarten bedrohen und deren Küken fressen. "Wir wissen bislang nicht, wieso die Mäuse so groß werden konnten", sagt Chan. Er sucht in den Genen der Tiere nach Hinweisen. "Ein Grund könnte sein, dass die Mäuse in ihrer neuen Umgebung keine natürlichen Feinde fanden", sagt Chan. "Also bestand für sie kein Selektionsdruck, so klein zu bleiben wie ihre Artgenossen auf dem Festland."

Darüber hinaus bestimmt auch die Physiologie eines Tieres dessen Größe. Insekten beispielsweise sind heute in der Regel nur wenige Zentimeter groß, weil sie über ein besonderes System der Transpiration und Atmung verfügen. Sie atmen über kleine Röhrchen und Kanäle, die sich wie ein Netz durch den gesamten Körper ziehen und Verbindungen nach außen haben. So gelangt frischer Sauerstoff direkt in die Zellen. Dieses System hat jedoch einen entscheidenden Nachteil. Der Gasaustausch erfolgt viel langsamer als bei Vögeln oder Säugern, die über ihre Lunge atmen. Ein Insekt, das so groß wäre wie ein Vogel oder ein mittelgroßes Säugetier, könnte niemals überleben; die Sauerstoffversorgung würde zu lange dauern.

Der Mensch bildet bei all diesen Gesetzmäßigkeiten keine Ausnahme. Auch bei ihm bestimmen Physiologie und Umwelteinflüsse die Grenzen seines Wachstums, wie die Entwicklung der vergangenen Jahrhunderte zeigt. "Die Menschen wurden über einen langen Zeitraum immer größer", sagt die Zoologin Susanne Foitzik von der Universität Mainz. "Das hat vor allem mit der verbesserten Ernährung zu tun." Dennoch wird der Mensch nicht unaufhörlich weiterwachsen. Seine Größe von maximal etwa zwei Metern wird er nicht überschreiten. "Wir sind von unserem Bauplan her gar nicht für mehr ausgelegt", sagt die Biologin Christiane Scheffler von der Universität Potsdam. "Wären wir noch größer, würde es uns an Stabilität fehlen - wir würden umkippen." Der aufrechte Gang des Menschen auf zwei Beinen lässt nur eine bestimmte Größe zu. Wäre Homo sapiens deutlich größer, wäre außerdem sein Herz-Kreislaufsystem überlastet.

Hinzu kommt, dass die Körpergröße auch von den Genen beeinflusst und daher nicht beliebig variierbar ist. Selbst wenn die Umweltbedingungen ideal sind, es also beispielsweise mehr als genug Nahrung gibt, kann ein Mensch nur so groß werden, wie seine Gene es zulassen. An der Regulation der Körpergröße sind mehrere Gene beteiligt, einige von ihnen haben Wissenschaftler mittlerweile identifiziert. Doch viele Details sind noch immer unklar.

Zwar gibt es nach wie vor einen geschlechtsbedingten Unterschied in der Körpergröße. Doch die Differenz zwischen Frauen und Männern ist im Lauf der Zeit geschrumpft. Männer sind zwar im Durchschnitt immer noch um sieben Prozent größer als Frauen. Doch beim Homo habilis oder Homo erectus, den Vorfahren des modernen Menschen, waren die Unterschiede deutlicher ausgeprägt. Offenbar hat der Mensch im Lauf seiner kulturellen Evolution verstanden, dass die Merkmale "groß und stark" nicht allein ausschlaggebend sind für die Partnerwahl. Frauen entschieden irgendwann nicht mehr allein nach den Körpermaßen, so glichen sich Frau und Mann in ihrer Körpergröße immer mehr an.

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