Bio:Die heiligen drei Buchstaben

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Öko-Landwirtschaft erscheint als Inbegriff des Guten. Hohe Erwartungen veranlassen Menschen, Bio-Produkte aus Gründen zu kaufen, die zweifelhaft oder schlicht unrealistisch sind. Was an Bio ist wirklich besser?

Von Berit Uhlmann

"Dioxin in Bioeiern!" Das ist der Stoff für Schlagzeilen, für Empörung, bittere Enttäuschung. Dabei sind solche Funde genau genommen nicht spektakulär. Dioxin, das auch natürlichen Ursprungs sein kann, lagert sich im Boden ab. Picken Hennen viel im Freien, wie es in der Biohaltung üblich ist, nehmen sie mehr von dem Schadstoff auf; so gelangt er in die Eier.

Dass solche Vorkommnisse dennoch verstören, muss wohl den hohen Erwartungen zugeschrieben werden: Ökologische Landwirtschaft hat makellos zu sein, eine letzte Bastion des Natürlichen, Traditionellen, des Guten schlechthin. "Bio hat generell einen Heiligenschein", sagt Urs Niggli, Direktor des Schweizer Forschungsinstituts für biologischen Landbau. Erbitterte Grabenkämpfe sind die Folge.

Warum SZ.de-Leser bio kaufen (Foto: SZ.de)

Fast 5000 Leser von Süddeutsche.de haben ihre Beweggründe genannt, Bio-Lebensmittel zu kaufen. Für die Mehrheit war der Tierschutz das wichtigste Motiv. Doch geht es Tieren in Biohaltung besser? Die Ökoverbände selbst schreien nicht gerade ein Ja in die Welt. Von sieben Verbänden werben nur drei (Bioland, Demeter und Biopark) explizit damit, etwas für das Tierwohl zu tun, und dies auch nicht mit großem Enthusiasmus.

Gewiss hat die Bio-Haltung einige Vorteile gegenüber den konventionellen Ställen: Es gibt etwas mehr Platz für die Tiere, Auslauf und Beschäftigungsmöglichkeiten. Die meisten Anbau-Verbände ersparen den Tieren Scheußlichkeiten wie das Kürzen der Hühner-Schnäbel oder das vorsorgliche Kupieren der Schweineschwänze. Das hört man gerne, jedoch: Die konventionell arbeitenden Bauern amputieren ihren Tieren nicht aus purem Sadismus Teile des Körpers. Sie wollen mit diesen Prozeduren die schlimmsten Auswirkungen der tierischen Verhaltensauffälligen reduzieren. Schweine beißen einander die Schwänze ab, Hühner hacken einander blutig oder gar tot, wenn sie nicht genügend Beschäftigung haben, wenn sie in viel zu großen Gruppen unter Stress geraten, wenn sie in qualvoller Enge leben. Auch auf Biohöfen.

Der Büro-Schreibtisch, an dem dieser Text entsteht, misst 1,5 Quadratmeter. Das ist exakt die Fläche, die einem komplett ausgewachsenen Ökoschwein zusteht (in konventioneller Haltung ist es ein Meter). Das ist bei den vielgepriesenen Verbänden Bioland und Demeter nicht anders als bei den oft kritisierten Mindestanforderungen, die das EU-Biosiegel vorschreibt.

In der Geflügelhaltung müssen sich neun Hühner die schreibtischgroße Fläche teilen. Auch dieser Platz ist mit Ausnahme von Demeter bei allen Verbänden Usus. Er ist zwar 50 Prozent größer als in der konventionellen Haltung, doch tut er den Tieren gut?

Auch Biohühner picken auf ihre Artgenossen ein, wobei neben der Enge vor allem die Größe der Tiergruppe der entscheidende Faktor für das Verhalten zu sein scheint, wie man Steffen Hoys Standardwerk: "Nutztierethologie" entnehmen kann. Denn Bio bedeutet eben nicht, dass zehn Hühner fröhlich gackernd über den Hof wackeln; sondern dass Bauern 3000 Legehennen in einen Stall sperren dürfen - und zwar bei allen Verbänden.

Ob Bio oder nicht: Den Preisdruck im Lebensmittelsektor spüren alle Bauern, und so werden die Tiere fast überall gnadenlos auf Leistung hin optimiert. Masthähnchen sind lebende Produktionsstätten von Hähnchenbrustfilets. An der Brust setzen sie so viel Fleisch an, dass ihre Beine sich unter dem Gewicht grotesk verformen. Die Hähne müssen ihre übergroße Brust zunehmend auf dem Boden ablegen, wo sie Wunden und Entzündungen davon trägt. "Diese Qualzuchtrassen werden zumeist auch in der Biohaltung eingesetzt", sagt Lisa Wittmann von der Tierschutzorganisation Peta. Nach 80 Tagen endet das Leben dieser Hähne unter dem Schlachtemesser; ihre natürliche Lebenserwartung beträgt bis zu zehn Jahre.

Kühe geben heute sechsmal mehr Milch, als sie von Natur aus tun würden. Damit unnatürlich viel rauskommt, muss unnatürlich viel reingesteckt werden: Enorme Mengen an Kraftfutter, für die das Verdauungssystem der Tiere nicht ausgelegt ist. Die Kühe können schwer krank werden. Das Problem ist nicht auf konventionelle Höfe beschränkt, erläutert Thomas Richter, Vorstandsmitglied in der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz.

Es ist unbenommen, dass die Zustände in der konventionellen Mast noch viel schlimmer sind. Wer die Bilder von riesigen, lichtlosen Hallen sieht, in denen zehntausende Hähne oder Hennen verstört, verletzt, verdreckt ihrem Tod im Schlachthaus entgegen vegetieren, kann sie so schnell nicht vergessen. Aber ist besser als ganz schlimm zwangsläufig gut?

Die Einschätzungen gehen weit auseinander. Der Deutsche Tierschutzbund erklärt, in Bio-Haltung werde signifikant mehr für den Tierschutz getan - räumt aber zugleich ein, dass der Schwerpunkt in der in der Ökolandwirtschaft "nicht so sehr auf dem Tierschutz liegt".

Hilal Sezgin befasst sich als Philosophin und Buchautorin seit langem mit der Tierethik. In ihrem aktuellen Buch "Artgerecht ist nur die Freiheit" resümiert sie: "Natürlich werden auch bei der Bio-Haltung Tiere eingepfercht, können sie ihre artgemäßen Verhaltensweisen nicht ausüben, werden Familien auseinandergerissen und sind die Tiere meist bereits so gezüchtet, dass sie physisch leiden". Ihre Lösung ist eine vegane Ernährung. Kompletter Verzicht auf tierische Produkte ist auch die Konsequenz von Peta.

Urs Niggli hält dagegen, dass drei Viertel der globalen Landwirtschaftsfläche Dauergrünland ist, das sich für den Anbau von Nutzpflanzen nicht eignet. "Kühe, Schafe und Ziegen erzeugen daraus wertvolle eiweisshaltige Lebensmittel. Umso wichtiger ist es, dass der Umgang mit Tieren respektvoll ist. Der Ökolandbau muss hier zum Vorreiter werden".

Dagegen hält Thomas Blaha, Vorsitzender der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz, gar nichts von der Diskussion Bio oder konventionell. Für ihn ist entscheidend, dass Bauern mit Sorgfalt, Kenntnis und Empathie nach ihren Tieren schauen. Dies ist eher eine Frage der Persönlichkeit und der finanziellen Ressourcen als eine der Haltungsformen.

Ausgedehnte Teppiche grüner Algen verderben seit Jahren vielen Menschen den Badeurlaub. Sie sind eine der augenfälligsten Auswirkungen der Unmengen von Dünger, die von den Feldern in Gewässer geschwemmt werden. Stickstoff ist der Inhaltsstoff, der im Wasser Algen und an Land Gräser und Brennnesseln wuchern lässt - auf Kosten anderer Lebewesen, die mit dem Stickstoff-Überangebot nicht zurecht kommen. Das Umweltbundesamt bilanziert: Mit der ungebremsten Freisetzung von Stickstoff hat "die Menschheit schon heute die Belastbarkeit der Erde deutlich überschritten" - und schlägt als Lösung mehr Bio-Landwirtschaft vor. Ökolandwirte kommen ohne Mineraldünger aus und verursachen in der Regel geringere Stickstoffeinträge in die Umwelt.

Das zweitwichtigste Motiv für Bio-Lebensmittel war für die Leser von Süddeutsche.de der Umweltschutz. Die Verbände selbst werben durchaus offensiv mit den Vorteilen für die Umwelt - und in vielen Bereichen scheinen sie damit Recht zu haben. Umweltbundesamt und Verbraucherzentralen bilanzieren: "Der ökologische Landbau hat aus Umweltperspektive deutliche Vorteile gegenüber der konventionellen Landwirtschaft".

Sie verweisen unter anderem auf das Verbot von chemischen Pflanzengiften im Ökolandbau, die nicht nur Unkräuter, sondern weit mehr Lebewesen töten. Das Bienensterben geht zumindest in Teilen auf die Pestizide zurück. Auch Amphibien überleben die Gifte oft nicht. Allerdings erkaufen Biobauern den Verzicht in einigen Fällen mit dem Einsatz von Kupfer. Das Schwermetall wird gegen Pilzbefall bei Pflanzen eingesetzt, es kann aber Lebewesen in Boden und Wasser schädigen.

Doch unterm Strich leben auf ökologisch bewirtschafteten Flächen durchschnittlich 30 Prozent mehr Arten als auf konventionellen Äckern. Dazu trägt auch bei, dass Biobauern die Böden weniger auslaugen, die Pflanzenart auf ihren Feldern häufiger wechseln und öfter Ackerstreifen, Hecken oder andere naturnahe Flächen stehen lassen.

Und doch gibt es auch bei dieser Erkenntnis ein Aber: Legt man das gedankliche Raster größer an, ist auch die umgekehrte Schlussfolgerung möglich. Der Biolandbau hat geringere Erträge und braucht daher mehr Land, wie eine große Auswertung von mehr als 70 Studien ergab. Dies heißt auch, dass die konventionelle Landwirtschaft es ermöglicht, mehr Flächen komplett der Natur zu überlassen.

Zugleich ergab die Studie große Unterschiede zwischen einzelnen Farmen, die eher auf das Management der Bauern als auf die Existenz oder das Fehlen eines Biosiegels zurückgehen. "Das legt nahe", kommentieren die Autoren, "dass viel erreicht werden könnte, wenn man die vereinfachende Bio-versus-Konventionell-Debatte hinter sich lässt, und schaut, wie man die umweltfreundlichsten Praktiken beider Typen kombiniert".

Es ist ein neues Modewort, kaum eine Ankündigung, der es nicht vorangestellt wird: Wer besonders nachdrücklich wirken will, nennt seine Absichten "nachhaltig". Süddeutsche.de-Leser kaufen Bio-Produkte vor allem auch deshalb, weil sie nachhaltiges Wirtschaften erwarten. Zurecht? Die Verbände selbst klappern mit der Nachhaltigkeit nicht besonders.

Dabei gibt es jene Biobauern, die ihr Futter selbst anbauen, es an die Tiere verfüttern und mit deren Gülle wiederum die Felder düngen. Kreislaufwirtschaft heißt dieses fein austarierte System. Auch wenn es kein komplettes Perpetuum mobile ist - denn sobald der Bauer mit herkömmlichen Treibstoff auf seinem Traktor fährt, verbraucht er die Ressource Erdöl unwiederbringlich - so ist es doch eine nachhaltige Wirtschaftsform.

Doch längst nicht jeder Biobauer hat seinen Hof derart aufgestellt. Und selbst bei jenen, die weitgehend geschlossene Kreisläufe schaffen, ist nicht klar, wie nachhaltig sich ihr Wirtschaften tatsächlich auswirkt. Denn aussagekräftige Kriterien, um den Ressourcenverbrauch und -erhalt zu messen, haben auch die Ökoverbände nicht.

Wie derartige Kriterien aussehen könnten, zeigt das Nachhaltigkeits-Zertifikat, das die deutsche Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) gemeinsam mit Wissenschaftlern für den Ackerbau erarbeitet hat. Es berücksichtigt eine ganze Reihe von Größen, etwa den Stickstoff- und den Humus-Saldo, die Biodiversität und den Ausstoß von Treibhausgasen. Dem komplizierten Zertifizierungsverfahren haben sich bislang 30 Betriebe unterzogen. "Die meisten wirtschaften konventionell", teilt die DLG mit.

Wem der Tierschutz am Herzen liegt, der steht vor der schwierigen Entscheidung, wieviel Wohl er den Tieren zugedenkt. Auch in der Biolandwirtschaft können Tiere leiden, andererseits ist eine komplett artgerechte Haltung kaum bezahlbar. Um das für sie vertretbare Maß zu finden, können Verbraucher versuchen, sich beim Erzeuger umzuschauen und dort zu kaufen. Der Tierschutzbund empfiehlt zudem das Neuland-Siegel. Seine Tierwohl-Kriterien gelten als die strengsten.

Konsumenten, denen vor allem der Umweltschutz wichtig ist, sind dagegen mit Bioprodukten gut beraten. Auch das nachhaltige Wirtschaften dürfte bei den Ökoverbänden im Schnitt einen größeren Raum einnehmen. In diesem Bereich können Verbraucher allerdings auch selbst viel tun. Indem sie Lebensmittelverschwendung vermeiden.

Wer gegen jegliche Gentechnik ist, ist ebenfalls bei Bioprodukten auf der richtigen Seite. Das gleiche gilt für Menschen, die Antibiotika in der Tiermast einschränken wollen. Biobauern setzen die Medikamente zurückhaltender ein.

Dagegen dürfte sich die Hoffnung, durch Öko-Kost gesünder zu bleiben, nicht erfüllen. Manche Bio-Lebensmittel mögen zwar etwas höhere Konzentrationen einzelner Nährstoffe haben, die meisten sind auch kaum mit Pestiziden belastet, doch eine Auswirkung auf den Gesundheitszustand ist nicht nachgewiesen. Die meisten Öko-Verbände behaupten dies auch gar nicht.

Abgesehen von Demeter, dessen Landwirte seltsame Versprechen über die Nutzung "kosmischer und geistiger Kräfte" abgeben, kann man den Verbänden kaum vorwerfen, in großem Maße unrealistische Erwartungen zu schüren. Dass Bio dennoch den Heiligenschein trägt, scheint eher einer gesellschaftlichen Sehnsucht zu entspringen. Die aber kann nur dann sinnvoll sein, wenn sie auch kritische Fragen zulässt. Denn die gesamte Landwirtschaft steht vor drängenden Aufgaben. Wie kann die wachsende Weltbevölkerung ernährt werden, ohne die Umwelt übermäßig zu strapazieren? In dieser komplexen Materie kann die simple Zweiteilung vom guten Bio und schlechtem konventionellen Landbau nicht bestehen.

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