Bier vor 3000 Jahren:Augen zu, Mund auf

Wie schmeckte Bier vor 3000 Jahren? Archäologen und Brauer probieren antike Rezepte aus - persönliche Verkostung inklusive.

Sebastian Herrmann

Vier volle Gläser stehen vor dem geöffneten Fenster. In einem lässt die Nach-mittagssonne die dunkelgelbe Flüssigkeit intensiv leuchten. "Hat wirklich gerade jemand Urinprobe dazu gesagt?", fragt Martin Zarnkow in die Runde. Der Brauereitechniker riecht an dem Trank und nippt. Dann wandert das Glas durch die Reihen der etwa 20 Anwesenden, die gedrängt zwischen Maischegläsern, Schläuchen, Spülbecken und Regalen mit Aktenordnern im Kleinen Sudhaus des Lehrstuhls für Brauerei- und Getränketechnik in Weihenstephan stehen.

Bier vor 3000 Jahren: Bier war in Mesopotamien ein Grundnahrungsmittel. Martin Zarnkow von der TU München versucht mittels eines Rezepts, das auf einer Schrifttafel entdeckt wurde, Bier zu brauen.

Bier war in Mesopotamien ein Grundnahrungsmittel. Martin Zarnkow von der TU München versucht mittels eines Rezepts, das auf einer Schrifttafel entdeckt wurde, Bier zu brauen.

(Foto: Adelheid Otto)

Martin Zarnkow prüft die drei weiteren Gläser und gibt sie in die Runde. Milchig-trüb ist die Flüssigkeit darin; in einem Glas schwimmt eine schaumige Haube aus Getreidebröckchen. Eine Studentin riecht, trinkt und verzieht das Gesicht. "Keine Mimik, keine Äußerungen", mahnt Martin Zarnkow die Runde, "das verfälscht das Geschmackserlebnis bei Bierproben."

Die vier Gläser sind mit besonderen Bieren gefüllt, die sehr seltsam schmecken. Das dunkelgelbe Gebräu ist sauer, wie gegorene Molke mit Fruchtaroma. Immerhin ist es gut gekühlt und leicht erfrischend. Die trüben Biere - eines in Raumtemperatur - lassen im Rachen ein leichtes, aber unangenehmes Brennen zurück. Unangenehm, weil es sich so anfühlt, als habe man sich eben übergeben.

Außergewöhnliche Getränke

Auch der Geschmack lässt sich in diese Kategorie einordnen. Trotzdem, diese Getränke sind außergewöhnlich. Es handelt sich um Biere, wie sie vor mehr als 3000 Jahren im antiken Mesopotamien getrunken wurden - Urururtyp aus der Wiege der Bierkultur.

Das Gebräu ist das Ergebnis einer ungewöhnlichen Kooperation. Die Biere des Alten Orients haben die Archäologin Adelheid Otto, den Altorientalisten Walther Sallaberger und den Brautechnologen Martin Zarnkow im Kleinen Sudhaus von Weihenstephan zusammengeführt. Sie betreiben Archäologie, Philologie und Brauerei mit experimentellem Überbau. Die Rezepte ihrer Biere haben sie aus archäologischen Funden, aus Keilschrifttafeln und ständiger Überprüfung im Sudkessel entwickelt.

Dabei entsteht mehr als nur saures Bier. Archäologin Otto erhält Einblick in den antiken Alltag im Zweistromland und erfährt mehr darüber, welche Bedeutung Bier einst hatte. Altorientalist Sallaberger erlaubten die Brauexperimente eine Neuübersetzung der Hymne der sumerischen Biergöttin Ninkasi, auf der das Schriftwissen über die Bierkultur im Alten Orient beruht.

Blick auf historische Brautechniken

Die Evidenz darüber, was im tatsächlichen Brauvorgang funktioniere und was nicht, habe den Text neu erschlossen und Fehlübersetzungen entlarvt, sagt Sallaberger. Martin Zarnkow bietet das Projekt einen Blick auf historische Brautechniken und Einsichten, welche vermeintlich unmöglichen Verfahren doch funktionieren.

Ausgangspunkt des interdisziplinären Gärvorgangs war die Ausgrabungsstätte Tall Bazi im Nordosten Syriens. Seit 1993 graben Archäologen dort die einst bedeutende Siedlung aus, die im 12. Jahrhundert vor Christus wohl in einem Krieg zerstört wurde und nun wegen des Tishreen-Damms zum Teil unter dem Wasser des Euphrats liegt. In vielen Häusern fanden die Archäologen gleiche Tongefäße von überraschender Größe. "Darauf konnte ich mir erst keinen Reim machen", sagt Adelheid Otto.

Die Archäologin hatte nur den Verdacht, dass die fassgroßen Tonkrüge zum Brauen dienten. Es ist bekannt, dass Bier einst eine wichtige Rolle im Zweistromland spielte. Zahlreiche Darstellungen zeigen Männer und Frauen, wie sie mit langen Saugrohren aus Bierkrügen trinken. Keilschrifttafeln berichten von Gerste und Bier, und die Hymne der sumerischen Biergöttin Ninkasi gilt als lyrisches Reinheitsgebot der mesopotamischen Brauer.

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Akribische Buchhalter helfen der Wissenschaft

Doch dass die Menschen Bier in ihren Wohnhäusern zubereiteten, dass sie es in den großen Krügen von Tall Bazi taten, dafür fehlte der Beweis. "Ich habe mich deshalb an die Brauereitechniker in Weihenstephan gewandt", sagt Adelheid Otto. Die Brauer analysierten Rückstände aus den Krügen und fanden Spuren von Hefen und Oxalat - Indizien dafür, dass in den Gefäßen gebraut wurde. Nur wie? Martin Zarnkow setzte vor Ort in Tall Bazi Maische an, um den Verdacht im Experiment zu erhärten.

Bier vor 3000 Jahren: Auf antiken Darstellungen trinken Menschen das Bier mit Saugrohren aus Krügen.

Auf antiken Darstellungen trinken Menschen das Bier mit Saugrohren aus Krügen.

(Foto: Foto: oh)

Die Informationen über Zutaten und Mischverhältnisse lieferte der Schriftgelehrte Walther Sallaberger. Die Menschen in Mesopotamien ließen anschreiben, sie waren akribische Buchhalter ihrer Lebensmittel. "Es gibt unzählige Listen von Lagerbeständen, von der Essenausgabe und darüber, wem wie viel Bier oder Gerste zustand", sagt Sallaberger. Die Tempel horteten diese Informationen, sie waren die wirtschaftlichen und politischen Zentren der Städte.

Alte Bierhymne jetzt überprüfbar

Manche ihrer Keilschrifttafeln verzeichnen, wie viel Gerste geliefert und wie viel Bier ausgegeben wurde. Daraus ließen sich Mengenverhältnisse von Wasser und Gerstenmalz bestimmen, mit denen die Forscher nun das Urbräu ansetzten.

Das weitere Verfahren lieferte die experimentelle Überprüfung von Ninkasis Bierhymne. In den gängigen Übersetzungen hieß es, die Gerste sei zum Mälzen mit Erde bedeckt worden, berichtet Sallaberger. Das klingt vernünftig, wird doch bei der Mälzung die Gerste zum Keimen gebracht, damit sich die Enzyme bilden, die Stärke im Getreide zu Zucker aufschließen, was der Gärhefe die nötige Nahrung zur Alkoholproduktion liefert.

Doch in Tall Bazi entstand nur ein batziger Klumpen aus Gerste, Sand und Staub, ungeeignet, um damit eine Maische anzusetzen. "Mit diesem Wissen habe ich mich wieder an den Text der Ninkasi-Hymne gesetzt", sagt Walther Sallaberger. Die Textstelle ließ sich auch so interpretieren, dass dort die Rede von Staub ist, der absinkt. "Offenbar war damit schon die Maische gemeint, in der sich die festen Bestandteile absetzen", sagt Sallaberger.

Die archäologischen Funde legten außerdem nahe, dass das Malz nicht geröstet worden sei, da entsprechende Öfen fehlten. Es müsse auf den Dächern getrocknet worden sein. Ein weiterer Hinweis, der in Walther Sallabergers Neuübersetzung einfloss.

Der Sommerhitze des Landes trotzen

Auch für den Zusatz von Gewürzen, von denen in Übersetzungen der Hymne die Rede ist, fehlten Belege. Ebenso für die Interpretation, dass die Maische erhitzt worden sei. "Die Menschen hatten in dem kargen Land nicht genug Holz, um stundenlang Maische in 20-Liter-Kesseln zu kochen", sagt Adelheid Otto.

Das nachzuahmen stellte die Brautechniker von heute vor Probleme. Wie sonst sollte das antike Brauverfahren funktionieren? Zarnkow gelang unter den Temperaturbedingungen Syriens ein Kaltmaischverfahren, das in den Töpfen aus Tall Bazi funktionierte und selbst der Sommerhitze des Landes widerstand.

In der Kleinmälzerei im Keller des Institutgebäudes in Weihenstephan verfeinert er das erworbene Wissen. Umgeben von Studenten der Brautechnologie und der Altorientalistik, die die drei Wissenschaftler in einem Seminar in ihre Arbeit einbezogen haben, begutachtet Zarnkow Wurzeln und Keimblätter gemälzter Gerste aus Syrien. Am Ende des Ganges trocknet extraktreicher Treber, die Rückstände aus dem Sudkessel, die noch Hefe und ausreichend Malz enthalten, um damit abermals Bier anzusetzen.

Auf der nächsten Seite: Warum Bier früher überlebenswichtig war.

Die Sauberkeit des Bieres

Vor 3000 Jahren diente dieser trockenmüsliartige Stoff, der den schmalen Kellergang wie einen Kleintierkäfig riechen lässt, Boten als Instantbier - so steht es in schriftlichen Überlieferungen. "Das haben sie in ihre Wasserflaschen geschüttet", sagt Sallaberger, "je länger sie unterwegs waren, desto weiter fortgeschritten war der Gärvorgang."

Für die Menschen sei Bier überlebenswichtig gewesen. Eine typische Mahlzeit bestand aus Gerstenbrot, einer Suppe oder Grütze und aus Bier. "Gemüse oder Obst gab es nicht", sagt Adelheid Otto, "ohne die Vitamine und Mineralstoffe, die beim Brauen entstehen, wären viele wohl an Skorbut gestorben."

Auch machten der geringe Sauerstoffgehalt und der niedrige pH-Wert Bier im Vergleich zu Wasser recht sicher. Männer, Frauen, Kinder - alle tranken damals Bier, es war sauberer als das oft verseuchte Flusswasser. Der Alkoholgehalt war gering, wohl selten höher als drei Volumenprozent.

Lust am Rausch

Der These des Biologen und Naturhistorikers Josef Reichholf, wonach die Lust am Rausch die Menschen zur Entwicklung des Ackerbaus getrieben habe, wollen die drei Forscher nicht folgen. Die Braukunst könne vielmehr als Genießbarmachung von Gerste gelten. Bier war ein echtes Grundnahrungsmittel, um den Rausch sei es nicht gegangen.

Diese Ansicht stützt das Gerstenbrot, das an diesem Tag in Weihenstephan unter Studenten und Forschern verteilt wird. Drei Gerstenbrotmischungen auf Sauerteigbasis werden probiert. Die kleinen Brote sind durchsetzt von Spelzen, als hätte der Bäcker den rohen Teig in Stroh gewendet - eine lästige Eigenart der Gerste, weshalb das Getreide vor allem verbraut wird.

Niemand probiert mehr als ein Stück von der Größe einer Zwei-Euro-Münze, und doch bewegen die Seminarteilnehmer auch noch eine Viertelstunde später ihre Zunge durch den Mund, um Spelzen zu entfernen. "Deshalb waren die Gebisse der Skelette, die im Zweistromland gefunden wurden, auch so abgeschliffen", sagt Adelheid Otto.

Dass auch diese Brote wohl einst zu Bier vergoren wurden, leuchtet ein, wenn man selbst Spelzen zwischen den Zähnen hat. "In vielen Urkunden ist die Rede von Brotbieren", sagt Walther Sallaberger. Hefe für den Gärvorgang enthalten die strohigen Laibe.

Instantbier schmeckt nach Müslimixgetränk

Im Kleinen Sudhaus setzt Martin Zarnkow eine Maische aus zerkleinerten Broten an. Während der Brauer fünf Liter Gemisch vermengt, verquirlt daneben ein Rührwerk, das aussieht wie eine Bohrmaschine, in die man einen langen Löffel eingespannt hat, die Instantbiermischung.

Die Flüssigkeit nimmt bald eine bräunlich-milchige Färbung an. Ob so ein Müsligebräu einst müde Boten glücklich gemacht hat? "Wenn wir Bier mit Gerstensaft übersetzen würden, wären wir nicht so auf ein gehopftes, alkoholreiches Getränk mit schöner Schaumkrone fixiert", sagt Sallaberger.

Das Instantbier schmeckt dann nach Müslimixgetränk - immerhin angenehmer als die sauren Urbiere, die zuvor mehrere Tage gegoren hatten. Satt hat es einst sicher gemacht. Doch sogar an den sauren Sumerer-Stoff könnte man sich wohl gewöhnen. Das erste Bier im Leben moderner Menschen schmeckt ja auch nicht.

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