Bevölkerungswachstum:Zwölf Milliarden Menschen? Keine Panik!

Menschenmasse im Kongo

Wachstum der Weltbevölkerung: Tausende Menschen stehen 2008 nahe Goma in der Demokratischen Republik Kongo um Nahrungsmittel an.

(Foto: dpa)

Eine Studie der UN warnt davor, dass die Weltbevölkerung noch bis ins 22. Jahrhundert anwachsen könnte, mit verheerenden Folgen. Es gibt allerdings gute Gründe, die Zukunft optimistischer zu sehen.

Von Robert Gast

7,2 Milliarden Menschen leben auf der Erde - wie viele werden es in Zukunft sein? Seit langem diskutieren Demografen über diese Frage, und im Wesentlichen sind sie sich einig: Die Weltbevölkerung rast aktuell auf einen Höchststand zu, auf lange Sicht wird die Zahl der Erdbewohner aber wieder sinken. Strittig ist die Frage, wann das weltweite Bevölkerungsmaximum erreicht sein wird.

Nun sorgt eine Forschergruppe der Vereinten Nationen in New York mit einer pessimistischen Prognose für Aufsehen. Die Weltbevölkerung werde länger wachsen, als bisher angenommen, schreibt das Forscherteam um Patrick Gerland im Fachmagazin Science. Das Bevölkerungswachstum werde sich erst im 22. Jahrhundert stabilisieren. Auf dem Weg dorthin, im Jahr 2100, sollen zwischen 9,6 und 12,3 Milliarden Menschen auf der Erde leben, mehr als ein Drittel davon in Afrika.

Immer mehr Menschen - bis 2100

Dort verortet die Studie auch den Grund für die Bevölkerungsexplosion. Aktuell lebt etwas mehr als eine Milliarde Menschen auf dem Schwarzen Kontinent, zum Ende des 21. Jahrhunderts könnten es vier Milliarden sein, vielleicht auch 5,7 Milliarden, schätzen die UN-Forscher. Ähnlich viele Menschen sollen im Jahr 2100 in Asien leben, allerdings soll die Bevölkerung dort bereits von 2050 an schrumpfen.

In Europa hat dieser Trend bereits Ende des 20. Jahrhunderts eingesetzt, Nord- und Südamerika sollen der UN-Prognose zufolge in den kommenden Jahrzehnten folgen. In einigen südlich der Sahara gelegenen Ländern soll sich der Trend hin zu weniger Kindern allerdings erst langsam durchsetzen. So langsam, dass die Gesamtzahl der Menschen auf der Erde bis zum Jahr 2100 weiter steigen soll.

Bislang meinten Forscher, die Weltbevölkerung werde bereits in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts schrumpfen. Ihre neuen Ergebnisse seien jedoch präziser als vergangene Hochrechnungen, schreiben die UN-Forscher. Unter anderem berücksichtigten sie erstmals Daten zur Aids-Epidemie in einigen afrikanischen Ländern. Auch nutze man nun statistische Methoden, schreiben die Forscher. Damit lasse sich die Wahrscheinlichkeit bestimmen, ob die Realität stark von einem Szenario abweicht (Experten nennen das "probabilistische Bevölkerungsmodelle"). Demnach soll die Prognose, dass 2100 bis zu 12,3 Milliarden Menschen auf der Erde leben, mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent eintreten.

Computermodelle gegen Expertenmeinungen

Manches spricht allerdings dafür, diese Vorhersage mit Skepsis zu sehen. So malen andere Wissenschaftler eine deutlich weniger pessimistische Zukunft. Das Team des Österreichers Wolfgang Lutz vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA), der in Europa als führender Experte auf dem Gebiet der globalen Demografie gilt, sieht in einer kürzlich veröffentlichten Großuntersuchung die Menschheit bereits im Jahr 2070 auf den Bevölkerungshochstand klettern. 9,4 Milliarden Menschen sollen dann auf der Erde leben - zum Ende des Jahrhunderts sollen es dann nur noch neun Milliarden sein. Lutz, der zu den Pionieren der probabilistischen Demografie zählt, befragte für seine 500 Seiten umfassende Studie ("World Population and Global Human Capital in the 21st Century") mehr als 550 Fachleute und legte ihre Landeskenntnisse seiner Vorhersage zugrunde.

Die in Science erschienene UN-Studie hingegen ließ vor allem Computer rechnen, statt solche Expertenmeinungen einzuholen. Für jedes Land der Erde analysierten die Forscher Lebenserwartung und Geburtenraten der vergangenen 60 Jahre. Wie viele Kinder bekommt eine sudanesische Frau durchschnittlich, wenn sie eine Lebenserwartung von 63 Jahren hat? Mit Informationen wie diesen errechneten Computer Prognosen für die kommenden 90 Jahre. "Das hat einen gewissen Charme", räumt Wolfgang Lutz ein. "Auf der anderen Seite kann das nicht der Weisheit letzter Schluss sein." Zum Beispiel ließen die UN-Forscher den Einfluss wachsender Bildung auf Geburtenrate und Sterblichkeit außer Acht. "Vergangene Untersuchungen haben gezeigt, dass Schulbildung ganz stark die Kinderzahl bedingt", sagt Lutz.

914 Millionen Menschen in Nigeria?

Insbesondere in China und in Nigeria klaffen die Prognosen der neuen UN-Studie und der IIASA-Arbeit auseinander. In beiden Ländern geht die UN-Studie von einer höheren Geburtenrate aus als die Veröffentlichung der Europäer - daher sagt sie auch im weltweiten Durchschnitt eine deutlich stärkere Bevölkerungsexplosion voraus. In China orientiert sich die UN offenbar an den offiziellen, staatlichen Zahlen, und geht von durchschnittlich 1,66 Kindern pro Frau aus - und sagt sogar voraus, dass diese in Zukunft steigen werde.

Wolfgang Lutz hält das für unrealistisch. In Shanghai liege die Geburtenrate bei gerade einmal 0,7 Kindern pro Frau, und auch auf dem Land werde die Rate in Zukunft vermutlich deutlich sinken. Das lege zumindest der Blick ins ländliche Südkorea nahe, wo Wissenschaftler dies in der Vergangenheit beobachtet hätten.

In Nigeria hingegen soll laut UN-Studie die Bevölkerung rasant wachsen. Statt heute 160 Millionen sollen dort im Jahr 2100 bis zu 914 Millionen Menschen leben. Die Datenlage zu Geburtenraten und Sterblichkeit in dem von Krisen gebeutelten Land sei allerdings "verheerend", sagt Lutz, die Aussagekraft der Hochrechnung der Vereinten Nationen daher unklar.

Darüber hinaus räumen die Forscher um Patrick Gerland in Science selbst einige Unsicherheiten ihrer Prognose ein, die wohl zu den generellen Problemen der globalen Demografie zählen. Unberücksichtigt blieben sämtliche Folgen der Überbevölkerung. Also zum Beispiel Abwanderungen in andere Länder, Kriege um knappe Ressourcen oder gezielte staatliche Eingriffe wie die von China praktizierte Ein-Kind-Politik.

Dennoch habe ihr Ergebnis politische Implikationen, schreiben die UN-Forscher. So müsse in afrikanischen Staaten mit besonders hoher Geburtenrate mehr als bisher in Bildung und Aufklärungskampagnen investiert werden. Sonst drohten in Folge der Überbevölkerung wachsende Probleme durch Ressourcenmangel, Umweltverschmutzung, Arbeitslosigkeit, Krankheiten und Kriminalität.

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