"Bevölkerungswachstum":Wohlstand macht lang

Die durchschnittliche Körpergröße zeigt den Zustand eines Landes oft besser als die Einkommensstatistik.

Marcus Anhäuser

George W. Bush fällt aus dem Rahmen. In seinen beiden Wahlkämpfen um das Präsidentenamt war er mit seinen 1,85 Meter der kleinere Kandidat. In den fünfzehnEntscheidungen nach dem Zweiten Weltkrieg hat hingegen elfmal der größere Kandidat gewonnen.

2,42 großer Mensch; dpa

Körpermaße wie die 2,42 Meter des Chinesen Zhang Juncai sind meist krankheitsbedingt. Aber auch Wohlstand lässt Menschen in die Höhe schießen.

(Foto: Foto: dpa)

Wer das für statistische Spielereien mit einer Marginalie hält, der unterschätzt den Faktor Körpergröße. Denn ob ein Mensch in den Himmel ragt oder kurz über der Grasnarbe lebt, entscheidet über den Erfolg in Leben und Liebe mit. Und die Verteilung der Körpergröße in einem Staat verrät sogar, wie gut die Menschen in diesem Land leben und wie groß die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind, wie Tübinger Forscher nun am Beispiel Afrikas belegt haben.

Die Größe eines Menschen entwickelt sich aus einem feinen Wechselspiel seiner Gene und der Lebensbedingungen, unter denen er aufwächst. Dass Eltern ihre Körpergröße in gewissen Grenzen vererben, gehört zum Alltagswissen. Aber auch die Lebensbedingungen tragen erheblich zur Körpergröße bei.

Seit rund 150 Jahren wachsen Kinder ihren Eltern buchstäblich über den Kopf: "Vor allem in den ersten beiden Lebensjahren wachsen die Beine der neuen Generation schneller als die der vorangegangenen", fand Tim Cole vom Londoner Centre for Paediatric Epidemiology heraus. Die Lebensbedingungen der Kinder mit besserer medizinischer Versorgung, höherem Bildungsstand und besserem Sozialsystem beschleunigen das Wachstum. Dieser "biologische Lebensstandard" wird seit sechs Generationen stetig besser.

Die Körpergröße reagiert so sensibel auf schlechte Lebensbedingungen, dass sich an ihr sogar die Missernten herauslesen lassen, die es während der Kleinen Eiszeit in Europa gab. "Im 17. Jahrhundert erreichten französische Männer im Durchschnitt nur 1,62 Meter", sagt der Wirtschaftswissenschaftler John Komlos von der Universität München.

Dagegen findet sich heute im Nordwesten Europas dank eines modernen Gesundheits- und Bildungssystems eines der größten Völker der Welt: die Niederländer mit durchschnittlich 1,85Meter langen Männern. Zum Vergleich: Die 18- bis 35-jährigen deutschen Männer waren laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2003 1,80Meter groß, die gleichaltrigen Frauen 1,67Meter.

Eigentlich sei die Körpergröße der Parameter zum Messen von Wohlstand schlechthin, sagt Komlos. "Pro-Kopf-Einkommen und Pro-Kopf-Sozialprodukt erfassen viele Aspekte der Lebensqualität nicht", betont er. Zum Beispiel hätten Hausfrauen und Kinder kein Einkommen. Zudem könne das Pro-Kopf-Einkommen gleich bleiben, obwohl ein Teil der Bevölkerung ärmer und ein anderer reicher wird. Umweltverschmutzung taucht darin genauso wenig auf wie die medizinische Versorgung. Und vor allem: Für Zeiten und Länder, für die es keine Daten gibt, ist die Körpergröße oft der einzige greifbare Parameter.

Beispiel Nordkorea: Wie schlecht die Versorgungslage unter dem kommunistischen Regime seit 50 Jahren ist, hat die Anthropologin Pak Sunyoung von der National-Universität Seoul Ende 2004 anhand von Größendaten belegt.

Während das abgeschottete Land andere Daten nicht herausgibt, gewann Pak ihre Größendaten mit Hilfe von Flüchtlingen. "Anders als die meisten Völker der Welt sind die Nordkoreaner nach dem Zweiten Weltkrieg praktisch nicht mehr gewachsen", sagt Pak. Die 20-Jährigen sind heute mit durchschnittlich knapp 1,59 Meter noch so klein wie vor 60 Jahren, gleichaltrige Südkoreaner sind sechs Zentimeter größer.

Die Analyse einer ganzen Region präsentierten Alexander Moradi und Jörg Baten vor kurzem im Fachblatt World Development. Die Tübinger Anthropometriker haben 200 Gegenden südlich der Sahara für die Jahre 1950 bis 1980 untersucht "Das ist ein Zeitraum, für den insgesamt wenig wirtschaftliche Daten vorliegen", sagt Baten. Die Forscher wollten deshalb mit Hilfe von Körperdaten die Aussagekraft gängiger Indikatoren überprüfen, etwa die von Einkommensunterschieden für soziale Ungleichheit.

Dabei fanden sie in der Körpergröße sogar Antwort auf die viel diskutierte Cash-Crop-Frage: Was ist sinnvoller für ein Land - auf ein Produkt wie Kaffee oder Baumwolle für den Weltmarkt zu setzen oder besser auf Vielfalt? "Die Menschen in Regionen wie dem Südsenegal, die sich auf ein Produkt spezialisiert haben, sind im Schnitt fast einen Zentimeter kleiner als in Regionen wie Westäthiopien mit mehr Anbauvielfalt", sagt Baten.

Der Grund: Innerhalb der Monokultur-Regionen sind Lebensmittel und medizinische Versorgung ungerechter verteilt. Setzt eine Region auf Vielfalt, gleicht sich der biologische Lebensstandard an, die Menschen gewinnen pro zusätzlichem Anbauprodukt drei Millimeter Körpergröße hinzu.

Ein Muster aber findet sich in allen Regionen Afrikas wie fast überall auf der Welt und unabhängig vom biologischen Lebensstandard: Männer sind größer als Frauen, weil Jungen etwa zwei Jahre länger wachsen als Mädchen. Das ist so universell, dass selbst Außerirdische damit konfrontiert werden: Auf der Goldplakette der Raumsonde Pioneer-10 ist die Frau einen halben Kopf kleiner.

Der Größenunterschied scheint ein Überrest der Evolution zu sein. Auch wenn unsere Vorfahren deutlich kleiner waren als der moderne Mensch, der Unterschied zwischen Mann und Frau war deutlich größer, belegen Fossilienfunde. "Die Frühmenschen lebten wahrscheinlich polygyn", sagt Markus Bernhard, Anthropologe an der Universität Wien. Deshalb gab es unter den Männern starke Konkurrenz um die Frauen. Wer groß und stark war, war dabei im Vorteil.

Größer als die Konkurrenten zu sein, nützt Männern noch immer, nicht nur bei Wahlen. Größere Männer haben mehr Erfolg bei Frauen und erreichen eher Führungspositionen, wie Untersuchungen belegen. Ihr Gehaltsvorteil lässt sich konkret berechnen: Dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zufolge brachte im Jahre 2002 in Deutschland jeder zusätzliche Zentimeter am Ende des Monats brutto 0,6 Prozent mehr.

Aber was ist Ursache und was Wirkung? Vielleicht haben größere Menschen einfach mehr Selbstbewusstsein, das sie in Gesprächen mit den Vorgesetzten zur Geltung bringen, spekulieren Psychologen.

Wie viel Einbildung dabei eine Rolle spielt, belegt ein Versuch aus dem Jahr 1968 eindrucksvoll: Ein "Mr. England" wurde zwei Gruppen von Studenten vorgestellt, einmal als neuer Kommilitone und einmal als neuer Professor. Dann sollten beide Gruppen die Körpergröße des Neuankömmlings schätzen: Professor England war ganze zehn Zentimeter größer als Student England.

Was den Erfolg bei künftigen Präsidentenwahlen angeht, wird es für die Auguren, die sich auf den Faktor Körpergröße stützen, auf keinen Fall leichter. Denn welche Rolle Körpergröße in einem Duell "Mann gegen Frau" spielt, ist völlig unklar. George W. Bush kann es egal sein. Er darf sowieso nicht mehr antreten.

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