Bevölkerungsrückgang:Das digitale Dorf

Bevölkerungsrückgang: Menschenleer sind bereits heute viele ländliche Regionen.

Menschenleer sind bereits heute viele ländliche Regionen.

(Foto: Jörg Buschmann)

Der Bevölkerungsschwund schafft Probleme in vielen ländlichen Regionen. Manches lässt sich durch Vernetzung lösen: Funkchips, Smartphones und Algorithmen sollen den Menschen im Alltag helfen.

Von Andreas Wenleder

Unsere Städte werden smart. Alles muss sich vernetzen. Im Internet der Dinge sollen Autos, Kühlschränke und Klimaanlagen Daten ins Netz schicken und auch noch untereinander kommunizieren. Doch während gerade in den Städten die Digitalisierung rasant voran getrieben wird, verwaisen fernab der Ballungszentren ganze Landstriche. Um in schrumpfenden Gemeinden die Versorgung der Dagebliebenen sicherzustellen, sollen jetzt auch Dörfer smart werden. Dabei funktioniert mancherorts noch nicht einmal der Handyempfang.

Das trifft sogar einen wie Mario Trapp. Er ist viel auf dem Land unterwegs; telefoniert er im Auto, bricht die Verbindung schon mal abrupt ab. Trotzdem glaubt Trapp, dass die Zukunft der Dörfer digital sein kann. Er leitet am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) in Kaiserslautern ein Projekt zur Vernetzung im ländlichen Raum. Technik und Algorithmen sollen das Leben auf dem Land trotz schlechter Infrastruktur und schrumpfender Einwohnerzahlen wieder besser machen.

Das Institut hat zum Beispiel eine computergestützte Überwachung von Pflegebedürftigen entwickelt. Sensoren erkennen Stürze, überwachen das Ess- und Trinkverhalten. Herz-Kreislauf-Kontrollen erfolgen automatisch. Die Daten wandern ins Netz, werden dort zusammengeführt und ausgewertet. Bei Problemen alarmiert die Elektronik umgehend Helfer. Die Sensorüberwachung spart Arbeitszeit und sehr viel Autofahrerei. So könnten alte Menschen in ihrem Heimatdorf wohnen bleiben, auch wenn es dort immer weniger Pflegekräfte gibt.

Mobile Praxen für Zahnärzte

Um das Pendeln zur Arbeitsstelle zu erleichtern, wird an Trapps Institut zudem an autonom fahrenden Autos geforscht. Dem Bauern helfen Traktoren und Mähdrescher, die nahezu eigenständig die Ernte einholen. Nur noch in wenigen Situationen muss der Fahrer auf dem Feld eingreifen.

Doch was nützen all diese Erleichterungen, wenn sich der ländliche Raum zusehends entvölkert, wenn es an ortsnahen Lebensmittelgeschäften fehlt, an Schulen und Ärzten und einem funktionierendem Personennahverkehr? "In Brandenburg gibt es Zahnärzte, die fahren mit mobilen Praxen durch die Gegend, weil sich eine feste Praxis nicht mehr lohnt", sagt Trapp.

Deutschland schrumpft - vor allem auf dem Land. Vor Kurzem hat die Bertelsmann-Stiftung eine Studie vorgestellt, die das drohende Ausmaß für einzelne Gemeinden berechnet hat. Besonders hart wird es wohl die Bundesländer im Osten treffen, Mecklenburg-Vorpommern oder die Regionen Brandenburgs, die nicht von der Nähe zu Berlin profitieren. Für die thüringische Gemeinde Roßleben prognostiziert die Bertelsmann-Stiftung sogar einen Bevölkerungsrückgang von 25 Prozent bis zum Jahr 2030. Ähnlich wie dem Ort mit gerade noch 5000 Einwohnern ergeht es aber auch vielen Kommunen im Westen. Wer nicht weg zieht, ist meist alt. Doch gerade die Alten sind auf eine wohnortnahe Versorgung angewiesen und auf Mobilitätsangebote, die nicht nur aus einem eigenen Auto bestehen.

Mit dem Rückgang der Bevölkerung steigen aber die Kosten pro einzelnem Kunden. Für viele Einzelhändler, Telefonanbieter, Verkehrsbetriebe oder Ärzte lohnen sich Investitionen in ländlichen Regionen schlicht nicht mehr. "Für Bäcker oder Metzger wurde einmal berechnet, dass sie mindestens 500 potenzielle Kunden am Ort brauchen. Heute werden die Zahlen wohl noch deutlich höher liegen. Ein Supermarkt braucht schon 3000 bis 5000 Menschen im Einzugsgebiet", sagt Patrick Küpper vom Thünen-Institut, das sich an seinem Hauptsitz in Braunschweig sowie zehn weiteren Standorten mit den Entwicklungen im ländlichen Raum beschäftigt. Lohnt sich die Infrastruktur nicht mehr, verschwindet sie und mit ihr noch mehr Menschen. Eine Abwärtsspirale.

Wie Digitalisierung den Strukturwandel abfedern kann

Ohne Digitalisierung lässt sich dieser Trend mittelfristig nicht umkehren, davon ist Mario Trapp überzeugt: "Das erste Ziel muss sein, eine kritische Masse an Einwohnern in den Gemeinden zu halten." Trapps smarte Dörfer sollen dazu beitragen. "Wir wollen die verschiedenen Ressourcen eines Dorfes verbinden." Der Ansatz: Zwei Dienstleistungen, die sich bei zu kleinen Einwohnerzahlen nicht mehr lohnen, teilen sich in Zukunft einfach die notwendige Infrastruktur. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass Metzger und Bäcker in einem Ort nur noch von einem Fahrzeug beliefert werden. Eine wichtige Arzneimittellieferung für einen Patienten könnte bei einem Paketdienst mitfahren, der gerade zum Nachbarort unterwegs ist und dafür nur einen kurzen Umweg machen muss. Sogar Privatpersonen sollen Güter transportieren, wenn Menschen und Pakete das selbe Ziel haben.

Um die verschiedenen Bereiche zu verbinden, ist intelligente Software notwendig. Erst wenn diese funktioniert, ergeben sich die erhofften Synergieeffekte von Personenverkehr und Warenlogistik.

Bevölkerungsrückgang: Dank digitaler Vernetzung soll das Leben der wenigen Dagebliebenen einfacher werden. Eine App organisiert Fahrgemeinschaften und Dienstleistungen.

Dank digitaler Vernetzung soll das Leben der wenigen Dagebliebenen einfacher werden. Eine App organisiert Fahrgemeinschaften und Dienstleistungen.

(Foto: Jörg Buschmann)

Zusammen mit der Regierung von Rheinland-Pfalz wird Trapps Institut drei Modellgemeinden für das Projekt Digitale Dörfer auswählen. In den Gemeinden leben jeweils weniger als 10 000 Einwohner. Trapp und seine Entwickler wollen die Bewohner mit Smartphone-Apps ausstatten. Damit können sie Fahrten im Ruf-Taxi oder dem spärlichen öffentlichen Nahverkehr buchen, aber auch Fahrgelegenheiten in Privatautos anbieten oder annehmen.

Bei Fußballklubs und anderen Vereinen suchen die Forscher nach Mitstreitern

So soll ein neues Mobilitätsnetz in den Kommunen entstehen, über das auch Waren ausgeliefert werden. "Wir stellen Paketboxen zur Verfügung, die ihren Inhalt und die Lieferadresse erkennen und das Mobilitätsnetz der Apps für die Auslieferung nutzen", sagt Trapp. So könnte ein Dorfbewohner, der eine Fahrt in den Nachbarort in der App anbietet, noch ein Paket mitnehmen und auf dem Rückweg nicht nur seine eigenen Einkäufe vom dortigen Supermarkt mitbringen, sondern auch eine Nachbarin, die da gerade einen Arzttermin hatte.

Das Ganze erinnert an die App Uber, die private Fahrten vermittelt und damit in Großstädten Taxi-Unternehmern Konkurrenz machte. Ähnliche Apps gibt es auch für das Ausliefern von Paketen, allerdings funktioniert das bisher nicht auf dem Land. "In den Großstädten genügt schon ein kleiner Prozentsatz an Menschen, die mitmachen, um ein Angebot flächendeckend aufzubauen. Auf dem Land reicht es aber nicht, einfach nur die Technologie zur Verfügung zu stellen", sagt Trapp. Deshalb müssen die Projektpartner auf die Menschen vor Ort direkt zugehen und möglichst viele motivieren. Wichtiger Anlaufpunkt für die Forscher sind die verschiedenen Vereine, Fußballklubs und freiwillige Feuerwehr. Einige Hundert Menschen und möglichst viele Einzelhändler sollen mitmachen.

Ein zentrales Problem bleibt: der Handyempfang. Auf dem Land können die Daten nicht einfach ins Netz geladen, dort gespeichert oder von dort abgerufen werden. Noch fehlt in vielen Regionen ein flächendeckender Zugang zum mobilen Internet. Ein Fahrer muss deshalb auch ohne Internetzugang wissen, wo das Paket hin muss. Die Forscher setzen deshalb auf Gerätschaften, die direkt vor Ort miteinander kommunizieren können - etwa über RFID-Chips, wie sie auch in Kantinenkarten zum Bezahlen genutzt werden, oder über Bluetooth-Technik, die keinen Internetzugang braucht, um Geräte miteinander zu verbinden. Das verhindert Störungen durch lückenhafte Funknetzabdeckung und schont die geringen Bandbreiten der Datenverbindungen auf dem Land.

Dieser Aspekt könnte wiederum bald auch für smarte Städte interessant werden: "Heute nutzen weltweit drei Milliarden Menschen das Internet. Für das Internet der Dinge rechnen Experten aber mit 50 Milliarden Gegenständen, die Daten ins Netz schicken werden", sagt Trapp. Auch in der smarten Stadt könnte die Internet-Bandbreite dann knapp werden.

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