Bestrafung:"Das Konzept von Schuld und Sühne ist überholt"

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Interview mit dem Biologen Franz Wuketits von der Uni Wien.

sueddeutsche.de: Wenn wir akzeptieren, dass es keinen freien Willen gibt, wie reagieren wir dann auf Verbrechen? Wir können dann keinem Täter mehr eine Schuld zuweisen.

Wuketits: Stellen wir uns einen Mann vor, der eine Frau vergewaltigt und tötet und dann sagt: "Tut mir Leid, ich konnte nicht anders, weil ich keinen freien Willen habe. Meine Hormone, Gene, Neurone haben mich dazu gezwungen". Dann könnten wir antworten: "Das sehen wir schon ein. Aber Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass andere Menschen nicht vergewaltigt und getötet werden wollen. Deshalb müssen wir Sie aus dem Verkehr ziehen."

Dieses ganze archaische Konzept von Schuld und Sühne brauchen wir nicht zu bemühen. Wenn jemand dazu neigt, andere physisch oder psychisch zu schädigen, dann hat die Gesellschaft das Recht, ihn daran zu hindern. Was das im Einzelnen bedeutet, muss man diskutieren. Ich denke aber, dass das klassische Schema der Bestrafung, der Rache obsolet geworden ist.

sueddeutsche.de: Glauben Sie an das Konzept der Resozialisierung?

Wuketits: Es macht jedenfalls keinen Sinn, Mörder einfach nur für viele Jahre ins Gefängnis zu stecken und sie dann wieder laufen zu lassen. Und denken Sie mal an einen Jugendlichen, der einen Einbruch begangen hat. Es ist ihm und der Gesellschaft wenig geholfen, wenn er einfach nur ein paar Jahre in den Knast kommt.

Hinter Gittern. "Es macht keinen Sinn, Mörder einfach nur für viele Jahre ins Gefängnis zu stecken." (Foto: Foto: iStock)

Ich wäre da eher für ein Konzept der Wiedergutmachung. Vielleicht kann man so einem Menschen auch verständlich machen, dass andere genauso wenig Opfer eines Verbrechens werden wollen wie er selbst.

sueddeutsche.de: Aber Politiker rufen regelmäßig nach härteren Strafen, auch für Jugendliche.

Wuketits: Ich glaube, dass unsere Gesellschaft noch nicht soweit ist, ernsthaft die hochkomplexen, subtilen, biopsychologischen Mechanismen zu berücksichtigen, die einen Menschen zu einem Verbrechen führen. Es ist einfacher zu sagen: Er hat dieses Verbrechen verübt, also muss jene Strafe folgen gemäß irgendeinem Paragrafen.

Weiter zum nächsten Teil: "Das Mörder-Gehirn funktioniert anders"

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