Kommentar:Vorsicht, Milch

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Stillen ist zweifellos das Beste fürs Kind. Aber der Verkauf von Muttermilch im Internet muss endlich kontrolliert und reglementiert werden.

Von Kathrin Zinkant

Als letzter Ausweg bleibt der Humor. So kursierte vor einigen Tagen die Geschichte eines Mannes aus Wermelskirchen im Netz: Er hatte gelesen, dass gestillte Babys als Erwachsene intelligenter sind und höhere Gehälter beziehen als Flaschenkinder. Woraufhin der 42-jährige Angestellte Konsequenzen ergriff. Und sich selbst eine Amme gönnte.

Wahr an der Geschichte von Herrn Schlammbräter ist die Studie: Sie erschien im Fachblatt Lancet Global Health und erregte, wie alle Erkenntnisse über Vorteile des Stillens, Aufsehen. Darüber kann man sich gewiss auch lustig machen. Das Lachen vergeht einem aber schnell, wenn man die Aussagekraft solcher Studien kennt, und dann die Muttermilchreligion betrachtet, die sich auf dem bröseligen Fundament dieser Erkenntnisse etabliert hat - in den USA, in Großbritannien und gewiss in Deutschland, wo Stillverbände und übereifrige Hebammen die frisch gebackenen Mütter mit angeblich wissenschaftlichen Argumenten derart an die Kandare nehmen, dass jede Alternative zum Stillen wie ein Verbrechen erscheint: Stillen macht Babys demnach schlau, widerstandsfähig, schützt vor plötzlichem Kindstod, Übergewicht, Diabetes, Durchfall und Ohrenentzündungen - und glücklich macht es auch noch, und zwar jede Mutter, die es nur gescheit versucht.

Fertigmilch ist reglementiert wie ein Gefahrenstoff. Muttermilch kann im Netz jeder verkaufen

Nun ist Stillen erstrebenswert. Dass es vielen Frauen nicht gelingt und diese getrost zur Flasche greifen dürfen, kommt im Konzept der Stillförderung aber nicht vor. Schon die Reklame für Fertigmilch ist dank eines eigens geschaffenen Säuglingsnahrungswerbegesetzes reglementiert, als gehe es um einen Gefahrenstoff.

Dabei wäre überfällig, die Muttermilch selbst einmal aufs Korn zu nehmen. Und zwar jene, die dank der fanatischen "Mumi"-Überhöhung erfolgreich an Stillversagerinnen vertickt wird. Für stattliche Beträge und völlig unkontrolliert. Vor einem Jahr wurde bereits bekannt, dass die erste kommerzielle Online-Muttermilchbörse weder eine hygienische Handhabe der Milch garantieren kann, noch Informationen über HIV-, Hepatitis oder Syphilis-Status der Online-Ammen einholt. Was im Gegensatz zur Fertigmilch wirklich ein Spiel mit dem Leben von Babys ist. Und dieses Spiel wird - trotz der damaligen Diskussion - weiter gespielt. Derzeit bieten auf der betreffenden Internetseite 54 Frauen Muttermilch an. Für bis zu acht Euro je 100 Milliliter. Darunter "uberflussige" Milch und ein lukrativer "Abverkauf" von 20 Litern.

Im British Medical Journal haben Fachleute aus Großbritannien jetzt dazu aufgerufen, dieser im eigenen Land weit verbreiteten Praxis endlich einen gesetzlichen Riegel vorzuschieben. Dasselbe muss auch in Deutschland passieren. Denn es mag vernünftig sein, keine Werbung für Babynahrung zuzulassen. Der Flasche aber das offenkundige Risiko fürs Baby vorzuziehen, ist fahrlässig.

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