Auswildern:Kinder des Waldes

Viele Affen-Junge enden als Haustiere, die Mutter wird erschossen. In einer Pflegestation werden sie wieder für den Dschungel trainiert.

Von Arne Perras

Maria Jessi will bald Kinder haben. Eigene. Vielleicht wird der Indonesierin dann schon manches vertraut erscheinen, wenn sie wickelt, füttert, tröstet; wenn sie mal streng sein muss und nicht alles durchgehen lassen kann, was sich das junge Volk an kleinen oder größeren Frechheiten einfallen lässt. Jessi ist längst Profi im Aufziehen von Kindern. Nur dass es keine Menschenkinder sind.

Die Indonesierin aus Sintang pflegt Wai-sen, die in den Wald gehören. Die 24-Jährige zieht Orang-Utans groß, die bei Razzien des illegalen Tierhandels konfisziert oder von Behörden in Häusern entdeckt werden. UN-Experten beziffern allein die dokumentierte Zahl gehandelter Orang- Utans auf knapp 200 im Jahr. Und bei je-dem Fangversuch sterben Affen. Ein weib-licher Orang-Utan wird immer bis zuletzt kämpfen, um sein Junges zu schützen. Deshalb erschießen Affenfänger stets die Mutter, um an das Kind zu kommen.

Traurige Geschichten sind das, und die Babysitterin Jessi kennt sie. Doch sie ist ein fröhlicher Mensch, der daran glaubt, dass die Kleinen noch eine Zukunft haben. Es ist sehr früh am Morgen, und sie muss gleich Fläschchen zubereiten. Füttern, waschen, spielen, kraulen, das ganze Programm. Sie mag ihren Job sehr, findet aber auch, dass er ganz schön verwirrend sein kann. Wie sie das erklären soll? "Nun ja, es sind Tiere, die uns ständig wie Menschen erscheinen, aber doch Tiere bleiben." Vor allem: Sie sprechen nicht, jedenfalls nicht so wie Menschen. Deshalb kann Jessi nur hoffen, dass sie so viel wie möglich richtig macht. Manches kann der Affe natürlich ohnehin besser. Früchte knacken, zum Beispiel. Jessi hämmert mit einem Holz auf die harte Schale, Orang-Utans müssen gerade mal kurz zwei Finger bemühen. Und schon haben sie das Essen ausgepackt.

"Manchmal nehme ich die Affen einfach in den Arm, dann hören sie auf zu weinen."

Als Jessi angefangen hat, durchlief sie das professionelle Training eines Orang-Utan-Experten, der immer klargemacht hat, dass sie hier Tiere versorgt. Aber wenn sie dann ihre Schwester besucht und deren Kinder auf den Schoß nimmt, denkt sie manchmal: "Hey, die sind auch nicht viel anders als meine Orang-Utans." Nur ein wenig träger vielleicht.

Jeden Tag erlebt sie, wie die Affen ihre Wärme suchen. "Manchmal nehme ich sie einfach in den Arm, und sie hören auf zu weinen." Sie kennt ihre Neugier, ihre Vorlieben - immer erst Papaya, dann Banane -, ihre Launen. Sind sie schlecht drauf, feuern sie schon mal Früchte durch die Gegend. Was sie gar nicht mögen? "Duschen", sagt Jessi und muss lachen. "Da gibt es heftige Proteste." Ansonsten kann sie oft aus den Augen ablesen, ob sie fröhlich, wütend oder ängstlich sind.

Zum Beispiel Tera, ein weibliches Affen-junges, das draußen im Käfig sitzt und aufs Essen wartet. Sie sieht an diesem Morgen sehr freundlich aus. "Aber sie kann auch anders", sagt Jessi. Vor allem, wenn Orang-Utans älter werden, wird es kompliziert. Dann testen die Tiere, wie weit sie gehen können, wie stark der andere ist. Affenpubertät. Tera ist erst vier, sie hat noch ein paar Jahre, bevor sie rebellisch wird. Sie nuckelt am Morgen auf einem Blatt herum, als wäre es ihr Schnuller. Noch hat Jessi den Affen um sich, aber irgendwann kommt der Tag, an dem sie Abschied nehmen muss. "Das ist immer hart. Sie wachsen einem ans Herz."

Aber die Affen sind natürlich keine Haustiere. Orang-Utan heißt "Mensch des Waldes". Und dahin will sie Jessis Chef, der Biologe Hasudungan Pakpahan, auch zu-rückbringen. Der gedrungene Mann, den alle Dudung nennen, leitet das Sintang Orang Utan Center, das Affen wie Tera auswildert. Manche Tiere können diesen Weg nie mehr gehen. Zum Beispiel Mamat, zehn Jahre alt. "Er war in einem Hühnerkäfig eingesperrt", erinnert sich Dudung. So eng war es, dass er nie seine Glieder strecken konnte, ein Arm war gelähmt, es dauerte Monate, bis er ihn bewegen konnte. Dieser Affe wird wohl nie mehr so gut klettern lernen, um alleine im Wald zu leben.

Andere aber klettern gut. Und lernen jeden Tag dazu. In einem umzäunten Wald im Dorf Tembak haben Affen Zeit und Platz zu üben, was sie fürs Leben ohne Menschen brauchen. Klettern, Nester in Bäumen bauen, Futter suchen. Trainer unterstützen sie beim Lernen. "Erst wenn die Affen 25 Fruchtbäume kennen, sind sie gewappnet", sagt der Biologe.

Bald wird es so weit sein. Nach einem sorgfältigen Gesundheitscheck wird das Team wieder zwei oder drei Tiere in einen Nationalpark entlassen, samt Mikrochip, damit man immer weiß, wohin sie wandern. Dudung kämpft um die Zukunft jedes einzelnen Tieres, das in seine Obhut gelangt. Natürlich weiß er als Ökologe, dass viel mehr nötig ist, um die Art zu erhalten. Er weiß, dass das Überleben der Affen vor allem daran hängt, ob Indonesien es schafft, seine letzten Wälder zu schützen. Bis Biologen einen einzelnen Orang-Utan geschult und zurück in den Wald gebracht haben, sind vermutlich schon wieder Dutzende andere gestorben oder gefangen. Aber das hält den Mann nicht auf. "Meine Eltern wollten, dass ich Wirtschaft studiere, um gut zu verdienen. Das hat mich nie interessiert, ich wollte immer in den Wald." Dorthin, wo die Affen wohnen. "Und ich werde diesen Job machen, solange ich kann."

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