Atomkraftwerke der Zukunft:Das Träumen vom Schnellen Brüter

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Internationale Nuklearexperten planen neue Reaktoren, die ihren Brennstoff selbst erzeugen - auch die Deutschen können sich dem nicht entziehen.

Marlene Weiss

Manchmal versteht Massimo Salvatores die Deutschen einfach nicht. "Die Stimmung hier macht mir wirklich Sorgen", sagt der fröhliche Italiener, Kernfoscher und wissenschaftlicher Berater der französischen Kernenergiebehörde CEA. "Sich die ganze Zeit Sorgen um den Blumentopf zu machen, der einem auf den Kopf fallen könnte, ist keine gute Art, mit den Risiken des Lebens umzugehen."

Das Kernkraftwerk Isar 2 bei Landshut. Nach der Einigung zum engültigen Atomausstieg sind die Kraftewerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland die letzten Meiler, die 2022 abgeschaltet werden. (Foto: dapd)

Der Blumentopf heißt in diesem Fall Fukushima: Seit die Katastrophe in Japan gezeigt hat, dass Kernreaktoren auch in hoch entwickelten Industrieländern außer Kontrolle geraten können, ist die Atomenergie in Deutschland nur noch einer Minderheit geheuer. Doch fast ganz Europa arbeitet unbeirrt weiter an einer nuklearen Zukunft, der sich auch Deutschland nicht ganz entziehen kann.

Atomkraftwerke stehen in Belgien, Frankreich, Tschechien und in der Schweiz nur wenige Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Der europäische Strommarkt ist frei, Tag für Tag fließt Atomstrom aus dem Ausland nach Deutschland - etwas mehr, seit die ältesten deutschen Meiler stillstehen, vor allem aus Frankreich und Tschechien.

Über die Mitgliedschaft im europäischen Verbund Euratom ist Deutschland indirekt an weiteren Kerntechnikprojekten beteiligt. Konzerne und internationale Gremien planen längst den nuklearen Weg ins 22. Jahrhundert - mit einer Technik, die erhebliche Risiken birgt.

Die Atomkraftwerke der Zukunft, bezeichnet als Generation IV, werden seit Beginn des Jahrtausends von einem Zusammenschluss von zwölf Atomstaaten und Euratom namens "Generation IV International Forum" vorangetrieben. Das Lieblingsprojekt der Ingenieure ist derzeit der umstrittene Schnelle Brüter, der schon vor Jahrzehnten als Reaktor der Zukunft galt, aber eine wenig rühmliche Vergangenheit hat.

Statt wie herkömmliche Reaktoren nur Uran zu spalten, ist er so eingestellt, dass er aus nicht-spaltbarem Uran - das in der Natur mehr als 99 Prozent des Metalls ausmacht - Plutonium als neuen Brennstoff erbrütet. Und die übrigen Nebenprodukte der atomaren Kettenreaktion, die eine Endlagerung von Atommüll wegen ihrer langen Lebensdauer problematisch machen, könnten in Schnellen Reaktoren theoretisch entweder zerstört oder in kurzlebigere Elemente verwandelt werden.

Das klingt zu schön, um wahr zu sein - und ist es vielleicht auch. Fast alle Atomnationen haben sich an der Technologie versucht, die ersten bereits in den 1950er Jahren. Aber einen Brüter dauerhaft einigermaßen störungsfrei zu betreiben, ist bislang nur Russland gelungen. Frankreich, Großbritannien und die USA dagegen beendeten ihre Brüterprogramme, in Deutschland wurde der bei Kalkar am Niederrhein geplante Meiler nie fertiggebaut.

Den Japanern ist vor einiger Zeit ein gut drei Tonnen schweres Bauteil in ihren Brüter in Monju gefallen. Weil es sich dort verkeilt hat, wissen die Betreiber noch nicht, wie sie es wieder herausbekommen; es ist eine kleine Krise neben der großen in Fukushima.

Aus all diesen Ereignissen und Erfahrungen zog das International Panel on Fissile Materials, eine an die Princeton University angegliederte Gruppe von Nuklearexperten, eine ernüchternde Bilanz: "Nach sechs Jahrzehnten und mehreren zehn Milliarden ausgegebenen Dollar bleibt das Versprechen von Brutreaktoren weitgehend unerfüllt." Keine der Annahmen, die das Konzept einst sinnvoll erscheinen ließen, habe sich bewahrheitet: Brüter seien prinzipiell unwirtschaftlich, unzuverlässig und gefährlich.

"Früher hat man geglaubt, die Technologie sei in den Griff zu kriegen, aber das hat sich nicht bestätigt", sagt Richard Donderer, der als stellvertretender Vorsitzender der Reaktorsicherheitskommission das Bundesumweltministerium berät und als Gutachter schon am Aus für den Schnellen Brüter in Kalkar beteiligt war. Probleme bereite nicht zuletzt das Kühlmittel, erklärt Donderer.

Schnelle Brüter brauchen zum Erbrüten von Brennstoff sogenannte schnelle Neutronen. Diese entstehen zwar bei der Kernspaltung, aber damit ihr Tempo gewahrt bleibt, muss das Reaktordesign angepasst werden. Kühlwasser würde die Neutronen abbremsen, darum wird stattdessen zum Beispiel mit flüssigem Natrium gekühlt. "Aber die Erfahrungen mit Natrium sind weltweit schlecht", sagt Donderer.

Beim Kontakt mit Luft fängt das Alkalimetall an zu brennen, kommt Wasser dazu, kann es explodieren. Noch dazu droht bei Natriumkühlung, dass sich die Kettenreaktion im Kern beschleunigt, sobald Kühlmittel entweicht oder Blasen bildet. Bei modernen, wassergekühlten AKWs ist es umgekehrt, das macht Unfälle besser beherrschbar.

"Aber auch die hohe Leistungsdichte ist ein Problem, und das Plutonium ist in der Regel waffenfähig", sagt Donderer. "Von der ganzen Reaktorphysik her wäre das Konzept nach den jetzigen Standards nicht genehmigungsfähig."

Trotz allem ist die Brütertechnik wieder groß in Mode. Die französische Atombehörde CEA plant gemeinsam mit Electricité de France und dem Reaktorhersteller Areva die erste Demonstrationsanlage namens Astrid, einen natriumgekühlten Schnellen Brüter.

Wenn Frankreich im kommenden Jahr die definitive Genehmigung erteilt, könnte ab 2020 der erste Generation-IV-Demonstrationsreaktor in Betrieb gehen. Um das 4,3-Milliarden-Euro-Projekt zu finanzieren, wären etwa zur Hälfte EU-Fördergelder und Kredite von Euratom oder der EU-Investitionsbank nötig, der Rest sollte von privaten Investoren, dem Gastland Frankreich und Partnerstaaten kommen.

Deutschland wird sich wohl kaum beteiligen, in die Entwicklung neuer Reaktoren fließen seit langem keine Bundesmittel mehr. Aber indirekt ist man dennoch dabei - als EU- und Euratom-Mitglied, aber auch durch Forschungsarbeit.

"Auf manchen Gebieten ist die deutsche Forschung herausragend", sagt der CEA-Experte Massimo Salvatores - bei der Sicherheit, aber auch in der Flüssigmetall-Technologie rund um das Kühlmittel. "Das ist ein wichtiger Beitrag." Für Bedenken gegen die nukleare Energieerzeugung hat er kein Verständnis: "Nachhaltige Ressourcennutzung geht nur mit einem Schnellen Reaktor und einem geschlossenen Brennstoffkreislauf."

Christoph Pistner vom Ökoinstitut in Darmstadt hält das Brüterprojekt, ganz abgesehen von Sicherheitsbedenken, für unrealistisch. "Diese Konzepte sind seit 30 Jahren in der Entwicklung, es ist nicht absehbar, wie eines davon zu einem zuverlässigen System führen soll", sagt er. "Das kommt nicht mehr rechtzeitig, denn der Umbau des Energiesystems beginnt jetzt."

Das sehen die Verfechter des Brüters zwar anders. Aber auch sie haben Pläne für die Zwischenzeit. Der Areva-Konzern etwa untersucht schon seit den 1980er Jahren sogenannte Hochkonversionsreaktoren, die ebenfalls einen Teil ihres Plutonium-Uran-Brennstoffes erbrüten; sie werden jedoch wie herkömmliche Reaktoren mit Wasser gekühlt. Damit die Neutronen dennoch schnell genug sind, um Plutonium zu erbrüten, müssen die Brennelemente im Kern sehr dicht gepackt werden.

Wirtschaftlich kann sich das lohnen. Einer Studie des US-amerikanischen Nuclear Energy Institute zufolge entfallen etwa zehn Prozent der Gesamtkosten pro Kilowattstunde Atomstrom auf den Brennstoff; je mehr der Reaktor erbrütet, desto weniger muss zugekauft werden.

"Wenn man mehr aus dem Brennstoff machen kann, hat das natürlich Charme", sagt Matthias Lamm von der deutschen Areva-Tochter. Die Hochkonversionsreaktoren könnten schnell startklar sein, weil die Technik derjenigen in aktuellen Atommeilern stark ähnelt. Schon in 15 Jahren könnten erste kommerzielle Hochkonversionsreaktoren ans Netz gehen - wo immer das politisch gewollt ist. "Das ist die Frage, die sich eine Gesellschaft stellen muss", sagt Lamm.

Die Deutschen haben sich diese Frage gestellt, immer wieder, und die Antwort fiel zuletzt ziemlich eindeutig aus: Raus aus der Atomkraft, und zwar gleich. Aber ihre Meinung ist wenig relevant, wenn an der deutschen Grenze ein Hochkonversionsreaktor oder ein Schneller Brüter gebaut wird - das Risiko müssen sie trotzdem mittragen.

Darum ist Wirtschaftsminister Philipp Rösler strikt gegen Überlegungen, sich aus den internationalen Nukleargremien zu verabschieden: Nur durch Beteiligung und Wahrung des deutschen Know-how könne man "das deutsche Interesse an der Wahrung höchster Sicherheitsstandards weltweit effektiv vertreten", schrieb er kürzlich an das Umweltministerium.

Mit diesen Standards ist Joachim Knebel vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) beschäftigt - auch an Sicherheitssystemen künftiger Reaktoren wird dort gearbeitet. "Wir können die Augen nicht vor Entwicklungen verschließen, die jenseits unserer Grenze voranschreiten", sagt Knebel. Sein Kerngebiet ist jedoch die einzige kerntechnische Forschung, die hierzulande noch salonfähig ist: Er arbeitet an der Entschärfung des strahlenden Abfalls.

Aber selbst hier zeigt sich, wie schwierig es in der Kerntechnik ist, eine weiße Ausstiegsweste zu behalten. Bei der sogenannten Transmutation werden die heikelsten Restprodukte der Kernspaltung wie Plutonium, die teils mehr als 100.000 Jahre lang gefährlich bleiben, aus abgebrannten Brennelementen abgetrennt. Dann bombardiert man sie mit schnellen Neutronen aus einem Beschleuniger, damit sie in kurzlebigere oder stabile Bruchteile zerfallen.

"Wir wissen jetzt, dass das grundsätzlich machbar ist", sagt Knebel. Der Haken dabei ist: Auch für diese Behandlung müssen die abgebrannten Brennelemente aufbereitet werden; seit dem Jahr 2005 ist das für deutschen Atommüll verboten.

Auch in den Anlagen in Frankreich und Großbritannien darf er nicht mehr verwertet werden, weil sie nicht die im Atomgesetz geforderte "schadlose Verwertung" erfüllen und in Deutschland keine Genehmigung bekämen. Stattdessen soll der Abfall unbehandelt endgelagert werden, wobei das Endlager freilich noch zu identifizieren ist. Für eine deutsche Transmutationsanlage müsste also erst einmal das Atomgesetz erneut geändert werden.

Demjenigen, der überhaupt nichts mit Atomenergie zu tun haben möchte, bleibt noch die Auswanderung - Australien bietet sich an.

© SZ vom 21.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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