Atmosphärenchemie:Der Himmel über Innsbruck

  • Möglicherweise werden die Mengen von flüchtig organischen Verbindungen (VOCs) in der Luft dramatisch unterschätzt.
  • Die Luft über Innsbruck enthält viermal so viele VOCs wie erwartet, fanden Forscher um Thomas Karl von der Universität Innsbruck heraus.

Von Andrea Hoferichter

Die Luft über Innsbruck ist voller Überraschungen. Sie enthält viermal so viele flüchtige organische Verbindungen (VOCs) wie erwartet, fanden Forscher um Thomas Karl von der Universität Innsbruck heraus. Die Substanzen, deren Grundstruktur aus Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen besteht, machen den Geruch einer Stadt aus: nach Kaffeerösterei, Krankenhaus oder Autoabgasen. Außerdem beeinflussen sie das Klima.

"Regionale und globale Klimamodelle sollten nun dringend angepasst werden", sagt Karl, der das unter anderem von der EU geförderte Projekt geleitet hat. Aller Wahrscheinlichkeit nach würden auch die VOC-Mengen in der Luft anderer Städte dramatisch unterschätzt. Die bisherigen Zahlen dazu seien mit großen Unsicherheiten behaftet, beruhten in der Regel auf Messungen an Laborprüfständen. "Unsere Messungen realer urbaner Emissionen sind zurzeit weltweit einzigartig", betont er. Organische Substanzen dampfen allerdings nicht nur aus den Städten in die Atmosphäre. Auf der nördlichen Erdhalbkugel liefert die Industrie einen ähnlich hohen Beitrag und die Natur noch einmal so viele VOCs wie Städte und Industrie zusammen.

"Es liefert jede Zehntelsekunde Daten zu allen relevanten VOCs"

Die Innsbrucker Messungen fanden von Juni bis Oktober 2015 statt, wie die Forscher im Fachblatt PNAS berichten. Die Luft wurde über eine Sonde an einem 40 Meter hohen Wettermast angesaugt und durch ein langes Rohr in ein waschmaschinengroßes Massenspektrometer gespeist. Das Gerät arbeitet um ein Vielfaches schneller als die üblichen gaschromatischen Systeme. "Es liefert jede Zehntelsekunde Daten zu allen relevanten VOCs", sagt Karl. Mithilfe von Windmessungen und statistischen Rechenverfahren ermittelten die Forscher außerdem, ob die Emissionen tatsächlich aus der Innenstadt kamen. "Insgesamt fallen riesige Datenmengen an, ungefähr ein Terabyte pro Monat", sagt der Forscher. Die Auswertung sei aufwendig und zeitraubend. Für kontinuierliche Messungen eigne sich das Verfahren deshalb noch nicht.

Dass die flüchtigen organischen Verbindungen überall dort, wo auch Stickoxide in der Luft sind, die Bildung von schädlichem Ozon am Boden begünstigen, ist schon lange bekannt. Dass sie auch einen großen Einfluss auf das Klima haben, wissen Forscher erst seit etwa zwanzig Jahren. Die Gase reagieren in der Atmosphäre mit sogenannten Hydroxylradikalen, einer besonders reaktiven Sauerstoff-Wasserstoff-Spezies, und wachsen dann zu festen, langlebigen Teilchen zusammen. Diese Aerosole beeinflussen, wie Meersalz- oder Rußteilchen auch, den Strahlungshaushalt und die Wolkenbildung in der Atmosphäre. "Vermutlich wirken sie in der Regel eher kühlend, aber ganz verstanden sind die Prozesse noch nicht", berichtet Karl. Auch wie groß ihr Anteil am städtischen Feinstaub sei, müsse man noch herausfinden.

Überrascht waren die Forscher, dass sie in den Luftproben Silikonöle fanden, die wegen ihrer Beständigkeit etwa Cremes, Lippenstiften oder Shampoos beigemischt werden. "Damit hätten wir in 40 Meter Höhe eher weniger gerechnet", so der Projektleiter. Wenig verwunderlich findet er dagegen, dass der Anteil gesundheitsschädlicher Lösungsmittel wie Benzol deutlich gesunken ist. Der vor 14 Jahren durch die EU angestoßene Umstieg, etwa auf wasserlösliche Farben und Lacke, zeigt offenbar Wirkung.

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