Astrophysik:Die verbotene Welt

150 Lichtjahre von der Erde entfernt, stellt ein Planet mit drei Sonnen gerade die gängige Theorie zur Entstehung von Planeten in Frage. Denn eigentlich dürfte es ihn gar nicht geben.

Von Thomas Bührke

Mehr als 150 Planeten, die ferne Sterne umkreisen, haben Astronomen in den vergangenen zehn Jahren entdeckt. Viele von ihnen haben Eigenschaften, mit denen niemand gerechnet hatte. Doch der jüngste Fund eines Trabanten in einem Dreifachgestirn bringt die Theoretiker wirklich in Bedrängnis: Eigentlich dürfte es ihn gar nicht geben. Jetzt sind sie gezwungen, ihre Vorstellungen von der Entstehung der Planeten zu überdenken.

Die überraschende Entdeckung gelang Maciej Konacki vom California Institute of Technology in Pasadena. Wie der Wissenschaftler im Fachmagazin Nature (1) berichtet, hat er vor zwei Jahren damit begonnen, nach Planeten in Doppel- und Mehrfach-Stern-Systemen zu suchen.

Fündig wurde er im 150 Lichtjahre entfernten System mit der Bezeichnung HD188753. Der neu entdeckte Trabant ist ein so genannter Riesenplanet mit einer ausgedehnten Atmosphäre. Er ist etwas schwerer als Jupiter und umkreist seinen Zentralstern auf einer sehr engen Bahn innerhalb von nur 3,35 Tagen. Auf ihm müssen Temperaturen um tausend Grad Celsius herrschen.

Jenseits der Schneegrenze

Nach der gängigen Theorie bildet sich der Trabant in einer Materiescheibe, in deren Zentrum der junge Stern ruht. Dies passiert jenseits der so genannten Schneegrenze, in einiger Entfernung zum Gestirn. In diesem Bereich ist die Temperatur weit genug abgesunken, so dass Gase zu Eisteilchen gefrieren.

Diese verbinden sich mit Staubteilchen und wachsen so langsam zu massereichen Planeten heran. Anschließend sammeln die Trabanten aus der Scheibe Gas auf und umgeben sich so mit einer Atmosphäre. Doch wie gelangen solche Planeten von der Schneegrenze nahe an ihren Stern? Astronomen glaubten bisher, dass sie wandern. Ursache hierfür sei die restliche Scheibenmaterie. Sie bremse den Planeten mit ihrer Schwerkraft ab; als Folge bewege sich dieser auf einer Spiralbahn in Richtung Stern.

Auf diese Weise ließ sich die Entstehung aller bisher bekannten extrasolaren Planetensysteme erklären, doch bei HD 188753 versagt die Standardtheorie.

Die verbotene Welt

Denn der Zentralstern, um den der Planet kreist, wird in etwas größerer Entfernung von zwei weiteren Sternen umkreist. Die beiden Begleiter müssen mit ihrer Schwerkraft die Staubscheibe um den Zentralstern so stark gestört haben, dass sie sich nie bis zur Schneegrenze ausdehnen konnte. Darüber hinaus haben sie die Scheibe vermutlich stark aufgeheizt, was der Planetenentstehung ebenfalls entgegen wirkt.

"Es ist sehr rätselhaft, wie sich der Planet in einer solch komplexen Umgebung bilden konnte", sagt Konacki. Zu demselben Schluss kommt auch die Astrophysikerin Hannah Jang-Condell von der Carnegie Institution in Washington.

Was nicht sein darf

In ihrer jüngst bei der Fachzeitschrift Astrophysical Journal eingereichten Arbeit zeigt sie, dass die Scheibe um HD 188753 viel zu wenig Materie enthielt, um einen Planeten von der Masse Jupiters entstehen zu lassen. Vor allem aber müsste sie sich unter dem Einfluss der drei Sterne nach spätestens 26000 Jahren aufgelöst haben - viel zu wenig Zeit für die Geburt eines Riesenplaneten. Wie aber kann sein, was nicht sein darf?

Der Theoretiker Hubert Klahr vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg sieht zurzeit vor allem eine Möglichkeit, das Rätsel zu lösen. "Die Sterne müssen ursprünglich weiter voneinander entfernt gewesen sein als heute, so dass für die Scheibe mehr Platz vorhanden war", meint er.

Die verbotene Welt

Vielleicht handelte es sich anfänglich sogar um ein System aus vier Sternen. Solch ein Quartett kann nach einigen Millionen Jahren zerfallen oder beim zufälligen Vorbeiflug eines anderen Sterns auseinander gerissen werden. "Dadurch hat sich das ganze Mobile verändert, und das neue Dreiersystem ist enger zusammengerückt", so Klahr. Diese Hypothese setzt allerdings einen großen Zufall voraus.

Schon vor der Entdeckung des Planeten in HD 188753 ließ die gängige Theorie zwei Lücken. Zum einen kann sie nicht erklären, warum der Trabant kurz vor dem Stern seinen spiralförmigen Abwärtstrend beendet und eine stabile Kreisbahn einschlägt, statt ungebremst in das Zentralgestirn hineinzustürzen. Zum anderen stellt sich die Frage: Warum sind die Riesenplaneten unseres Sonnensystems, Jupiter und Saturn, nicht bis nahe an die Sonne herangewandert?

Keine befriedigende Erklärung

Wegen dieser Ungereimtheiten sieht Günther Wuchterl vom Astrophysikalischen Institut in Jena die Stunde gekommen für neue Theorien. Bislang gehen die Forscher davon aus, dass jede Staubscheibe, die einen sonnenähnlichen Stern anfangs umgibt, etwa so viel Materie enthält, wie man es vom Urnebel unseres Sonnensystems annimmt.

Nach Wuchterls Modellen könnte es aber auch Scheiben geben, die so dicht sind, dass sich in ihnen trotz der Hitze in der Nähe eines Sterns Riesenplaneten bilden können. Doch auch diese Theorie kann das Phänomen HD 188753 nicht befriedigend erklären. Denn selbst wenn man annimmt, dass in der kleinen Scheibe genug Masse vorhanden war, hätte die Entstehung des Planeten mehr als eine Million Jahre gedauert: Hundertmal länger als Hannah Jang-Condell als Lebenserwartung der Scheibe ermittelt hat.

Die verbotene Welt

Der Disput um HD 188753 verdeutlicht zwei Probleme aller Theorien zur Entstehung von Riesenplaneten: Erstens kennen die Astronomen noch nicht alle physikalischen Vorgänge genau genug, die eine Rolle spielen. Und zweitens müssen sie ihre Modelle wegen der begrenzten Leistungsfähigkeit der Computer vereinfachen.

Das wird sich auch in absehbarer Zukunft nicht grundlegend ändern. Zu viele physikalische und chemische Vorgänge wirken mit, und vor allem können die Rechner die gewaltigen Größenskalen nicht überbrücken: Zwischen den ersten zaghaften Annäherungsversuchen der Gasmoleküle und dem Zusammenklumpen von kilometergroßen Felsen zu großen Planeten liegen rund 15 Zehnerpotenzen.

Hoffen auf neue Teleskop-Anlage

Erst genauere Beobachtungen werden Licht in das Dunkel der Vorzeit bringen. Große Hoffnungen setzen die Forscher auf das Atacama Large Millimeter Array (Alma). Diese von der Europäischen Südsternwarte, Eso, und den Vereinigten Staaten gebaute Anlage entsteht derzeit auf dem 5000 Meter hohen Berg Chajnantor in den chilenischen Anden.

Alma wird aus einigen Dutzend Teleskopen bestehen, die bis zu 14 Kilometer weit voneinander entfernt stehen. Damit soll es möglich sein, die Geburt von Planeten beobachten zu können. Erste Messungen sollen 2007 beginnen, das gesamte Array wird bis Ende des Jahrzehnts in Betrieb gehen.

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