Astronomie:Wir sind Sternenstaub

Milchstraße steht Kollision bevor

Die Milchstraße besteht zur Hälfte aus intergalaktischen Partikeln.

(Foto: NASA/dpa)

Die Hälfte der Materie auf der Erde hat extrem weite Strecken im All hinter sich. Viele Atome stammen nicht aus der Milchstraße, sondern aus fernen Sternhaufen. Das gilt auch für die Partikel, aus denen der menschliche Körper zusammengesetzt ist.

Von Patrick Illinger

Atome sind eine äußerst stabile Sache, nimmt man die radioaktiven Elemente aus. Die wichtigsten Bausteine des Lebens, Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff und viele weitere sind so stabil, dass sie nach ihrer Entstehung im Urknall (Wasserstoff) oder im Kernfusionsprozess eines Sterns (schwerere Elemente) auch Sternexplosionen unbeschädigt überdauern und Millionen oder gar Milliarden Jahre als Staub durch das Universum wabern, bis sie sich erneut mit anderen Atomen zusammenballen, verklumpen und einen neuen Stern samt Planeten hervorbringen. Im Schnitt hat jedes Atom auf der Erde, somit auch jedes Atom des menschlichen Körpers, bereits vier solche Zyklen hinter sich. Wir Menschen bestehen aus Sternenstaub.

Nun haben Astrophysiker mit Computersimulationen ermittelt, dass rund die Hälfte all des irdischen Baumaterials extrem weite Strecken im All zurückgelegt hat. Viele Atomkerne stammen nicht aus der uns umgebenden Galaxie, der Milchstraße, sondern von weiter entfernten Sternhaufen. Fernreisen durch das All sind für Atomkerne offenbar Alltag.

Eine große Galaxie wie die Milchstraße bezieht demnach die Hälfte ihrer Masse aus Sternansammlungen, die bis zu eine Million Lichtjahre entfernt sind. Zum Vergleich: Der Durchmesser der Milchstraße beträgt gut 100 000 Lichtjahre. Die importierte Materie wabert als Staub durch das All, und stammt von sterbenden Sternen, die ihre Überreste als explodierende Supernovae ins All gespien haben. Die dabei beschleunigten Staubmassen wehen mit größerer Wucht als zuvor bekannt durch die scheinbar leeren Räume zwischen den Galaxien. "Bisher dachten wir, diese Winde seien auf ihre ursprünglichen Galaxien begrenzt, und würden dort recycelt", sagt einer der Autoren der in Monthly Notices of the Royal Astronomical Society veröffentlichten Untersuchung, Claude-André Faucher-Giguère von der Northwestern University in Illinois. Doch offenbar tauschen Galaxien permanent Materie aus.

Bis der rasende Sternenstaub eine benachbarte Galaxie erreicht, vergeht mitunter viel Zeit. Das kann, je nach Distanz, bis zu zwei Milliarden Jahre dauern. Dass die Winde schneller sind als bisher gedacht, war unter anderem das Ergebnis genauerer Simulationen der Prozesse in einer Supernova. Diese zeigten, dass Materie von einem sterbenden Stern mit so extremer Wucht beschleunigt wird, dass die Partikel das Gravitationsfeld ihrer Muttergalaxie verlassen. Von dem Zustrom vagabundierender intergalaktischer Partikel profitieren vor allem große Galaxien. Für sie ist es ein bedeutender Wachstumsfaktor. Besitzt eine Galaxie 100 Milliarden Sterne oder mehr, so wie die Milchstraße, dann hat sie im Laufe ihres Daseins rund die Hälfte ihrer Materie aus intergalaktischen Partikelwinden zusammengesammelt. So kommt es, dass auch rund die Hälfte aller Atome auf der Erde und somit der Bausteine jedes menschlichen Körpers bereits eine lange Reise durch die Weiten des Alls hinter sich hat.

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