Asteroidenabwehr:Projekt "Armageddon"

Eines Tages wird ein gefährlich großer Felsbrocken Kurs auf die Erde nehmen und unsere Zivilisation bedrohen - das ist sicher. Unklar ist nur, wann es soweit ist. Europa, Russland und die USA haben nun ein beispielloses Forschungsprogramm zur Asteroidenabwehr gestartet, um darauf vorbereitet zu sein.

Alexander Stirn

Der große Knall wird kommen. Irgendwann. Vielleicht dauert es noch 10.000 Jahre, vielleicht ist es schon im nächsten Winter so weit. Sicher ist nur, dass eines Tages ein großer Felsbrocken Kurs auf die Erde nehmen wird, dass er plötzlich auf Radarbildern auftaucht und die Zivilisation bedroht. Genauso sicher ist, dass die Menschen der Gefahr aus dem All ziemlich hilflos zuschauen werden - zumindest wenn sich nicht grundlegend etwas ändert.

A NASA artist's concept of a broken-up asteroid

So sieht es nach Vorstellung der Nasa aus, wenn ein Asteroid auseinanderbricht. Wissenschaftler aus Europa, Russland und den USA untersuchen, wie sich erdnahe Objekte aus der Bahn bringen lassen. Überlegt wird auch, dazu eine atomare Explosion auszulösen.

(Foto: Reuters)

Es gibt derzeit keinen internationalen Plan, wie wir mit der Bedrohung durch einen Asteroiden umgehen sollten", sagt Alan Harris, Planetenforscher am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. "Es gibt nicht einmal gemeinsame Überlegungen, wie wir seine Abwehr organisieren, vorbereiten oder umsetzen könnten." Harris, ein gebürtiger Brite, der seit fast 20 Jahren in Berlin forscht, will das ändern. In der vergangenen Woche hat er das bislang umfangreichste internationale Forschungsprogramm zur Asteroidenabwehr angeschoben.

Dreieinhalb Jahre lang wollen Wissenschaftler aus Europa, Russland und den USA erkunden, wie sich erdnahe Objekte (sogenannte NEOs, Near-Earth-Objects) aus der Bahn bringen lassen. Sie wollen Experimente starten, Abfang-Missionen konzipieren und der Politik eine Art Notfallplan an die Hand geben. Vier Millionen Euro macht die Europäische Kommission für das Projekt mit dem Namen "NEO-Shield" locker, weitere 1,8 Millionen steuern die 13 beteiligten Forschungseinrichtungen, Universitäten und Unternehmen bei.

Harris neigt dabei keineswegs zu Alarmismus. "Kein Mensch muss wegen eines Asteroiden schlaflose Nächte haben", sagt der NEO-Shield-Projektleiter. Das Risiko jedes Menschen, sein Leben durch einen Brocken aus dem All zu verlieren, liege grob geschätzt bei eins zu einer Million. Es gibt aber noch einen anderen Aspekt: "In einer dicht besiedelten und eng vernetzten Welt könnte schon ein relativ kleiner Asteroid verheerende Schäden anrichten", sagt Harris.

Statistisch rast alle paar hundert Jahre ein Himmelskörper mit einem Durchmesser zwischen zehn und 30 Meter auf die Erde zu. Im Jahr 1908 ging höchstwahrscheinlich solch ein Brocken über Sibirien nieder, explodierte mit der tausendfachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe und knickte in der Nähe des Flusses Tunguska mehr als 50 Millionen Bäume um. In Arizona hinterließ vor 50.000 Jahren ein Asteroid vergleichbarer Größe einen 1,2 Kilometer großen Krater. "In einer Stadt wäre solch ein Ereignis die totale Katastrophe, vielleicht sogar die schlimmste Naturkatastrophe, die die Menschheit je erlebt hat", sagt Harris. "Und so etwas kann passieren."

Etwa 8000 erdnahe Objekte sind derzeit bekannt. Keines von ihnen wird, so die aktuellen Berechnungen, in den kommenden hundert Jahren mit der Erde kollidieren. Allerdings entdecken Astronomen jeden Tag zwei neue vagabundierende Himmelskörper, meist in der Größe des Tunguska-Brockens. Letztlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis einer davon auf die Erde zusteuert. Und dann? "NEO-Shield wird uns zeigen, ob wir technologisch überhaupt in der Lage sind, die Welt zu retten", sagt DLR-Wissenschaftler Harris. Immerhin.

Ansätze wie aus einem Science-Fiction-Film

Drei Ansätze will das Forschungskonsortium verfolgen, alle drei könnten aus einem Science-Fiction-Film stammen. Am Kuriosesten erscheint der Versuch, einen heranrasenden Asteroiden allein durch die Schwerkraft eines von Menschen entsandten Raumfahrzeugs von seiner Bahn abzubringen. Millionen von Kilometern soll das Raumfahrzeug, das vom kalifornischen Carl Sagan Center konzipiert wird, neben dem Himmelskörper herfliegen.

Asteroid Ida and its Satellite Dactyl

Im Schwerefeld der Sonne ziehen nicht nur Planeten ihre Bahnen. Gut 8000 Asteroiden und Kometen im erdnahen Umfeld sind bis heute bekannt. Asteroid "243 Ida" hat sogar einen eigenen Mond.

(Foto: Nasa)

Normalerweise würde es dabei schlicht von der Gravitationskraft des Brockens angezogen, durch gezieltes Feuern seiner Triebwerke soll es den Abstand aber konstant halten. Weil auch der Asteroid von der Sonde angezogen wird, müsste er langsam aber sicher seine Flugbahn ändern - so als hänge er an einer sanften Variante des Traktorstrahls aus der Fernsehserie "Star Trek". Die Bahnänderung lässt sich sehr genau kontrollieren, und sie funktioniert sogar bei unförmigen, wild rotierenden Himmelskörpern.

Das Ganze dauert allerdings Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte", sagt Wolfram Lork, NEO-Shield-Koordinator beim Raumfahrtkonzern Astrium in Friedrichshafen. Die große Frage bei solch einer Abschleppsonde wird daher sein, ob ihre Triebwerke bis zu 20 Jahre lang durchhalten. "Im Prinzip spricht nichts dagegen", sagt Lork, "wir haben bislang aber keine Erfahrungen für so lange Zeiträume."

Schneller, aber auch rabiater ist der Versuch, mit den Asteroiden Billard zu spielen. Eine Raumsonde soll dabei mit bis zu 35.000 Kilometern pro Stunde auf einen herannahenden Himmelskörper prallen. Sie würde einen Teil ihres Impulses, der von ihrer Geschwindigkeit und ihrer Masse bestimmt wird, auf das kosmische Geschoss übertragen. Abhängig vom Winkel des Zusammenstoßes würde der Asteroid bremsen oder beschleunigen - und dadurch ein zerstörerisches Rendezvous mit der Erde verpassen.

Bereits 2006 hatte Europas Raumfahrtagentur Esa eine entsprechende Mission auf den Weg gebracht. "Don Quijote" hieß das Projekt. Es kam - wie so oft in der europäischen Raumfahrt - nie über eine Machbarkeitsstudie hinaus. NEO-Shield will diese Vorarbeiten wieder aufgreifen. "Die große Herausforderung wird dabei die Navigation sein", sagt Lork. Um den Asteroiden vom Weg abzubringen und nicht nur in Rotation zu versetzen, muss die Raumsonde sein Zentrum exakt treffen. Sie muss noch im letzten Moment Bahnkorrekturen vornehmen, und im Ziel auf wenige Meter genau einschlagen.

Auch das Asteroiden-Billard dauert seine Zeit. Pro Tag wird die Bahn des angestupsten Himmelskörpers nur um wenige Zentimeter vom ursprünglichen Kurs abweichen. Wenn es schnell gehen muss, hilft folglich nur eines, sagt Lork: die Bruce-Willis-Methode. Im Hollywood-Film "Armageddon" zündete der Schauspieler eine Atombombe in der Nähe eines gefährlichen Asteroiden.

Europas Don-Quijote-Projekt

Tatsächlich haben russische Ingenieure ganz ähnliche Pläne. "Im Gegensatz zu ,Armageddon' soll es aber nicht darum gehen, den Himmelskörper zu zerstören", sagt Astrium-Manager Lork. Die vielen kleinen Fragmente würden nur noch größeren Schaden anrichten. Stattdessen überlegen die NEO-Shield-Experten, den Asteroiden durch die Kraft der atomaren Explosion aus seiner Bahn zu werfen.

Die Methode soll allerdings nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden - etwa, wenn das Objekt größer als ein Kilometer ist oder wir nur eine kurze Vorwarnung haben", sagt DLR-Forscher Harris. Normalerweise sollte genügend Zeit sein: Der Asteroid Apophis, der die Erde im Jahr 2029 in nur 30.000 Kilometern Entfernung passieren wird (und damit näher als Fernsehsatelliten), wurde zum Beispiel schon 2004 entdeckt. Sollte er wider Erwarten doch Kurs auf die Erde nehmen, blieben noch 17 Jahre Zeit für den Gegenschlag.

In solchen Fällen denken die Wissenschaftler sogar darüber nach, zunächst eine Erkundungssonde auf die Reise zu schicken. Sie könnte Rotationsgeschwindigkeit, Masse und poröse Struktur des Asteroiden ermitteln - schließlich braucht jeder feindliche Himmelskörper eine genau auf ihn zugeschnittene Abwehrstrategie.

Im Rahmen von NEO-Shield wollen die Forscher daher untersuchen, wie unterschiedliche Materialien reagieren. Labors in Freiburg und London sollen imitierte Asteroiden-Oberflächen mit Geschossen bombardieren. Zusammen mit Computersimulationen werden die Ergebnisse helfen, Missionen besser zu planen.

"Wir wollen keinesfalls ein Arsenal von Abwehrraketen anlegen, die auf Knopfdruck starten, sobald irgendwo eine Bedrohung erkannt wird", sagt Lork. "Das ist unrealistisch." Vielmehr müsse jeder Angriff genau abgewogen und auf sein Ziel abgestimmt werden.

Zuvor müssen die NEO-Shield-Forscher noch Überzeugungsarbeit leisten. Sie müssen ihre Geldgeber dazu bringen, die in den kommenden Jahren entwickelten Methoden auch in Testflügen umzusetzen - als experimentelle Missionen, bei denen ungefährliche Asteroiden übungshalber abgeschleppt, angestoßen und Explosionen ausgesetzt werden.

Bislang ist so etwas, wie bei Europas Don-Quijote-Projekt, immer daran gescheitert, dass die Verantwortlichen keine konkrete Bedrohung sahen - und "Irgendwann" ist für die Politik kein Maßstab, auch wenn der große Knall eines Tages ganz sicher kommen wird.

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