Asteroiden:Trommelfeuer aus der Galaxis

Astronomen entdecken mehr und mehr wild vagabundierende Himmelskörper - sind sie wirklich eine Bedrohung für die Erde?

Patrick Illinger

(SZ vom 13.08.2002) - Mit der Präzision eines kosmischen Uhrwerks rast die Erde jedes Jahr im August durch eine interplanetare Kiesgrube.

Asteroiden: Im Lauf der Erdgeschichte kam es immer wieder zu Einschlägen. Das beweisen mehrere hundert Krater in allen Teilen der Welt. Den größten davon, auf der Halbinsel Yucatan, soll der Meteorit hinterlassen haben, der einst die Dinosaurier aussterben ließ.

Im Lauf der Erdgeschichte kam es immer wieder zu Einschlägen. Das beweisen mehrere hundert Krater in allen Teilen der Welt. Den größten davon, auf der Halbinsel Yucatan, soll der Meteorit hinterlassen haben, der einst die Dinosaurier aussterben ließ.

(Foto: SZ-Grafik, Daniel Braun)

Ein dichter Schwarm meist traubengroßer Gesteinsbrocken hämmert dann in die Lufthülle der Erde, wo sie als Sternschnuppen verglühen. "Perseiden" nennen Astronomen den Asteroidenschauer im August, "Leoniden" einen weiteren, der im November den Nachthimmel mit einem Funkenregen überzieht.

Das ästhetische und auch wissenschaftlich faszinierende Schauspiel (siehe Link unten) täuscht dabei leicht über eine bedrückende Wahrheit hinweg: Perseiden und Leoniden sind Sandkörner im Vergleich zu den weit massiveren Asteroiden, die kreuz und quer im erdnahen Weltraum kreisen.

Unter ihnen sind nach Schätzungen von Astronomen mindestens 1250 Asteroiden mit mehr als einem Kilometer Durchmesser. Die Forscher sind sicher: Irgendwann kommt es zum Crash. Nur wann?

Wann kommt es zum Crash?

Um darauf eine Antwort zu finden, haben in den vergangenen Jahren mehrere Teleskope begonnen, den Nachthimmel systematisch nach Spuren so genannter erdnaher Objekte (Near Earth Object Neo) abzusuchen.

Am produktivsten ist das "Linear"-Programm in New Mexiko, wo die Suche mit zwei 1- Meter-Teleskopen und lichtempfindlichen Mikrochips automatisiert wurde. Mehr als die Hälfte aller heute bekannten größeren Asteroiden haben die "Linear"- Teleskope entdeckt.

Doch immer wieder rasen Schwergewichte an der Erde vorbei, ohne dass ein einziges Fernrohr der Welt das kosmische Geschoss kommen sah. Erst im Juni dieses Jahres schrammte ein Asteroid, groß wie ein Fußballfeld, mit 37.000 Kilometern pro Stunde in nur 120.000 Kilometer Abstand an der Erde vorbei - ein Streifschuss in kosmischen Maßstäben. Erst drei Tage später entdeckten Wissenschaftler den Brocken.

"Das Ding kam aus dem Tageslicht", bekannte Don Yeomans, der bei der Nasa das Near Earth Objects-Programm koordiniert, "deshalb war es unmöglich zu sehen". Ein Zusammenstoß mit der Erde hätte zwar keine globale Katastrophe ausgelöst, aber sehr wohl ganze Landstriche verwüstet.

Atmosphäre als Schutzhülle

Gegen Meteoriten mit bis zu 50 Meter Durchmesser wirkt die Erdatmosphäre wie eine Schutzhülle. Die Einschlagsenergie entspricht in diesem Fall der Sprengkraft von mehreren Millionen Tonnen TNT, die in der Lufthülle verpuffen.

Größere Asteroiden oder Kometen richten beträchtliche Zerstörung auf der Erdoberfläche an. Hunderte von Einschlagkratern weltweit zeugen davon, dass Meteoriten nicht nur während der Entstehung des Planetensystems auf die Erde regneten.

Soeben berichteten Englische Wissenschaftler von einem gut erhaltenen Meteoritenkrater am Nordseegrund mit einem Durchmesser von drei Kilometern, dessen Verwerfungen sich über 20 Kilometer erstrecken.

Mit zehn Prozent Wahrscheinlichkeit trifft alle 100 Jahre ein 100-Meter-Brocken auf die Erde, haben Astronomen berechnet. Im Jahr 1908 walzte der auf 70 Meter Durchmesser geschätzte "Tunguska-Meteorit" in Sibirien mehr als 2000 Quadratkilometer Waldfläche nieder.

Erst die Hälfte der großen Asteroiden entdeckt

Bislang sei nur die Hälfte der großen erdnahen Asteroiden entdeckt, erklärte Alan Harris vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) vor wenigen Tagen in Berlin, wo sich 450 Wissenschaftler zur internationalen Konferenz "Asteroiden, Kometen und Meteore" trafen.

Nach Angaben der DLR soll ab dem Jahr 2009 ein Spezialteleskop an Bord einer Raumsonde den erdnahen Weltraum flächendeckend nach Steinbrocken auf Kollisionskurs absuchen.

Doch Wissenschaftler fordern längst mehr als nur Beobachtungsprogramme. Im September treffen sich Asteroidenforscher in Arlington, Virginia, um über gezielte Abwehrmaßnahmen zu beraten.

Von ferngezündeten Atomsprengsätzen, die gefährliche Asteroiden zerbröseln, bis hin zu gigantischen Sonnensegeln, die deren Flugbahn ändern, reicht die Fantasie der Wissenschaftler. Um ein kosmisches Desaster abwenden zu können, seien jedoch mehrere Jahrzehnte Vorlauf nötig, betonen sie. Daher müsse der gesamte erdnahe Schutt schnellstens katalogisiert werden.

Um das Gefahrenpotenzial von Asteroiden in Zahlen zu fassen, haben Wissenschaftler zwei Maßstäbe entwickelt. Die "Turiner Skala" verläuft von Null bis Zehn, je nach Einschlagwahrscheinlichkeit und Zerstörungskraft des Himmelskörpers.

Die "Palermo-Skala" ähnelt einem mathematischen Verfahren der Versicherungswirtschaft. Dabei erhält jeder Asteroid einen Zahlenwert, der beschreibt, wie stark sich seine individuelle Gefährlichkeit von der allgemeinen Einschlagwahrscheinlichkeit aller Asteroiden ähnlicher Größe abhebt.

Streit zwischen Wissenschaftlern und Journalisten

Der Brisanz ihrer Daten müssen sich Wissenschaftler mitunter noch bewusst werden. Vor wenigen Wochen schaffte es ein zwei Kilometer dicker Asteroid mit dem Namen 2002NT7 immerhin auf Stufe eins der Turiner Skala ("bedarf sorgfältiger Beobachtung").

Im Jahr 2019, so hatten Astronomen berechnet, könnte der Klumpen - mit extrem geringer Wahrscheinlichkeit - die Erde treffen. Das Medienecho führte zu einem handfesten Streit zwischen Wissenschaftlern und Journalisten, in dem neben anderen dem Wissenschaftsredakteur des Onlinedienstes der BBC Übertreibung vorgeworfen wurde. Der verwies seinerseits auf entsprechende Wortwahl der Nasa.

Experten können eben mit Wahrscheinlichkeiten von Eins zu 250.000 (wie im Fall des 2002NT7) noch gut schlafen, was für Laien nicht unbedingt gilt.

Immerhin: Die nächste Begegnung der Erde mit einem größeren Asteroiden wird völlig gefahrlos verlaufen. Am Sonntag, den 18. August, wird ein 600 Meter dicker Brocken die Erde in 530.000 Kilometer Entfernung passieren.

Amateur-Astronomen können das kosmische Geschoss mit einem guten Feldstecher im Sternbild des Herkules beobachten.

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