Arzt werden?:Geld und Leben

Die Pharmabranche umwirbt Mediziner. Sie lockt mit geregelten Arbeitszeiten und höheren Gehältern. Aber auch altruistische Motive können junge Absolventen in die Konzernwelt locken.

Von Christine Demmer

Der Traum von der eigenen Facharztpraxis ist für angehende Ärzte und Ärztinnen sehr gegenwärtig. Drei von vier Medizinstudenten wünschen sich einer Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) von 2014 zufolge eine anspruchsvolle, selbständige Tätigkeit, die Berufs- und Privatleben austariert und ein hohes Einkommen verspricht. Ebenso viele können sich vorstellen, später in einer Klinik Patienten zu behandeln. Doch kaum einer von zehn will sich später in der pharmazeutischen Industrie um die Arbeitsmaterialien, sprich die Medikamente verdient machen. Was verwundert, denn Ärzte mit Teamgeist und Interesse an der Wissenschaft werden von der Pharmabranche verwöhnt - auch als Angestellte.

Laut der KVB-Studie ist die Bereitschaft der Medizinstudenten, gemeinsam mit Biologen, Chemikern und Pharmakologen in der Industrie Arzneimittel zu erforschen und zu entwickeln, seit 2010 von 12,5 auf 9,6 Prozent gesunken. Das stellt die deutsche Pharmawirtschaft, immerhin weltweit nach den USA auf Platz zwei, vor Rekrutierungsprobleme. Denn gerade in der klinischen Forschung und in der Anwendungsbeobachtung braucht die Industrie Mediziner, die die Sprache ihrer Kollegen in Kliniken und Praxen sprechen und verstehen, welch große Rolle sie der Patientensicherheit beimessen. "Typische Stellenbezeichnungen in diesem Bereich sind Medical Advisor oder Medical Science Relation (Liaison) Manager", sagt Rolf Hömke vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller. Ärzte und Ärztinnen begleiten ein Produkt aus der medizinisch-wissenschaftlichen Perspektive, steuern die Kommunikation und beantworten wissenschaftliche Anfragen anderer Unternehmensabteilungen. Darüber hinaus initiieren und betreuen sie Studienprojekte und bereiten fachliche Meetings vor.

Ein Arzt kann vielleicht einigen Tausend Patienten helfen, ein Forscher ganzen Populationen

Ein Arzt kann in seinem Berufsleben einigen Tausend Kranken die Gesundheit zurückgeben. "In der Industrie heilen Ärzte nicht den einzelnen Patienten oder behandeln in einer Praxis 16 bis 20 an einem Tag, sondern helfen ganzen Populationen und tilgen Krankheitsbilder", setzt Steven Hildemann dagegen. Er ist Chief Medical Officer, also leitender Mediziner bei Merck in Darmstadt und im Nebenberuf Professor an der Uniklinik Freiburg. Diesen Antrieb sollten die Studierenden spüren, sagt er, dann seien sie in der Industrie richtig.

Ärzte in der Pharmaindustrie arbeiten in einem globalisierten Umfeld: "Große Pharmahersteller haben nicht nur einen Forschungsstandort, sondern weltweit mehrere", sagt Hildemann und schwärmt: "Für junge Mediziner ist es eine tolle Gelegenheit, in einem globalen Umfeld arbeiten zu können." Die Arbeitgeber in der Pharmabranche erwarten eine praktische oder klinische Tätigkeit, idealerweise gepaart mit Erfahrung mit klinischen Studien. Es kämen aber auch viele Ärzte direkt nach dem Studium.

Nebeneinkünfte

Im vergangenen Jahr hat die Pharmaindustrie Kliniken und niedergelassenen Ärzten mindestens 366 Millionen Euro für klinische Studien und Anwendungsbeobachtungen an Patienten bezahlt. Das hat der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) kürzlich mitgeteilt. An der Offenlegung der Zahlungen im Rahmen des sogenannten Transparenzkodex nahmen allerdings nur 54 Unternehmen teil. Sie decken etwa drei Viertel des deutschen Pharmamarktes für verschreibungspflichtige Medikamente ab. Die Gesamtsumme dürfte also noch darüber liegen. Christine Demmer

Für Studenten in höheren Semestern stehen - wenige - Praktikumsplätze zur Verfügung. Das ist für die Pharmawirtschaft Neuland. Aber für die Nachwuchssicherung muss sich die Branche etwas einfallen lassen. "Danach gehen die Studenten zurück an die Uni", erklärt Hildemann, "machen ihren Abschluss und - wenn sie sich für mehr empfehlen konnten - kommen dann gerne zu uns zurück."

Vor seinem Wechsel in die Industrie arbeitete Hildemann in der Uniklinik München als Internist und Kardiologe. Während dieser Zeit hat er viele klinische Studien durchgeführt. Zuletzt siegte die wissenschaftliche Neugier über den Wunsch, Patienten zu helfen. "Für mich war und ist das wichtig", betont Hildemann, glaubt aber, die klinische Praxis sei auch anderen von Nutzen: "Einige Jahre klinische Erfahrung und Arbeit mit den Patienten können eine wertvolle und hilfreiche Erfahrung sein, die einem auch in der Forschung hilft." Approbierte Mediziner könnten natürlich auch direkt nach dem Studium in der Industrie einsteigen. Den richtigen Einstiegszeitpunkt gebe es nicht. Wenn sich seine Studenten danach erkundigen, fragt er zurück: "Was treibt euch an? Was ist eure Leidenschaft? Wenn es in Richtung klinische Forschung geht, ist die Promotion extrem wichtig. Dabei lernt man solides wissenschaftliches Arbeiten."

Ein Blick in die Jobbörsen zeigt, dass sich die Pharmawirtschaft des Engpasses bei den Medizinern bewusst ist: Abhängig von der fachlichen Spezialisierung locken Dutzende Stellen in der präklinischen und in der klinischen Forschung. Eine mehrjährige Assistentenzeit, eine abgeschlossene Facharztausbildung oder ein Doppelstudium, gern auch ein MBA, seien von Vorteil, heißt es bei Bayer Pharmaceuticals. Um ihre Arbeitgeberattraktivität zu beweisen, stellt die Pharmawirtschaft das heraus, was Medizinstudenten am wichtigsten ist: geregelte Arbeitszeiten mit dem heute nötigen Quantum Selbstbestimmung und eine Tätigkeit auf dem neuesten Stand der Wissenschaft.

Der Wunsch, im Ausland zu arbeiten oder sich mit Kollegen in aller Welt auszutauschen, rangiert hingegen im unteren Mittelfeld. Das ergab eine aktuelle Umfrage der Universität Trier unter 11 462 Medizinstudierenden im Auftrag der KBV. Auch der Wunsch nach einem hohen Einkommen wird artig pariert. "In den frühen Berufsjahren sind die Verdienste ähnlich wie bei Klinikärzten", sagt Hildemann. Später sieht es anders aus, da hat die Arzneimittelindustrie die besseren finanziellen Angebote. "Als Facharzt oder mit Zusatzqualifikationen oder in gesuchten Fachgebieten wie zum Beispiel Onkologie sind die Verdienstaussichten in der Pharmabranche besser."

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