Artenschutz:Hässliche Tiere sind arm dran

Schöne, beliebte Tiere sind die Symbole des Artenschutzes. Die unansehnlichen und langweiligen sterben unbemerkt aus - ganz gleich, wie hoch ihre ökologische Bedeutung sein mag.

Robert Lücke

Die Meldungen der Naturschutz- und Umweltverbände stimmen froh. "Große Erfolge - Der Seeadler ist auch als Brutvogel in Österreich wieder auf Erfolgskurs!", schreibt der österreichische WWF auf seiner Homepage. In Bayern jubelt der Landesbund für Vogelschutz: "Der König der Lüfte kehrt zurück."

Artenschutz: Als Sympathieträger für Artenschutzkampagnen eignet sich der Nacktmull nicht.

Als Sympathieträger für Artenschutzkampagnen eignet sich der Nacktmull nicht.

(Foto: Foto: dpa)

Egal ob Adler, Luchs, Wolf, Bär, Kranich oder Weißstorch - dank intensiver Schutzmaßnahmen wachsen die Bestände nicht nur bei vielen spektakulären heimischen Tierarten; auch über Pandas, Wale und Elefanten melden Artenschützer regelmäßig Positives. Das ist nicht zuletzt ihrer langen und oft mühseligen Arbeit zu verdanken.

Parallel dazu geschieht aber eine weitgehend unbemerkte Katastrophe. Die Bestände vieler unauffälliger Klein- und Singvogelarten brechen zusammen; auch viele wirbellose Tiere - wie Insekten und Quallen - werden immer seltener oder sterben aus. Doch bis auf ein paar Fachleute interessiert das kaum jemanden, denn mit diesen Lebewesen kann man nicht werben.

So bleibt unbekannt, wenn Milben, Motten oder Schnecken gefährdet sind, vermeintlich hässliche, lästige oder gar als schädlich empfundene Tiere. Sie locken keinen Spenden-Cent aus dem Portemonnaie. "Um die unscheinbaren Arten schert sich niemand", beklagt Ragnar Kinzelbach vom Institut für Zoologie der Universität Rostock.

"Wirbeltierchauvinismus" nennen das kritische Experten. Dabei sind der Fortbestand und die ökologische Bedeutung der langweiligen, hässlichen oder glibberigen Tiere mitunter wichtiger als die Frage, ob in Bayern nun zwei oder drei Seeadlerpaare brüten.

Kuschelfaktor macht großzügig

Gewiss gibt es kleine Ortsgruppen von Umweltschützern, die Tümpel für Laubfrosch und Rotbauchunke sichern, Nistkästen für den gefährdeten Trauerschnäpper in den Wald hängen oder Scheunenböden für Fledermäuse zugänglich machen. Im Großen und Ganzen aber geht es im Naturschutz immer wieder um dieselben, meist sehenswerten Tiere.

Für Wale riskieren etwa die Aktivisten der weltweit wohl bekanntesten Umweltschutzorganisation Greenpeace im Kampf mit Fangflotten ihr Leben. Aber wer kettet sich für die Blindschleiche an eine Planierraupe?

"Natürlich mobilisieren Wale und Kulleraugen mehr Spenden als ein ölverseuchter Fluss", räumt Oliver Salge von Greenpeace ein. Das bedeute aber nicht, dass sich seine Umweltschutzorganisation nur um einzelne Tierarten kümmere. Konkrete Artenschutzprojekte betreibe Greenpeace ohnehin nicht. Die Organisation verstehe sich als genereller "Anwalt der Natur".

"Aber wenn wir wie zuletzt für die Vergrößerung eines Walschutzgebiets im Südpolarmeer arbeiten, bringt das dort auch anderen Tieren Vorteile", erläutert Salge, "und Kampagnen zur Rettung von Urwäldern in Kanada, Russland und Brasilien, die zum Stopp der Rodung führen, helfen vielen bedrohten Arten."

Auch wenn Greenpeace dabei fast ausschließlich mit populären Tieren wie Luchs und Bär wirbt, so Salge, "weil der vielleicht schützenswertere Käfer einfach nicht so viele Menschen anspricht". Ein Drittel der Spenden fließe in Projekte, "in denen es auch mal um die nicht so schönen Dinge geht. Keine attraktiven pelzigen Tiere, sondern vielleicht langweilig erscheinende Gebiete mit unspektakulärer Flora und Fauna."

Auch der WWF, bei dem der Panda schon im Logo vorkommt, betreibt in erster Linie Lebensraumschutz. "Wir kaufen oder pachten wertvolle Biotope, bilden Wildhüter aus und bezahlen Infokampagnen vor Ort", sagt WWF-Sprecher Jörg Ehlers.

Wenn in einer dieser Regionen Tiger leben, werde natürlich mit den beliebten Großkatzen geworben. "Dass der Schutz ihres Lebensraumes auch dem Moschustier, dem wilden Ginseng und dem Bären zugutekommt, macht das Ganze umso besser."

Das Argument, dass die Naturschützer mit dem Schutz einer bekannten Leitart gleichzeitig das Überleben vieler anderer Arten sichern sei zwar in gewisser Weise berechtigt, sagt der Rostocker Zoologe Ragnar Kinzelbach.

Trotzdem ärgern ihn die modernen Auswüchse des Artenschutzes mit Kuschelfaktor und Tierkindchenschema. "Heute gibt es ja für jede größere Tierart einen eigenen Verein." Darunter leide die Effizienz der Umweltschutzbemühungen.

Was Imagepflege bewirken kann, lesen Sie auf Seite zwei.

Hässliche Tiere sind arm dran

Ohnehin sei der Schutz der Natur längst nicht das Ziel aller Naturschutzverbände, sagt Kinzelbach. "Das sind oft Wirtschaftsunternehmen, die Geld verdienen wollen. Wenn ich arbeitslos wäre oder arm, ich würde einen Naturschutzverband gründen", so Kinzelbach - es lohne sich. Tatsächlich ist die Spendebereitschaft der Deutschen hoch.

Zuletzt nahm der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) 13 Millionen Euro in einem Jahr ein, 32 Millionen gingen an den WWF Deutschland, 21 Millionen an den Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und Greenpeace erhielt fast 40 Millionen Euro.

Weder schön noch wohlklingend

Trotz solcher Summen würden die Ergebnisse im Umweltschutzbereich kaum evaluiert, moniert Kinzelbach. "Wie viele Millionen Euro gehen an unsere deutschen Nationalparks, in denen nach wie vor waldschädigende Rothirsche gezüchtet werden und Nadelholz-Monokulturen wachsen dürfen. Da kontrolliert niemand die Effizienz, während zugleich Arten aussterben, die keiner kennt."

Akut bedroht ist zum Beispiel der Trauerschnäpper. Dieser Zugvogel ist unauffällig grau-braun-schwarz, lebt meist in belaubten Baumkronen - und singt noch nicht einmal besonders melodisch. Seine Bestände schwinden rapide, weil er erst im Mai aus Afrika zurückkehrt - zu spät.

Wegen des immer früher einsetzenden Frühlings schlüpfen die Insekten, die er zur Fütterung seiner Jungen benötigt, zeitiger, und wenn er in Mitteleuropa ankommt, haben andere Vögel dem Trauerschnäpper die besten Brutreviere und einen Großteil der Beute bereits weggeschnappt. Trotzdem kümmern sich allenfalls kleine Naturschutzgruppen um seinen Schutz - indem sie zum Beispiel Bruthöhlen aufstellen.

Gewiss, es gibt manche Ausnahme von der Kuscheltier-Werbestrategie. Vor einigen Jahren hat bei den WWF-Werbestrategen sogar einmal der Schweinswal gegen den Gorilla gewonnen. "Das hat uns selbst überrascht", sagt WWF-Sprecher Ehlers.

"So supersexy klingt Schweinswal ja nicht, und wir hatten noch überlegt, ihn besser Nordsee-Wal zu nennen." Doch der einzige Wal in deutschen Gewässern machte auch so das Rennen gegen den Gorilla.

Überlegener Leopard

Manchmal hilft auch ein bisschen Imagepflege. "Wir haben in den letzten Jahren erreicht, dass die Menschen Fledermäuse als schützenswerte und nette Tiere betrachten", sagt Kathrin Klinkusch vom Nabu. Nun spenden die Deutschen für die Tiere und richten sogar Häuser für sie her.

"Der Mitleidsfaktor funktioniert", bestätigt auch Magnus Herrmann, Artenschützer beim Nabu. So würden viele Grillen-Arten zunächst als hässlich empfunden. "Zeigen wir sie in einer Broschüre aber in technisch brillanten Fotos, sind sie faszinierend."

Doch fast immer siegen die Arten, die schon in den Bilderbüchern der Kinder vorkommen. Die Umweltorganisationen richteten sich schließlich an normale Bürger und nicht an Leute mit speziellen Interessen, verteidigt Ehlers das. Deshalb werden nur charismatische Arten zum Ziel von Kampagnen, "da ist der Leopard dem Nacktmull natürlich überlegen".

Dem Mull bleibt derweil nur zu hoffen, dass in seiner Nähe ein anderes, schönes Tier lebt. Dann hat auch er vielleicht eine Chance. Bei dem eher bizarren Goldrücken-Rüsselhündchen, das aussieht wie eine Mischung aus Minischwein und Ratte, hat das geklappt. Das Schutzprojekt, das der Nabu für das wenig hübsche Tier in einem kenianischen Küstenwald startete, konnte mit einem anderen, weitaus beliebteren Profiteur werben: dem Afrikanischen Elefanten.

Bei grundsätzlich unsympathischen Arten aber hängen die Umweltschützer die Zusammenhänge nicht gern an die große Glocke. Für diese Tiere höre das Verständnis der Menschen auf, sagt Herrmann. "Da kann man nur versuchen, über eine Flaggschiff-Art zu helfen."

So hat der Nabu vor einiger Zeit für den Schutz des Schwarzspechts geworben, "eines echt hübschen Vogels", und die Menschen spendeten. Dass sich in den Nisthöhlen des Spechts auch Hornissen und Motten ansiedeln, musste ja nicht das Werbeargument sein.

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