Architektur-Akustik:Harmonische Renaissance

Wie ein akustisches Mosaik ensteht: Stars wie Enrico Caruso und Maria Callas feierten in Venedigs Opernhaus "La Fenice" Erfolge, Komponisten wie Rossini, Donizetti und Verdi erlebten hier Uraufführungen ihrer Werke. 1996 abgebrannt, erhielt das Gebäude nun beim Wiederaufbau moderne Technik - und klingt besser als je zuvor.

Karlhorst Klotz und Jürgen Reinhold

Mit Feuer hatte Venedigs Oper oft genug zu tun: 1792 hat man sie fertig gestellt, rund 20 Jahre, nachdem ihr Vorläufer "San Benedetto" abgebrannt war. Seither wurde sie noch zwei Mal durch Brände zerstört und wieder aufgebaut - welcher Name hätte also besser zu dem "Gran Teatro" gepasst als "La Fenice", zu deutsch: Der Phönix?

Architektur-Akustik: Nur noch Ruinen: La Fenice nach dem Brand 1996.

Nur noch Ruinen: La Fenice nach dem Brand 1996.

(Foto: Foto: dpa)

Zuletzt waren es zwei Elektriker, die am Abend des 29. Januar 1996 an drei Stellen des Opernhauses gezielt Feuer legten, um einer Konventionalstrafe zu entgehen, weil sie mit Installationsarbeiten nicht rechtzeitig fertig wurden. Vergebens kämpfte die Feuerwehr um das Haus, in dem allein Verdi fünf Opern zur Uraufführung gebracht hatte, unter anderem Rigoletto und La Traviata. "Venedig hat seine Seele verloren", soll Luciano Pavarotti nach dem Verlust des prachtvollen Bauwerks geklagt haben.

Mit ungebrochenem Willen verfügten Venedigs Stadtväter daher sofort, das Haus sei wieder aufzubauen, "Com'era e dov'era" - wie es war und wo es war.

Doch das Wiederaufbau-Motto blind zu befolgen hieße den Opernliebhabern einen schlechten Dienst zu erweisen. "Die Hörgewohnheiten haben sich verändert", weiß Jürgen Reinhold von Müller-BBM aus Planegg bei München, der für die Akustik des Wiederaufbaus verantwortlich war.

"Heute erwartet das Publikum zum Beispiel einen längeren Nachklang im Raum", beschreibt der bescheiden auftretende Experte für Akustik eine der Anforderungen, die über die reine Wiederherstellung des Originals hinausgehen.

Dazu kamen Modernisierungswünsche: Eine unhörbar arbeitende Haus- und Bühnentechnik, Klimaanlage, Notstromaggregate, die während der Probeläufe die Musiker nicht irritieren dürfen, und mehr Platz für Orchester und Probenräume, obwohl das "Gran Teatro La Fenice di Venezia" von engen Gassen und einem Kanal umschlossen ist - alles Forderungen, die trotz der beengten Platzverhältnisse nicht auf Kosten der Akustik gehen durften.

Zwar stand nach dem Brand nur noch die Außenhülle, doch innen sollte die Oper im Wesentlichen nach den Plänen von 1836 rekonstruiert werden, als das erste Feuer einen Wiederaufbau erzwang. "Ich habe mich in einem ganz engen Korsett bewegen müssen", fasst der Münchner Akustiker seine schwierigen Arbeitsbedingungen zusammen.

Und das bedeutete für ihn viel Feinarbeit an Details, da alle Verbesserungen die ursprüngliche Optik nicht verändern durften. "Insgesamt gleicht das einem groûen Mosaikspiel, bei dem es darauf ankommt, möglichst viele Steinchen richtig zu legen", erinnert sich der besonnen wirkende Ingenieur an die heiße Restaurierungsphase in den Jahren 2001 bis 2003, während der er praktisch alle zwei Wochen für einige Tage nach Venedig pendelte.

Damals ausgestattet mit einer Menge Akustik-Know-how, aber kaum mit italienischen Sprachkenntnissen, kommt er inzwischen in Italien wochenlang ohne ein deutsches oder englisches Wort zurecht.

Eine wichtige Grundlage im zähen Kampf um jedes Detail, das die Akustik beeinflusst, ist die Baufuge zwischen der zentralen "Sala Teatrale", also dem eigentlichen Innenraum der Oper, und den angrenzenden Gebäudeteilen mit profaneren Räumen.

Die Kunst der Fuge besteht darin, dass sie den durch Decken und Gemäuer übertragenen "Körperschall" stoppt, gleichsam die Bauwerke akustisch voneinander trennt. Problematischer als der Schutz vor den Geräuschen vorbeifahrender Lastkähne erwiesen sich Lärmquellen im Inneren.

Beispielsweise musste die Haustechnik zur Be- und Entlüftung über dem groûen Theatersaal auf einer eigens dafür eingezogenen Betondecke Platz finden. Damit auch die Luft der neuen Klimaanlage unhörbar strömt, sind riesige Leitungsquerschnitte nötig. So fließt die Abluft über sechs Meter lange Schalldämpfer durch ein mehr als zwei Meter großes Loch in der Decke aus dem Saal, das hinter einem geschmiedeten Gitter oberhalb des Kronleuchters kaum auffällt.

Im Parkettboden dienen als Einlass 20 Zentimeter große Löcher, die jeden Zuhörer dezent unter seinem Stuhl mit temperierter Frischluft versorgen. Gewachsen sind in den letzten Jahrhunderten auch die Ansprüche der Musiker.

Harmonische Renaissance

Schon weil die Komponisten heute oft größere Orchester verlangen, musste der Architekt Aldo Rossi den Orchestergraben vergrößern. Die Frage war nur: wohin? Platz für die Expansion blieb nur unter der Bühne. Damit die hinteren Musiker dennoch einen korrekten Höreindruck des Raumes bekommen, hat Rossi die Bühnenvorderkante etwas zurückgeschnitten. Optimalen Hörgenuss bei wechselnder Orchestergröße bringen jedoch erst verschiebbare Elemente an der rückwärtigen Wand, die sogar zwei unterschiedliche Seiten aufweisen.

Architektur-Akustik: Pläne für den Wiederaufbau gab es viele. Platz weniger.

Pläne für den Wiederaufbau gab es viele. Platz weniger.

(Foto: Foto: innovate)

Drängt sich etwa die Pauke zu stark in den Vordergrund, kann der Dirigent die Wandelemente hinter dem Musiker wenden lassen. Statt der glatten Oberfläche, die den Klang diffus in Richtung Publikum reflektiert, zeigt dann die Seite mit Löchern nach vorn. In den Hohlräumen läuft sich der Schall teilweise tot und nimmt den Paukenschlägen etwas von ihrer Wucht.

Wenn Musiker und Sänger davon berichten, dass sie im neuen Saal besseren Kontakt untereinander haben, dann sprechen sie nicht von persönlichen Freundschaften, sondern davon, dass die Sänger auf der Bühne das Orchester besser hören, und umgekehrt im Orchestergraben die Sänger besser zu ernehmen sind.

Zwei Akustiktricks verstärken die für das exakte Musizieren so wichtige Klangverbindung: Unsichtbar für das Publikum hat Jürgen Reinhold die Brüstung im Rücken des Dirigenten um vier Grad geneigt ausführen lassen, so dass sie wie ein Spiegel wirkt, der die Schallwellen zwischen Orchestergraben und Bühne transportiert.

Als Ergänzung hängt unter der Beleuchterbrücke über der Bühne noch ein anderthalb Meter breiter Reflektor, der denselben Zweck erfüllt. Bei konzertanten Aufführungen sitzt das Orchester auf der Bühne. Eine so genannte Orchestermuschel leitet gezielt den Schall zu den Musikern und Zuhörern.

Nicht erst während der Generalprobe fiebern die Musiker dem Moment entgegen, in dem der Saal sich füllt. "Ich erlebe ständig, dass sie fragen: Wie wird es klingen, wenn Publikum da ist?" beschreibt Reinhold eine Hauptsorge der Klangprofis.

Extrem sind solche Klangunterschiede beispielsweise in Kirchen, wo ein Chor während der Probe mit leerem Gestühl deutlich mehr Klangvolumen und Nachhall erzeugt als später in der Aufführung vor Publikum. Der ausverkaufte Saal des La Fenice klingt aber seit dem Wiederaufbau fast so wie ohne Publikum. Verantwortlich dafür ist Feinarbeit an den Sitzen, genauer gesagt an deren Vorderseite, wo sorgsam ausgewählte Materialien an Lehnenseiten und Sitzflächen just so viel Schall absorbieren wie ein auf ihnen sitzender Zuhörer.

Ganz anders dagegen Reinholds Strategie für die Rückseite der Stühle, wo jetzt unter dem Stoffbezug eine starre Kartonschale das weiche Innere abschirmt. Die harte Linie dokumentiert wiederum Reinholds beharrliches Ringen um jeden Quadratzentimeter, der den guten Ton in der "Sala Teatrale" eeinträchtigen könnte.

Denn wider besseres Wissen darf er an der wichtigsten Stellschraube nicht drehen, die mehr Nachhall und damit eine eindrucksvollere Klangfülle im Raum garantiert: "Je größer das Raumvolumen pro Person, desto länger die Nachklingzeit", weiß der Diplom-Ingenieur. "Aber das Opernhaus zu vergröûern kam nicht in Frage."

So blieb dem Münchner Bauphysiker ein riesiges Puzzle aus Einzelteilen, von denen jedes einzelne zu optimieren war, um insgesamt den gewünschten Eindruck hervorzurufen. Die Vorhänge in den Logen mussten weichen, die Polsterung der Armauflagen an den Brüstungen der Ränge straffer werden, und die zweilagigen Vorhangschabracken bekamen eine Hightech-Seele: Zwischen den U-förmig verlaufenden Stoffbahnen verdrängt nun eine luftdichte Membran den Spalt.

Optisch macht das keinen Unterschied, akustisch aber sehr wohl: Während früher eine Schallwelle beide Stofflagen nacheinander durchquerte und dabei fast zu Grunde ging, schluckt die membranverstärkte Schabracke messbar weniger vom kostbaren Klang. "Man muss vielen kleinen Dingen hinterherlaufen", ist die Erfahrung des 44-Jährigen.

Jeder Feinschliff ist für sich gesehen nicht so wichtig, aber unter dem Strich summieren sich die Maûnahmen auf. In der bis auf den letzten Platz besetzten "Sala Teatrale" haben Messungen im letzten Jahr eine Nachhalldauer von rund 1,3 Sekunden ergeben, etwa 15 Prozent mehr Klang als vor dem Brand. Gewichtiger als nüchterne Messwerte ist natürlich das Urteil der Fachwelt.

Ihre Feuerprobe hat die Akustik jedenfalls bestanden. Beim ersten Konzert im Jahr 2003 befand der künstlerische Direktor Sergio Segalini, die Klangqualität sei "entschieden besser als zuvor". Und Lorin Maazel, der zur Wiedereröffnung des Gran Teatro La Fenice di Venezia als Opernbühne ein Jahr später Verdis La Traviata dirigierte, bezeichnete die akustischen Verhältnisse als "wirklich fabelhaft".

Auch Musiker sowie Choristen sind nach Beobachtungen von Jürgen Reinhold glücklich mit ihrem neuen Klangraum, der ihnen nun hoffentlich lange erhalten bleibt. Eine Sprinkler-Anlage mit 250 Kubikmeter Löschwasser in einem Becken unter dem Probenraum soll jedenfalls verhindern, dass der Phönix als Schutzpatron noch einmal in Aktion treten muss.

Jürgen Reinhold ist mittlerweile längst wieder in anderen Teilen der Welt unterwegs: Gemeinsam mit seinem Kollegen Jörg Kümmel wird er in Kürze die akustische Planung bei der Renovierung des Moskauer Bolschoi-Theaters in Angriff nehmen.

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