Archäologie:Wie klang die Musik der Steinzeit?

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Der Feinwerktechnik-Ingenieur Friedrich Seeberger hat in Zusammenarbeit mit dem Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren 35.000 Jahre alte Knochen- und Elfenbeinflöten rekonstruiert. Offenbar waren unsere Vorfahren schon sehr musikalisch.

Philip Wolff

Wie das Leben in der Steinzeit funktionierte, beschäftigt den 67 Jahre alten Ulmer Ingenieur Friedrich Seeberger schon seit Jahrzehnten. Mit Experimenten zum Feuerschlagen hatte er begonnen. Heute berät er Archäologen von der Universität Tübingen, die in der Geißenklösterle-Höhle bei Blaubeuren die ältesten Flöten der Welt entdeckt haben. Wie die Musik damals klang, führt Seeberger auf der CD "Klangwelten der Altsteinzeit" vor.

Diese Flöte besteht aus Schwanenknochen und ist 35.000 Jahre alt. Nach Auskunft des Württembergischen Landesmuseums ist sie das älteste Musikinstrument der Welt. (Foto: Foto: dpa)

SZ Wissen: Wie genau lässt sich die Ur-Musik rekonstruieren?

Seeberger: Wir können zumindest die Töne und Intervalle, die auf den Flöten möglich waren, heute wieder hören. Der Tonvorrat war gering. Auf der Schwanenknochenflöte lassen sich vier Grund- und drei Obertöne erzeugen, auf der Mammutelfenbeinflöte sind es vier und vier. Man kann sich nun passende Melodien aus diesem Vorrat ausdenken.

SZ Wissen: Besonders im Nachhall einer Höhle klingen die Tonfolgen meditativ - oder wie beschreiben Sie die Melodien?

Seeberger: Nun, zu jener Zeit war Musik ja auch wahrscheinlich mit Spiritualität verbunden. Vielleicht brachte ein Schamane sich mit den Klängen in Trance. So kennen wir es heute noch von Jägervölkern wie den Inuit. Die Melodien, die sich ideal auf der Flöte erzeugen lassen, entsprechen diesem Zweck. Sie sind nicht allzu abwechslungsreich und bestanden vermutlich aus oft wiederholten, lang anhaltenden Tönen und Tonfolgen.

SZ Wissen: Die Musik war also aus heutiger Sicht sehr schlicht. Sie hatte sich aber schon von ihren vermuteten, rein rhythmischen Anfängen emanzipiert. Oder wurde auch zu Gruppenereignissen, wie etwa zum Tanz geflötet?

Seeberger: So viel kann man sagen: Die Flöte war wahrscheinlich ein Soloinstrument. Es kann kein Chorus aus mehreren Flöten gespielt worden sein, denn sie waren nicht exakt aufeinander abgestimmt. Wir gehen eher von meditativen Situationen aus. Der Sinn für die in der Natur erlebte Schönheit und Harmonie muss vor 35.000 Jahren jedenfalls längst im Menschen veranlagt gewesen sein.

Die Flöten ermöglichten pentatonische Tonfolgen aus fünf Tönen, die auch im Mittelalter beliebt waren, lange bevor die heutigen Tonleitern aus sieben und mehr Tönen entstanden. Die pentatonische Abstufung eignet sich auch für heutige Ohren gut für einfaches Solospiel.

SZ Wissen: Das heißt, die Tonfolgen waren kein Zufallsprodukt, sondern entsprachen einem bestimmten Harmoniebedürfnis?

Seeberger: So ist es. Natürlich waren der erste Ton und das erste in den hohlen Knochen geschnittene Griffloch Zufallstreffer. Aber die Platzierung weiterer Löcher geschah gezielt, nachdem der Frühmensch herausgefunden hatte, welchen Effekt der Grifflochabstand hatte und welche Intervalle er ermöglichte.

SZ Wissen: Und dass man vielleicht Naturlaute nachahmen oder Signale pfeifen wollte, können Sie ausschließen?

Seeberger: Vogelstimmen lassen sich nur sehr unvollkommen mit solchen Flöten nachahmen. Und für die Übertragung von Signalen gab es schlichte Pfeifen, mit denen man ein oder zwei Töne erzeugen konnte. Dafür braucht man nicht mehrere Löcher.

SZ Wissen: Wie sehen sie den Zusammenhang zu den vermutlich rhythmischen Ursprüngen der Musik und zum Tanz, der in den Sprachen vieler Naturvölker noch gleichbedeutend ist mit Musik?

Seeberger: Wahrscheinlich haben sich die Bewegungen des Schamanen irgendwann profanisiert zum Gruppentanz.

SZ Wissen: Musikbiologen denken meist umgekehrt: erst Rhythmus und später kompliziertere vokale Ordnungssysteme. Gab es denn neben den Soloflöten Rhythmusinstrumente?

Seeberger: Ja. Schauen wir auf Jäger- und Sammlerkulturen, da haben wir immer beides: den Gruppentanz und die Musik des Einzelnen, der für sich spielt - zum Beispiel auch den Musikbogen mit Haar- oder Darmsaite. Vor etwa 16.000 Jahren entstand die Abbildung solcher Bögen in der südfranzösischen Höhle "Trois Frères". Sie waren zu leise für den Gruppentanz.

Wir haben aber auch einen Trommelschlägel in der Brillenhöhle bei Blaubeuren aus der Zeit der Flöten gefunden: ein Stück Rentiergeweih, das gegabelt ist, wodurch sich bei jedem Schlag ein Doppellaut ergab. Wir kennen solche Schlägel vom norwegischen Volk der Samen.

SZ Wissen: Wie findet man heraus, dass die Instrumente einst im vermuteten Gebrauch waren?

Seeberger: Der Geweih-Schlägel zeigt typische Gebrauchsspuren am Griff und an den Enden. Ich habe auch einen Mundbogen nach einem Fund in der Geißenklösterle-Höhle nachgebaut. Wenn ich ihn gespielt habe, werden die Verschleißspuren an der Nachbildung mit Spuren am Originalfund unterm Rasterelektronenmikroskop verglichen. So lassen sich weitgehend sichere Aussagen treffen.

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