Archäologie:Schätze in Bayerns Seen

Nicht die Briten, die Bayern haben offenbar den Spitzhut erfunden. Die Erkenntnis verdanken Archäologen Fundstücken, die sie in Seen des Alpenvorlandes entdeckten.

Hans Kratzer

Die Hütten grenzten ans Wasser, aber als eines Tages in dem Steinzeitdorf ein Feuer wütete, da wäre sogar die Feuerwehr heute machtlos gewesen. Der Wind trug die tänzelnden Funken auf die Schilfdächer, in Minutenschnelle stand die Siedlung in Flammen. Die Menschen irrten verzweifelt umher, packten ihre Kinder, ergriffen keuchend die Flucht. Derlei Feuersbrünste waren vor 5500Jahren eine ständige Gefahr, eine dieser Katastrophen können wir sogar aufs Jahr genau datieren.

Spitzhut, Pestenacker

Zu den faszinierendsten Funden von Pestenacker zählt der 5500 Jahre alte Spitzhut (Rekonstruktion).

(Foto: Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)

Im Jahr 3961 vor Christus brannte ein Dorf im Westen von München nieder - es war in der im Landkreis Landsberg gelegenen Gemarkung Pestenacker auf Pfählen erbaut. Obwohl der Lauf der Geschichte vieles vergessen macht, holt die moderne Wissenschaft mit einer an Zauberei grenzenden Methodik manches wieder ans Tageslicht, was als unwiederbringlich verloren galt.

Im Fall Pestenacker überlistete ausgerechnet das Feuer die Macht der Vergänglichkeit. Eine Schicht aus Asche konservierte im feuchten Boden die Reste des Steinzeitdorfs und ermöglicht damit faszinierende Einblicke in die damaligen Lebensverhältnisse. Die Funde von Pestenacker stehen in ihrer Brisanz der im Gebirgseis gefundenen Leiche des "Ötzi" kaum nach. Die Bedeutung der Siedlung wird so hoch taxiert, dass sie möglicherweise schon2011 in die Welterbeliste der Unesco eingetragen wird.

Eine erste Spur wurde 1934 sichtbar, als Schaufelarbeiter bei der Begradigung eines Bachs auf merkwürdige Hölzer stießen. Sie glaubten damals, sie hätten ein altes Floß entdeckt und ahnten nicht, dass sie das Fundament eines Hauses aus der Jungsteinzeit ausgegraben hatten.

Es sollten aber noch Jahrzehnte vergehen, bis der Fund von Pestenacker die Fachwelt aufhorchen ließ. 1988 leitete das Landesamt für Denkmalpflege eine systematische Grabung ein. Schon bald stand fest, dass man auf eine archäologische Schatzgrube gestoßen war, deren Zerstörung "ein Verlust für die Menschheit" wäre. Das sagt Sebastian Sommer, der zuständige Landeskonservator, der gerade mit einer Arbeitsgruppe aus mehreren Alpenländern am Antrag für die Aufnahme ins Weltkulturerbe feilt. Die unter der Erde ruhende Steinzeitsiedlung Pestenacker stünde im Erfolgsfall als Welterbe gleichauf mit der Chinesischen Mauer, dem Kölner Dom und der Altstadt von Regensburg.

Federführend bei der Antragsstellung ist allerdings die Schweiz, denn das Ziel lautet, nicht nur Pestenacker, sondern sämtliche steinzeitlichen Pfahlbauten im alpenländischen Raum als Weltkulturerbe zu sichern. Aus Deutschland kommen neben Pestenacker auch die prähistorischen Siedlungsplätze in Geltendorf (ebenfalls Kreis Landsberg) und auf der Roseninsel im Starnberger See in Frage, sagt Sommer. Im Januar 2010 soll der Antrag eingereicht werden, im Sommer 2011 wird die Entscheidung fallen.

Hoffnung auf den Welterbestatus

Für die Archäologen wäre der Welterbestatus der Pfahldörfer ein Segen, weil sie dann finanziell besser ausgestattet würden. Die Forschung in Pestenacker musste aus Geldnot mehrmals eingestellt werden, zuletzt 2004. Dabei hatte die Grabung ein Jahr vorher einen der ältesten Hüte der Welt zu Tage gefördert. Das 5500 Jahre alte Stück war so gut erhalten, dass es detailgenau rekonstruiert werden konnte. Der Spiegel schrieb damals: "Die Erfinder des steifen Huts sind wohl doch nicht die Engländer, sondern die Bayern der Jungsteinzeit."

Archäologie: Um die prähistorischen Siedlungen in den Seen des Alpenvorlandes zu erforschen, müssen Archäologen in Taucheranzüge schlüpfen.

Um die prähistorischen Siedlungen in den Seen des Alpenvorlandes zu erforschen, müssen Archäologen in Taucheranzüge schlüpfen.

(Foto: Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)

Tatsächlich ist der Spitzhut fertigungstechnisch so anspruchsvoll wie ein moderner Hut. Er ist raffiniert konstruiert aus Zwirnverbindungen, Schnüren und Baststreifen. Der Hut ist sogar wasserdicht. In der Brandschicht aus dem Jahr 3491 vor Christus und im feuchten Boden haben sich selbst organische Relikte unter Luftabschluss in vorzüglicher Qualität erhalten.

Konstruktionshölzer, Werkzeuge, Speisereste, Zahnabdrücke, ja sogar die Exkremente der damaligen Menschen geben Aufschluss über ihre Ernährung und ihre Lebensweise. Die Forscher fanden heraus, dass Birkenpech als Kaugummi benützt wurde, vermutlich besaß es eine berauschende Wirkung.

Die Funde verraten außerdem, wie die Steinzeitmenschen ihre Felder bearbeiteten und wie sie den Wald nutzten. Es wird deutlich, dass die ersten Bauern ihre Siedlungen am Wasser errichteten und sie durch Pfähle vor Überschwemmungen schützten. Garne und Schnüre zeigen, dass sie sich mit den Materialien der Natur bestens auskannten und diese virtuos bearbeiteten. "Das chronologische Gerüst der Vorgeschichte hat sich massiv verändert", sagt Sommer. Die ersten Ackerbauern müssen um Jahrhunderte zurückdatiert werden.

Die ersten prähistorischen Pfahlbauten wurden schon vor 150 Jahren am Zürichsee gefunden. Danach kamen rund um die Alpen viele weitere solcher Siedlungen zum Vorschein. Heute besteht kein Zweifel mehr, dass diese jungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Überreste aus der Zeit zwischen 5000 und 800 vor Christus Kulturgüter ersten Ranges sind.

Etwa 1000 Pfahldörfer sind mittlerweile im Alpenraum bekannt. Die Chancen, dass sie zum Weltkulturerbe aufgestuft werden, stehen nach Meinung des Landeskonservators Sommer nicht schlecht. "Zum einen gefällt der Unesco die hier praktizierte internationale Kooperation, zum anderen ist die Archäologie auf der Welterbeliste bisher deutlich unterrepräsentiert."

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