Archäologie:"In dieser Region lag einst die Wiege der Zivilisation"

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Die Wüste setzt den Bauwerken in Meroe stark zu. Der Wind bläst kontinuierlich Sand über die Kanten der Pyramiden und schleift sie ab.

(Foto: Ashraf Shazly/AFP)

Archäologen restaurieren die Stätten von Meroe - einst das Herz eines riesigen antiken Reiches im Sudan. Wer heute den Ort besucht, braucht Fantasie, um sich die Pracht und die technische Raffinesse vorzustellen.

Von Hubert Filser

Zwischen bläulich-grün schimmernden Keramiktafeln, knallbunten Wandmalereien, Tierfiguren und einem Musiker mit Panflöte strömt das vorgewärmte Wasser über fünf Wasserspeier direkt in das große Becken. In dessen Mitte ragt eine Säule empor, aus der Wasser senkrecht in die Höhe schießt und dann in einem Bogen auf die Wasseroberfläche des 2,40 Meter tiefen, von Säulen umgebenen und von einer Philosophenstatue bewachten, quadratischen Beckens plätschert.

In dieser antiken Wellnessoase war einiges raffiniert und zugleich prächtig angelegt. Das ist einerseits erstaunlich für ein Bad am Rand der Wüste, andererseits auch wieder nicht, schließlich war es einst das Bad der Könige von Meroe, gelegen am Ostufer des Nil im Sudan, etwa 200 Kilometer nördlich vom Zusammenfluss des Weißen und Blauen Nil. Wer heute den Ort besucht, braucht Fantasie, um sich die Pracht und die technische Raffinesse der Druckwasserleitung in der Säule vorzustellen, denn die Überreste liegen hinter brüchigen Steinmauern im Wüstensand.

Es handelt sich um einen sehr besonderen Ort, den Archäologen vom Deutschen Archäologischen Institut (DAI) nun restaurieren. "Es ist das Tor Afrikas in Richtung Ägypten und den antiken Kulturen am Mittelmeer", sagt der Archäologe Dietrich Wildung. "In dieser Region lag einst die Wiege der Zivilisation, im Sudan entstanden 5000 Jahre vor Ägypten die ersten Hochkulturen."

Die königlichen Bäder sind Teil der "Insel von Meroe", die erst im Jahr 2012 zur Unesco-Weltkulturerbestätte ernannt wurde, bestehend aus dem Bad, der Stadt, den Pyramiden von Meroe, bis zu 30 Meter hohe, steile Grabanlagen für die afrikanischen Könige, und zwei weiteren Stätten weiter im Süden. Die deutschen Archäologen sollen nun einige der antiken Bauten retten, die vom Verfall bedroht sind.

Für die Bauten suchten sich die Herrscher Inspiration im gesamten Mittelmeerraum

Vertreter des Qatar-Sudan Archaeological Projects (QSAP) haben zu einem Gespräch in eine Villa in Berlin Zehlendorf geladen. Mit Stolz erzählen die Botschafter von Katar und Sudan vom Einsatz für den Erhalt der Kulturstätten entlang des Nil. 135 Millionen Dollar stehen in den kommenden fünf Jahren für 42 Projekte bereit, für Archäologen und Konservatoren sind das unglaubliche Summen. Elf Projekte werden allein von deutschen Forschern betreut, darunter auch die Qatari Mission for the Pyramids of Sudan (QMPS). Die DAI-Forscher sollen neben dem königlichen Bad auch die Pyramidengräber erhalten, erforschen und besser für die Öffentlichkeit zugänglich machen. Katar verspricht sich von seinem Engagement gute Kontakte in der Region.

Die antike Stadt Meroe war mehr als 1000 Jahre die Hauptstadt eines großen Reichs im Mittleren Niltal, das sich von der Südgrenze des mächtigen Ägypten bei Assuan bis ins Herz Afrikas erstreckte. Die Könige von Meroe waren die Nachfolger der legendären "Schwarzen Pharaonen", die im 7. Jahrhundert vor Christus in Ägypten geherrscht hatten. Am Königshaus herrschte offenbar ein ziemlich weltoffenes Klima, denn viele der Bauten vereinen verschiedene Kulturen der damaligen Zeit. Die Bilder im Bad zeigen ägyptische und einheimische Götter, der Flötenspieler belegt den griechischen Einfluss, er ist dem Kult um den griechischen Weingottes Dionysos zugeordnet. "Auch die sprudelnde Säule ist ein Beleg für den Kulturtransfer", sagt DAI-Forscherin Simone Wolf. "Solche Säulen standen zur gleichen Zeit auch in Pompeij."

Auch technisch waren die Bäder ausgereift, wie auch die unterirdischen, mit Kalkmörtel ausgekleideten Ablaufkanäle zeigen, die unter der Stadtmauer hindurch Richtung Nil geleitet wurden. Der Garten ist mit fruchtbarem Nilschlamm aufgeschüttet und üppig bepflanzt worden. "Es war auch symbolisch ein Ort der Fruchtbarkeit und des Wohlfühlens", sagt Wolf. Ein im Rahmen der QSAP geplanter Schutzbau soll die bröckeligen Mauern ersetzen und den Charme des Ortes besser zeigen.

Dass sich heute so viele deutsche Archäologen um den Erhalt der Stätten im Sudan kümmern, hat auch historische Gründe. Seit den 1960er Jahren war Friedrich Hinkel von der Berliner Humboldt-Universität einer der wichtigsten Ausgräber des Landes, damals kam der Kontakt zwischen den sozialistischen Bruderstaaten Sudan und DDR zustande. Im Rahmen eines Teilungsvertrags kamen danach viele Fundstücke nach Deutschland. So entstand in Berlin das weltweit umfangreichste Archiv zur Archäologie des antiken Sudan mit Zehntausenden Fotografien, Dokumenten und wissenschaftlichen Skizzen, die nun digitalisiert und öffentlich zur Verfügung gestellt werden sollen.

Der Wüstensand reibt den Kalkstein ab

Als Hinkel 2007 starb, stoppten alle Ausgrabungen. Erst mit dem QMPS begannen die DAI-Forscher wieder mit ihren Arbeiten in Meroe, mit dem zusätzlichen Schwerpunkt, die teils einsturzgefährdeten Grabpyramiden der Könige zu erhalten. "Wir haben viele strukturelle Probleme bei den Pyramiden", sagt Pawel Wolf vom DAI. Die Hügel unter den Pyramiden sind aufgeschüttet und dann mit Stein verkleidet worden. Sobald die Spitze frei liegt, kann der Regen eindringen und die Bauten von innen quasi sprengen.

Zudem reibt der Wüstensand den Kalkstein ab. "Das ist wie ein Schleifpapier", sagt Wolf. "Stellenweise hat der Sand schon bis zu fünf Zentimeter weggenommen." Viele Reliefs sind bereits verloren. Schutzmauern sollen helfen, um den Wind umzulenken. Langfristig können Vegetationsgürtel rund um die Pyramiden den Sand draußen halten, sagt Wolf.

1000 Gräber und mehr als 100 Pyramiden gibt es in der Region um Meroe, die prächtigsten liegen auf den drei Friedhöfen östlich der Hauptstadt Meroe in einer hügeligen Region. Fast alle Herrscher und des Königreichs zwischen dem 3. Jahrhundert vor Christus und dem 4. Jahrhundert nach Christus sind hier begraben worden. Erstmals nach fast 100 Jahren konnten die Archäologen wieder eine Grabkammer unter einer Pyramide öffnen. Zum unterirdisch angelegten Grab der "Großen Königlichen Gemahlin" Khennuwa steigt man über eine zwölf Meter lange Treppe sechs Meter in die Tiefe.

"Es ist ein unglaublicher Ort", sagt Wolf, als er in Berlin die hochaufgelösten Fotos der mit Hieroglyphen und Bildern bemalten Wände zeigt. Die Vorkammer ist weiß grundiert, so dass die Farben etwa der abgebildeten Isis- oder Osiris-Figuren kräftig leuchten, die Decke der Begräbniskammer hingegen schimmert schwarz, als ob dort der Nachthimmel des Jenseits wäre. Die astronomischen Texte und kalligrafischen Bilder darauf leuchten noch zwei Jahrtausende später im Scheinwerferlicht.

Die Forscher haben inzwischen das gesamte Gelände rund um die Stadt mit Radar und Magnetometer auf Untergrundstrukturen hin untersucht. Dabei entdeckten sie neue Hügelgräber und möglicherweise eine Erzabbaustätte. Auch die nahegelegene Siedlung Hamadab, "in der die Leute lebten, die die Pyramiden bauten", wie Wolf sagt, ist partiell ausgegraben, sie lag fünf Meter tief in der Erde. Fünfstöckige Lehmbauten, Häuser von Handwerkern, die Baumwolle zu Kleidern verarbeiteten oder Rohglas herstellten sowie eine Art Eisenhütte, fanden die Forscher dort.

Ein Besucher ritzte seine Handynummer in die Steine. Einer der Archäologen rief ihn an

Diese Detailanalyse der Alltagswelt ist den Archäologen ein großes Anliegen, mehr als die Suche nach Goldschätzen. Dass die Mehrheit in der Öffentlichkeit das genau anders herum sieht und man sie erst für die alten Steine begeistern muss, ist auch in Meroe ein Dilemma. Beim 3-D-Scannen der Pyramiden erfassten die Forscher Details wie die zahlreichen antiken und leider auch modernen Graffiti auf dem Kalkstein der Bauten. "Einer hat seine Mobilfunknummer eingeritzt", erzählt Pawel Wolf. "Als ich ihn angerufen habe, war er ganz erstaunt. Das seien doch nur Steine, sagte er."

Wenn man, wie beim neu geöffneten Grab der Khennuwa geplant, eine Anlage öffentlich zugänglich machen will, bleibt immer die Gefahr der Zerstörung. Hier entspannt sich an diesem Abend in Berlin eine wichtige Diskussion. Auf sudanesischer Seite ist der Wunsch spürbar, die Stätten für Besucher attraktiv zu machen. Die anwesenden deutschen Archäologen reagieren zurückhaltend, mahnen, doch nicht die Fehler aus Ägypten zu wiederholen, wo die Stätten unter dem Massentourismus leiden, beschwören den Charme des Authentischen.

"Lassen Sie alles, wie es ist", ist der Tenor. Sie verweisen auf die geplanten, kleinen Museen vor Ort oder digitale Animationen, welche die alten Welten in der Fantasie auferstehen lassen. Es ist spürbar, dass sich Ali Jassim Al Kubaisi, der Chefarchäologe der Katar-Museen, andere Tipps erhofft hatte. Man will die Menschen im Sudan für ihr Kulturgut begeistern und Touristen locken. Es ist ein Dilemma, bei dem man beide Seiten verstehen kann. Wer wäre nicht gern live dabei gewesen, wie einst der König in sein prächtiges Bad stieg, während aus der Wand das frische Wasser schoss.

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