"Anthropozän":Die Epoche Mensch

Das Wirken des Menschen habe die Erde in eine neue geologische Epoche befördert, sagen Wissenschaftler der Universität Leicester in Großbritannien. Hat mit der Industrialisierung ein neues Erdzeitalter begonnen?

Axel Bojanowski

Bislang sind alle Versuche des Menschen, sich in den Mittelpunkt der Welt zu stellen, kläglich gescheitert. Kopernikus zeigte, dass sich die Sonne keineswegs um die Erde dreht. Darwin erklärte, dass der Mensch auch nur ein Tier ist. Und Freud nahm ihm schließlich die Gewissheit, Herr seiner selbst zu sein.

"Anthropozän": Schon seit Tausenden von Jahren beeinflusst die Menschheit ihre Umwelt, zum Beispiel durch Brandrodung.

Schon seit Tausenden von Jahren beeinflusst die Menschheit ihre Umwelt, zum Beispiel durch Brandrodung.

(Foto: Foto: dpa)

Nun wagen Geologen einen neuen Versuch, den Status der Gattung Mensch mit Bedeutung aufzuladen - auch wenn ihre Beweislage dürftig ist.

Das Wirken des Menschen habe die Erde in eine neue geologische Epoche befördert, schreibt eine Gruppe um Jan Zalasiewicz von der Universität Leicester in Großbritannien im Fachblatt GSA Today (Februar-Ausgabe). Das Holozän sei nun Geschichte. Mit der Industrialisierung Ende des 18. Jahrhunderts habe das "Anthropozän" begonnen, das Zeitalter des Menschen.

Der Chemiker Paul Crutzen hatte das Anthropozän bereits vor acht Jahren als neue Epoche vorgeschlagen. Crutzen präsentierte aber keine geologischen Beweise.

"Wir haben genügend Indizien für eine Änderung der geologischen Zeitskala", erklären jetzt Zalasiewicz und seine Kollegen. Ein gewagter Vorstoß. Geologische Epochen dauern üblicherweise viele Millionen Jahre.

Das Holozän wäre - sollte es nun offiziell für beendet erklärt werden - mit nicht einmal 12.000 Jahren die mit Abstand kürzeste Epoche der Erdgeschichte. Schuld seien die vom Menschen verursachten Umweltveränderungen, behaupten Zalasiewicz und Kollegen.

Max Frisch würde wohl staunen angesichts dieser Neuigkeiten. In seiner Erzählung "Der Mensch erscheint im Holozän" aus dem Jahr 1979 beschreibt der Schriftsteller, wie gleichgültig die Natur dem Menschen gegenüber steht.

Staunen würde Frisch vermutlich aber auch darüber, dass es der Mensch tatsächlich schafft, das Klima zu verändern. Doch genügt die Erwärmung der Luft und der Ozeane, um eine neue geologische Epoche einzuläuten?

Nein, räumen Jan Zalasiewicz und seine Kollegen ein. Schließlich habe es in den vergangenen Milliarden Jahren deutliche Klimaveränderungen innerhalb erdgeschichtlicher Epochen gegeben.

"Den Boden weltweit verändert"

Geologische Epochengrenzen markieren darüber hinaus weltweit einschneidende Zäsuren der Erdgeschichte. In Ablagerungen an Epochengrenzen finden sich abrupte Änderungen des weltweiten Fossilien- oder Sedimentbestandes. Zalasiewicz und seine Kollegen zählen in ihrer Studie neben der Klimaerwärmung weitere gravierende Umweltveränderungen auf.

Der Mensch habe einige Tiere und Pflanzen ausgerottet, konstatieren die Forscher. Sie betonen zudem die Veränderungen in den Ozeanen; der Meeresspiegel steige und das Wasser werde saurer.

Wohl am auffälligsten sei der Einfluss von Landwirtschaft und Bauprojekten, die die Abtragung des Bodens durch Wind und Regen deutlich beschleunigt hätten. "Der Mensch hat den Boden weltweit so stark verändert, dass man von einem neuen Zeitalter sprechen sollte", schrieb auch der Geologe Daniel Richter von der Duke Universität in den USA im Dezember im Fachblatt Soil Science.

Die Epoche Mensch

Andere Experten jedoch hegen Zweifel. "Die Indizien reichen kaum aus, um eine Epochengrenze zu definieren", sagt Thomas Litt, Geologe an der Universität Bonn und Mitglied der internationalen Kommission für die Zeitskala der Erdgeschichte.

"Eher punktuell als epochal"

"Geologisch zu wenig abgesichert" sei die Studie, findet auch Andreas Dehnert, Geologe an der Universität Bern. Beide Experten bestreiten nicht, dass der Mensch Spuren hinterlässt. "Doch das ist mit dem Begriff Holozän bereits beschrieben", sagt Litt. Das Holozän ist die einzige Phase des seit rund zwei Millionen Jahren andauernden Eiszeitalters, das den Status einer Epoche hat. "Damit wurde der Einfluss des modernen Menschen berücksichtigt."

Seit etwa 8000 Jahren verändert der Mensch die Umwelt in gravierender Weise. Seinerzeit habe das Abbrennen von Wäldern den Treibhauseffekt erstmals merklich angeheizt, meint William Ruddiman von der Universität Virginia in den USA. Seit rund 6000 Jahren haben Hochkulturen Landschaften vollkommen umgestaltet. Wälder wurden gerodet, Tiere gejagt, Landwirtschaft betrieben, Staudämme und Städte gebaut, Flüsse kanalisiert.

Inzwischen gebe es kaum einen Fleck auf Erden, der nicht vom Menschen beeinflusst wäre, rechtfertigen Zalasiewicz und seine Kollegen ihre These von der neuen geologischen Epoche. Allerdings lässt sich Gleiches über den Einfluss von Mikroorganismen sagen: Sie sind noch weiter verbreitet als Menschen und haben sich die Erde gewissermaßen untertan gemacht.

Das Wirken des Menschen sei aus geologischer Perspektive hingegen eher "punktuell als epochal", meint Litt. Ein "Geologe der Zukunft" werde den Einfluss des Menschen jedoch anhand einer Grenze deutlich in den Ablagerungen erkennen, meinen die Autoren der neuen Studie.

Sie stützen sich auf Szenarien, die eine Klimaerwärmung und ein Artensterben prophezeien. Eine geologische Epoche anhand von Vorhersagen zu definieren, sei "unangebracht", findet jedoch Andreas Dehnert.

Argument mit Schönheitsfehler

Die Epochengrenze des Anthropozän festzulegen, sei schwierig, räumen Zalasiewicz und seine Kollegen ein. Denn entweder sind die Umweltänderungen nicht abrupt genug, wie der Kohlendioxidanstieg in Eisbohrkernen. Oder sie haben sich deutlich nach dem Anfang der Industrialisierung ereignet - wie etwa der radioaktive Niederschlag der ersten Atombomben.

Der Beginn des Anthropozäns könne auch ohne geologische Signale in den Sedimenten willkürlich auf das Jahr 1800 festgelegt werden, so die Studien-Autoren. Thomas Litt hält das Ende des 18. Jahrhunderts aber nicht für eine geeignete geologische Epochengrenze. "Die Industrialisierung hat sich seinerzeit vor allem in der so genannten westlichen Welt abgespielt", gibt er zu bedenken. Eine geologische Epochengrenze müsse weltweite Gültigkeit haben.

Auf diesen Einwand waren Zalasiewicz und seine Kollegen zwar vorbereitet. Geeignet erscheint ihnen die Spur des Vulkanausbruchs Tabora, der 1815 seine Asche über den Globus verteilte.

Kleiner Schönheitsfehler: Die Eruption war ein Naturereignis. Der wissenschaftliche Nachweis einer neuen erdgeschichtlichen Epoche dürfte Zalasiewicz und seinen Kollegen mithin kaum gelungen sein. Aber auch wenn sie die Bedeutung der Gattung Mensch nicht mehren konnten, so doch ihre eigene Berühmtheit - wird doch ihr Artikel weltweit diskutiert.

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