Antarktis:Die Physik der Pinguine

Wenn Kaiserpinguine brüten, rücken sie der Kälte wegen dicht zusammen und nutzen den Raum optimal aus - fast so, als beherrschten sie physikalische Gesetzmäßigkeiten. Wie schaffen die Tiere das nur?

Christopher Schrader

Eigentlich verstehen Kaiserpinguine nichts von Physik. Trotzdem können sie fehlerfrei hexagonale Kugelpackungen erzeugen oder Dichtewellen ausführen, und eine Vorstellung von Aggregatzuständen haben sie auch. Und dabei wollen die Tiere - und zwar ausschließlich die Männchen - doch nur den antarktischen Winter überleben und dabei zugleich ihr Ei ausbrüten, das sie auf den Füßen balancieren und mit einer Falte des Bauchs wärmen.

"Im Juni und Juli ist es in der Antarktis oft minus 50 Grad kalt", sagt Daniel Zitterbart vom Alfred-Wegener-Institut und der Universität Erlangen. "Um sich vor Kälte und Wind zu schützen, drängen sich die Tiere zu einer dichten Traube zusammen, in der es bedeutend wärmer wird."

Dabei gibt es ein Dilemma: Ist die Traube zu locker, verlieren die Pinguin-Männchen Energie, ist sie zu eng, können sie sich nicht mehr bewegen. Um diesen Zielkonflikt zu lösen, brauchen die Tiere Physik, sagte Daniel Zitterbart am Dienstag in Berlin, wo die Deutsche Physikalische Gesellschaft ihre Frühjahrstagung abhält. Die Traube der Pinguinleiber ist schließlich wie ein Festkörper, der flüssig genug für die Bewegungen einzelner Tiere bleiben muss.

Zitterbart ist auf das Thema gekommen, als er 2008 auf der Neumayer-Station in der Antarktis überwinterte. Um die Bewegungen der Pinguine zu studieren, hatte er eine automatische Kamera aufgestellt, die vier Stunden lang alle 1,3 Sekunden ein Bild der Pinguinkolonie schoss. "Leider hat das nur einmal funktioniert", sagt Zitterbart. Doch schon die eine Serie zeigt das interessante Verhalten der Pinguine. Zunächst, gegen Mittag, schlurfen die meisten Tiere mit ihren Eiern allein über das Eis. Aber dann bilden sich die Trauben, immer mehr der Männchen schließen sich an, bis schließlich fast alle in zwei gewaltigen Kreisen stehen: "17 bis 20 Tiere sind es pro Quadratmeter", hat Zitterbart gemessen.

Die Neuankömmlinge stellen sich immer hinter zwei Artgenossen. Auf Lücke sozusagen, dicht gepackt. Hexagonal nennen Physiker das, weil sich Sechsecke über die Tiere zeichnen ließen; für eine Lage Kugeln ist das die optimale Ausnutzung des Raums. Die Tiere berühren sich, aber weil Federn und Bauch etwas nachgeben können, sind dennoch Bewegungen möglich.

Sie gehen wie eine La-Ola-Welle durch die dicht gedrängten Leiber, zeigt ein Zeitraffer-Film aus den Fotos. Am Ende hat jeder Pinguin einen Schritt nach vorn gemacht. Weil dabei die Dichte für einen Moment sinkt, aber dann wieder hergestellt wird, könnten Physiker von Dichtewellen sprechen. Zitterbart hat sogar deren Tempo gemessen: Mit 8,6 Zentimetern pro Sekunde breiteten sie sich aus, alle 35 bis 55 Sekunden kam eine neue.

Die Auslöser konnte der Physiker jedoch mangels Daten nicht erkennen. Um zumindest eine Vorstellung zu entwickeln, hat sein Kollegen Richard Gerum das Verhalten mit einem Computermodell simuliert. Er gab den virtuellen Pinguinen Regeln für die Bewegung: Weiche einem Tier aus, das dir entgegen kommt; folge einem, dessen Rücken du siehst; stelle dich an den Rand einer Traube, die sich bildet. Im Rechner entstanden so schnell die Ansammlungen.

Um die Bewegungen auszulösen, genügte eine weitere Regel: Mach einen Schritt nach vorn, wenn es hinter dir zu eng oder vor dir zu locker wird. Die Wellen, die durch die Leiber gingen, konnte nun jeder Pinguin auslösen. Sie liefen dann durch den ganzen Pack. Von hinten nach vorn, von links nach rechts oder aus der Mitte nach außen. Manchmal entstanden die Dichteschwankungen auch an zwei Stellen gleichzeitig, dann vereinigten sich die Wellenfronten wie verschmelzende Seifenblasen, und alle Tiere machten nur einen Schritt nach vorn.

Allerdings fehlen den Forschern noch Daten, um schlüssig zu erklären, wie und warum die Trauben manchmal rotieren und warum fast alle Tiere in einer Traube ihren schwarzen Rücken nach außen zu drehen scheinen. Das hängt wahrscheinlich mit dem Wind zusammen, vermuten die Erlanger Wissenschaftler. Zitterbart bereitet schon die nächsten Kameras vor. 2013 sollen sie in der Antarktis Tausende neuer Fotos machen. Mindestens so lange gilt, dass Kaiser-Pinguine bessere Physiker sind, als Menschen ahnen.

(Weiteres Videomaterial von Daniel P. Zitterbart zu den Pinguinen finden Sie hier

oder hier bei PLoS ONE.)

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