Amazonas:Der frühe Tod im Dschungel

A rainbow is seen over a tract of Amazon rainforest which has been cleared by loggers and farmers for agriculture, near the city of Uruara

Die größte Bedrohung für den Regenwald ist der Kahlschlag, der wie hier in Brasilien Felder und Weiden schafft.

(Foto: Nacho Doce/Reuters)

Die Bäume im Amazonas-Regenwald sterben immer jünger. Die Region bindet darum immer weniger Kohlendioxid, obwohl das Treibhausgas im Prinzip gut für Pflanzen ist.

Von Christopher Schrader

Amazonas-Bäume sind so etwas wie die Rockstars unter den Pflanzen. Von den Menschen bewundert als Bewohner eines wilden, ursprünglichen Tropenwaldes, gelten sie zugleich als wichtiges Bollwerk gegen den Klimawandel. Doch offenbar folgen viele dieser Bäume inzwischen ungewollt einer alten Rockstar-Devise: "Live fast and die young" - lebe schnell und stirb früh. Die Sterblichkeit der Amazonas-Bäume hat nämlich in den vergangenen Jahrzehnten um 40 Prozent zugenommen, berichtet jetzt ein großes internationales Forscherteam. "Die Fähigkeit des Waldes, Kohlendioxid zu absorbieren und so die Erwärmung zu bremsen, ist darum deutlich zurückgegangen", sagt Roel Brienen von der University of Leeds, der zu den Koordinatoren der Gruppe zählt. "Die aufgenommene Menge ist von den 1990er- zu den 2000er-Jahren um 30 Prozent gesunken." Sie liegt nun zum ersten Mal unter den CO2-Emissionen der Autos, Fabriken und Kraftwerke Lateinamerikas.

"Das ist die Studie, auf die ich seit Jahren gewartet habe", sagt Anja Rammig vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, die an der Arbeit nicht beteiligt war. Bisher war die Frage ungeklärt, was mit Wäldern und besonders dem Amazonas-Dschungel im Klimawandel passiert. Modellierer wie sie, die die künftige Entwicklung per Computer berechnen, debattierten darüber. Aus dem Feld gab es nur Momentaufnahmen - etwa die Meldung im vergangenen Jahr, dass der Amazonas-Regenwald im Dürrejahr 2010 mehr CO2 abgegeben als aufgenommen habe. Aber jetzt lägen auch für diese Region "unschlagbar lange Datenreihen" vor, sagt Rammig. Dafür sind zwischen 1983 und 2011 Wissenschaftler alle paar Jahre mit Fotoapparat, Maßband und Leiter in den Amazonas-Urwald gezogen, um auf Testflächen Bäume zu begutachten. Insgesamt 321 unberührte Plots mit 189 000 Bäumen von mehr als zehn Zentimetern Stammdurchmesser in acht Ländern hat das Team vermessen. Es besitzt mehr als 90 Mitglieder aus 16 Ländern, sie gehören zum Rainfor genannten Netzwerk, das Oliver Phillips, Brienens Chef in Leeds, koordiniert (Nature, Bd. 519, S. 344, 2015).

Die Sterblichkeit der Bäume war im ganzen Zeitraum angestiegen, also nicht erst mit den ernsten Dürren der Jahre 2005 und 2010. Die Produktivität der Testflächen wuchs über die fast 30 Jahre zwar auch, die Zunahme konnte den Verlust an Biomasse aber nicht kompensieren. Dieser Effekt zeigte sich indes erst bei der statistischen Analyse, viele Flächen wiesen für sich genommen andere Trends auf. Die Forscher fanden die verstärkte Mortalität aber auch über kürzere Zeiträume und in der Auswahl der 117 Plots mit den besten Daten. Allerdings räumt Roel Brienen ein, dass die Verteilung der Testflächen womöglich nicht repräsentativ für den Regenwald sein könnte. Sie mussten ja vor allem erreichbar sein. Die Forscher haben jedoch die wichtigsten Klimazonen, Waldtypen und Bodenarten einbezogen.

Über die wahren Gründe für das Baumsterben können die Forscher nur spekulieren. Am wahrscheinlichsten erscheint ihnen eine Spätfolge der immer größeren Mengen von Kohlendioxid in der Atmosphäre. Sie sind im Prinzip gut für Pflanzen, die daraus im Sonnenschein Biomasse erzeugen; Forscher sprechen von einer CO2-Düngung. Aber die Veränderung regt die Bäume auch an, schneller zu wachsen, um eher an genügend Licht zu kommen. "Dieser Anreiz führt dazu, dass die Bäume schneller leben und deswegen früher sterben", sagt Oliver Phillips.

Für Lars Hedin von der Princeton University sind diese Daten, die sozusagen eine Demografie der Bäume darstellen, "ausschlaggebend". Sie zeigten, dass "der Aufbau der Biomasse im Wald zurückgeht, auch wenn die Produktivität der einzelnen Bäume ansteigt oder zumindest gleich bleibt", schreibt der US-Forscher in einem begleitenden Kommentar in Nature. Die Qualität der Modelle, die mit dem Schicksal des Waldes auch die Entwicklung des Weltklimas simulieren, dürften die Daten verbessern, ergänzt Anja Rammig: "Bisher überschätzen viele den CO2-Dünge-Effekt."

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