Amalgam:Plomben mit ungewisser Wirkung

Schon lange wird über mögliche Gesundheitsfolgen von Amalgam gestritten. Eine EU-Studie hat die quecksilberhaltigen Zahnfüllungen nun für harmlos erklärt. In Norwegen dagegen ist ihre Verwendung bereits verboten.

Wiebke Rögener

Sie sind nicht nur unschön, sondern womöglich auch schädlich: die grauen Amalgamfüllungen, mit denen Zahnärzte seit dem 19. Jahrhundert Karieslöcher stopfen. Sie enthalten zur Hälfte das hochgiftige Quecksilber. Beim Einsetzen der Füllungen steigt die Quecksilberkonzentration im Körper, und auch später sondern die Plomben Quecksilberdampf ab.

Amalgam: Sollte man auf Amalgamfüllungen verzichten?

Sollte man auf Amalgamfüllungen verzichten?

(Foto: Foto: AP)

Das Metall wird über die Lunge aufgenommen und reichert sich beispielsweise in der Niere und im Nervensystem an. Viele Leiden werden mit Amalgamplomben in Verbindung gebracht: Entwicklungsstörungen bei Kindern, Autismus, Multiple Sklerose, Nierenerkrankungen oder Alzheimer. Eindeutig bewiesen ist davon nichts. Doch Unbehagen bleibt, schließlich gehört Quecksilber zu den giftigsten nicht-radioaktiven Substanzen.

Mit Beginn dieses Jahres hat Norwegen den Gebrauch aller Quecksilberverbindungen verboten, einschließlich des Zahnamalgams. Auch andere nordische Länder haben dessen Verwendung stark eingeschränkt.

In Deutschland dagegen versichert das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), es gebe derzeit "keinen wissenschaftlich begründeten Verdacht für ein gesundheitliches Risiko". Es rät aber, bei Kindern aus Gründen des "vorbeugenden Gesundheitsschutzes" zu prüfen, ob Amalgamfüllungen notwendig sind. Bei Schwangeren solle "auf eine umfangreiche Füllungstherapie" verzichtet werden.

Gleich zwei Expertengruppen haben sich im Auftrag der EU-Kommission mit dem Amalgamproblem befasst und Ende 2007 ihre Stellungnahmen vorgelegt: eine zu den direkten Gesundheitsrisiken durch Amalgamfüllungen, eine zu den Gefahren für die Umwelt.

Das "Wissenschaftliche Komitee für neu entstehende und neu identifizierte Gesundheitsrisiken" (SCENIHR) befasste sich mit der Frage, ob Amalgam in den Zähnen den Plombenträger gefährdet. Es handelte sich, wie das Komitee selbst formuliert, um eine der ältesten Kontroversen in der Medizin. Doch sieht die EU-Bürokratie kein spezielles Gremium für ebenso alte wie ungeklärte Fragen vor.

Allenfalls lokale allergische Reaktionen?

Das SCENIHR meint, der alte Streit sei nun entschieden: Allenfalls lokale allergische Reaktionen könne das Amalgam hervorrufen. Kategorisch erklärt das Gutachterteam, es existiere "kein Risiko für systemische Schäden" - für Schäden also, die durch Aufnahme des Gifts in den Körper entstehen.

Gemeinhin gilt die kategorische Verneinung eines Risikos als wissenschaftlich unmöglich. Ein Expertenteam des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Berlin erklärte im vergangenen Jahr zwar ebenfalls, es gäbe keine überzeugenden wissenschaftlichen Belege für Gesundheitsgefahren durch Amalgam. Aber die RKI-Experten betonten auch, es sei "akzeptierter erkenntnistheoretischer Konsens, dass grundsätzlich der Nachweis einer Unschädlichkeit nicht zu führen ist".

In einem Minderheitenvotum zur RKI-Stellungnahme forderten Umweltmediziner der Universität Freiburg, vorsorglich ganz auf Amalgam zu verzichten. Die Amalgam-Kritiker Franz Daschner und Joachim Mutter sehen zumindest Hinweise dafür, dass Amalgamfüllungen zu Alzheimer oder Autismus beitragen könnten. "Beispielsweise finden sich im Gehirn verstorbener Alzheimer-Patienten bei der Autopsie oft hohe Konzentrationen vom Quecksilber", sagt Mutter. "Schon geringere Mengen schädigen Nervenzellen in Zellkulturen."

Der Toxikologe Wolfgang Dekant von der Universität Würzburg, der als externer Experte an der SCENIHR-Stellungnahme mitwirkte, sagt: "Ein Wert null für das Risiko ist nicht möglich." Eine Reihe aktueller Studien habe jedoch keine Schäden gefunden, die auf Amalgam zurückzuführen seien. Langfristige Untersuchungen gebe es zwar nicht, sagt Dekant.

"Doch aus dem Bereich des Arbeitsschutzes haben wir umfangreiche Kenntnisse über die Wirkungen von Quecksilber. Diese lassen sich, bei vergleichbaren Blutspiegeln, auf die Anwendung in der Zahnmedizin übertragen." Die gemessenen Blutwerte gäben keinen Anlass zu Besorgnis.

Joachim Mutter hält solche Vergleiche für unzulässig. "Es ist ein Unterschied, ob gesunde Erwachsene dem Quecksilber ausgesetzt sind oder Kinder, oder sogar Ungeborene, die nachweislich durch die Amalgamfüllungen ihrer Mütter belastet werden", betont er.

Hauptquelle für die Quecksilberbelastung

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation gibt es möglicherweise keinen Schwellenwert, unterhalb dessen Quecksilber unschädlich ist. Amalgam sei die Hauptquelle für die Quecksilberbelastung des Menschen, so die WHO. "Diese Aussagen werden von den EU-Experten völlig ignoriert", kritisiert Joachim Mutter.

Das BfArM sieht seine Haltung zu Amalgam bestätigt: "Die Schlussfolgerungen der SCENIHR-Expertengruppe stimmen mit unserer Risikobewertung für Amalgamfüllungen weitestgehend überein", sagt Rainer Harhammer, der beim BfArM für Amalgam zuständig ist. Es gebe keine wissenschaftlich begründeten Hinweise auf Risiken, die den Nutzen überwiegen.

Plomben mit ungewisser Wirkung

Zwei Studien an Kindern führten in den vergangenen Jahren zu Schlagzeilen wie: "Freispruch für Amalgamfüllungen" in der Ärztezeitung vom 20.4.2006. In einer Untersuchung an 500 portugiesischen Jungen und Mädchen erwiesen sich Kinder mit Amalgamplomben bei verschiedenen Aufmerksamkeits- und Gedächtnisaufgaben als ebenso schlau und geschickt wie Altersgenossen mit Kunststofffüllungen. Und das, obwohl Kinder mit Amalgamfüllungen signifikant mehr Quecksilber im Urin hatten.

Auch eine US-Studie fand in IQ-Tests keine messbaren Unterschiede. Geringere Effekte oder langfristige Wirkungen werden von diesen Studien jedoch nicht erfasst, sagt Herbert Needleman von der Pittsburgh School of Medicine. Er fordert weitere Studien, um auch subtile Wirkungen aufzuspüren.

Wenn nur bei einem Prozent der 50 Millionen Kinder, die in den USA Amalgamfüllungen haben, Effekte des Quecksilbers aufträten, beträfe das 500.000 Kinder. Die SCENIHR-Experten dagegen raten davon ab, die Risiken des Amalgams weiter zu erforschen, weil dessen Einsatz in der EU ohnehin rückläufig sei.

Ob letzteres stimmt, ist jedoch fraglich. Das zweite von der EU-Kommission beauftragte Expertengremium, das "Scientific Committee on Health and Environmental Risks" (SCHER) erklärt, der Einsatz von Amalgam habe in der EU sogar zugenommen.

Insgesamt fällt die Expertise zu den Umweltrisiken des Amalgams weniger forsch aus, als der SCENIHR-Bericht. Die rund 90 Tonnen Quecksilber, die Europas Zahnärzte jährlich verarbeiten, sehen die SCHER-Gutachter als mögliches Umweltproblem. Zum Vergleich: Japan kommt mit jährlich 314 Kilogramm Quecksilber für zahnärztliche Zwecke aus.

Nur die Chlor-Alkali-Industrie verwendet in der EU derzeit noch mehr Quecksilber als Zahnarztpraxen, aber da der industrielle Einsatz zurückgeht, könnten Amalgam-Plomben bald an erster Stelle im europäischen Quecksilberverbrauch stehen. Auf vielfältigen Wegen gelangt ein Großteil des Plombenmaterials in die Umwelt, etwa aus Krematorien und mit Abwässern von Zahnarztpraxen - nach Analysen des EU-Umweltbüros in der EU etwa 77 Tonnen pro Jahr.

Offene Frage nach der Alternative

Ein Teil davon wird in der Umwelt zu Methylquecksilber, das sich in Fischen massiv anreichert. Die Gesundheitsgefahr für den Menschen halten auch die Umweltexperten dennoch für gering, erklären aber, die Umweltrisiken durch Zahnamalgam in Europa seien derzeit nicht einzuschätzen, da entsprechende Studien fehlten. Anders als das SCENIHR-Team halten die Umwelt-Gutachter weitere Forschung für erforderlich.

Es bleibt die Frage nach der Alternative. Ob die immer häufiger verwendeten Kunststofffüllungen unbedenklich sind, ist ebenfalls unklar, denn "Daten zu toxischen Effekten der Kunstharze in Tieren und zur möglichen Ökotoxizität sind nicht in öffentlich zugänglichen Quellen verfügbar", heißt es im SCHER-Bericht.

Nach EU-Recht müssen die Hersteller bei der Zulassung nicht einmal offen legen, welche Chemikalien in den modernen Füllungen enthalten sind. Auch in Deutschland gibt es nach Auskunft des BfArM keine scharfen Anforderungen zur Deklaration der Inhaltsstoffe.

Langfristige Studien an Patienten oder zahnärztlichem Personal liegen auch für die schönen weißen Füllungen nicht vor. Gründliches Zähneputzen und der Verzicht auf allzu viel Süßes bleiben also der sicherste Schutz vor Plomben mit ungewisser Wirkung.

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