Alternative Heilverfahren:Heilen nach Zahlen

Bachblüten-Essenzen, homöopathische Kügelchen, Akupunktur - lassen sich alternative Therapien an gleichen Standards messen wie die Schulmedizin?

Wiebke Rögener

Die Sympathie für alternative Heilverfahren ist ungebrochen. Zwei Drittel der Deutschen vertrauen sich Umfragen zufolge unkonventionellen Therapien an. Sie schlucken Bachblüten-Essenzen und homöopathische Kügelchen oder wenden sich an Geistheiler.

Alternative Heilverfahren: Wenn Nadeln an beliebigen Stellen Schmerzen lindern, widerspricht das einer zentralen Vorstellung der traditionellen chinesischen Medizin.

Wenn Nadeln an beliebigen Stellen Schmerzen lindern, widerspricht das einer zentralen Vorstellung der traditionellen chinesischen Medizin.

(Foto: Foto: dpa)

Ob die Wirkung solcher Therapien nach ähnlichen Kriterien beurteilt werden sollten wie die Schulmedizin, ist jedoch umstritten. Anhängern alternativer Behandlungen ist es oft egal, wenn das von ihnen geschätzte Verfahren als unwissenschaftlich kritisiert wird. "Wer heilt, hat recht", heißt es dann.

Doch wer behauptet, dass er heilt, muss auch nachweisen, dass die Behandlung ebendies tut. Das fordern Vertreter der wissenschaftlich fundierten, evidenzbasierten Medizin (EBM).

Manche Anhänger unkonventioneller Heilmethoden entgegnen, die eingeforderten wissenschaftlichen Studien seien prinzipiell unangemessen. "Es wird geltend gemacht, dass komplementärmedizinische Behandlungen hochindividuell angewandt würden, und keinem standardisierten Vorgehen entsprechen", sagt Peter Matthiessen, zuständig für Medizintheorie und Komplementärmedizin an der Universität Witten/Herdecke.

So würden beispielsweise in der anthroposophischen Medizin im Behandlungsverlauf gelegentlich Änderungen der Therapie vorgenommen, je nachdem wie ein Patient darauf anspricht.

Alternative Verfahren können sehr wohl evidenzbasiert auf Wirksamkeit und Nutzen überprüft werden, sagt hingegen Heiner Raspe von der Universität Lübeck. "Die Bewertung nimmt keine Rücksicht auf die Theorien hinter einer Methode." Dabei käme es nicht darauf an, einen Wirkmechanismus zu begründen, führte er kürzlich bei einer Tagung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln aus.

Auch bei Mitteln der Schulmedizin sei "in vielen Fällen dubios", wie sie wirken, so Raspe. Allerdings müsse sich ein Nutzen für Patienten wissenschaftlich beweisen lassen.

"Die evidenzbasierte Medizin ist risikoscheu und nutzenskeptisch"

Dafür sind umfangreiche Studien erforderlich, bei denen die Teilnehmer per Zufall auf unterschiedliche Behandlungsgruppen verteilt werden, und weder die behandelnden Ärzte noch die Patienten wissen, wer die Therapie erhält, wer die Standardbehandlung oder ein Plazebo. "Randomized Controlled Trials", RCT, heißen diese anspruchsvollen Studien.

Diese Untersuchungen sollen gewährleisten, dass keine Therapien zugelassen werden, die mehr Nach- als Vorteile für Patienten bringen. "Die evidenzbasierte Medizin ist risikoscheu und nutzenskeptisch", sagt Raspe.Ob solche Maßstäbe aber auch für Homöopathen oder Geistheiler gelten sollen, ist unter Komplementärmedizinern umstritten. "Soweit ich sehe, ist die Mehrzahl dagegen", sagt Peter Matthiessen.

Allein 2008 sind jedoch viele Untersuchungen und Analysen zur Komplementärmedizin erschienen. Eine Auswertung von 29 Studien mit mehr als 5000 Patienten ergab etwa, dass Johanniskraut bei milden bis mittelschweren Depressionen ebenso gut wirkt wie übliche Antidepressiva und weniger Nebenwirkungen hat.

Auch Entspannungstechniken helfen demnach. Berührungstherapien wie Reiki können offenbar Schmerzen bekämpfen. Indes gibt es keine Nachweise dafür, dass Akupunktur allergischen Schnupfen lindern kann oder Magnete gegen Schmerzen wirken. Auch ließ sich in früheren Studien nicht belegen, dass Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit von einer homöopathischen Therapie oder Bachblüten-Tropfen profitieren.

Heilen nach Zahlen

Max Pittler, bis vor kurzem in der Abteilung Komplementärmedizin der Universität Exeter und heute am IQWiG tätig, hält kontrollierte Doppelblindstudien bei komplementären Heilmethoden ebenfalls für möglich: "Mit etwas Phantasie lassen sich immer geeignete Kontrollgruppen finden."

Selbst bei so bizarren Verfahren wie der Geistheilung sei es gelungen: Menschen, die an chronischen Schmerzen litten, wurden entweder von spirituellen Heilern behandelt oder von Schauspielern, die vorgaben, heilende Energien auszusenden. Es gab durchaus einzelne Heilerfolge - allerdings in beiden Gruppen.

"Ethisch nicht zu vertreten"

Doch auch wenn kontrollierte klinische Studien nach Maßstäben der EBM möglich sind, sehen manche Vertreter der Komplementärmedizin die Überprüfungen kritisch: "Mir ist eine Medizin ein Anliegen, die ihren Ausgangspunkt von der zwischenmenschlichen Begegnung nimmt und sich auch an der Offenheit und Ehrlichkeit der zwischenmenschlichen Begegnung bemisst", sagt Matthiessen. Dies sei bei einer zufälligen Verteilung der Patienten auf Behandlungsgruppen nicht der Fall.

Es sei ethisch nicht zu vertreten, die Patienten in Studien darüber im Unklaren zu lassen, welche Therapie sie bekommen, sagt auch Harald Walach von der University Northampton. Dass etwa Teilnehmer von Akupunkturstudien zufällig einer Behandlungsgruppe zugewiesen werden, mache sie zu passiven Empfängern der Therapie.

So erklärt Walach die Ergebnisse von Studien, die zwar zeigten, dass Nadeln gegen Schmerzen wirken, die aber auch ergaben, dass es nicht auf die nach fernöstlicher Lehre vorgeschriebenen Punkte ankommt. Auch eine Scheinakupunktur an beliebigen anderen Stellen half. Nur durch Irreführung der Patienten sei es zu erklären, dass beide Gruppen gleich gut abgeschnitten haben, so Walach.

"Solche Einwände kommen jetzt von Anhängern der Komplementärmedizin, die von den Ergebnissen der Akupunkturstudien enttäuscht sind", sagt Max Pittler dazu. "Denn wenn Nadeln an beliebigen Stellen Schmerzen lindern, widerspricht das einer zentralen Vorstellung der Akupunktur, dass durch Stiche an bestimmten Punkten des Körpers so genannte blockierte Energien gelöst und Krankheiten gelindert werden."

Pittler ist überzeugt: "Hätten die Studien eine Überlegenheit der Akupunktur gegenüber der Scheinakupunktur gezeigt, würde von Anhängern dieser Behandlung kaum Kritik an der Verblindung geäußert werden."

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