Alternative Heilverfahren:Frische Zellen zur "Verjüngung"

Die Behandlung mit tierischen Zellen soll gegen Krankheiten helfen und den Alterungsprozess bremsen. Die Methode ist allerdings mehr als umstritten.

Colin Goldner

Die Übertragung tierischer Zellen in den menschlichen Organismus ist seit Anfang der 1930er als komplementärmedizinisches Verfahren bekannt.

Zellen

Ob tierische Zellen, Substate oder Enzyme - die Frischzellentherapie ist nicht anerkannt.

(Foto: Foto: photodisc)

Bezeichnet je nach Betreiber und Schule als Biomolekular-, Frischzellen-, Organo-, Sicca-, THX-, Zell- oder Zytoplasmatische (Zell-)Therapie standen Idee und Methode seit je in der Kritik der wissenschaftlichen Medizin.

Als Begründer des Verfahrens gilt der schweizerische Klinikbetreiber Paul Niehans (1882-1971), der davon ausging, durch injizierte Zellen von Schafs- oder Rinderföten könnten beschädigte oder funktionseingeschränkte Zellen eines Empfängerorganismus ersetzt und dieser dadurch "revitalisiert" werden.

Diese Vorstellunge entpuppte sich allerdings schnell als unhaltbar, da jedes körperfremde Material entweder vom Immunsystem angegriffen und zerstört oder aber verdaut und ausgeschieden wird.

Als dies klar wurde, schwenkten die Befürworter auf eine andere Begründung um: nun sollten es nicht mehr die Zellen selbst, sondern die in ihnen enthaltenen Substrate und Enzyme sein, die eine heilsame Wirkung erbrächten.

Eine Vielzahl an Frischzellsanatorien wurde begründet, in denen die Patienten mit Zellmaterial aus den Organen fötaler Tiere sowie aus Drüsenorganen geschlachteter Jungtiere, vor allem der Thymusdrüse, behandelt wurden.

Als Indikationen galten angeborene und krankheitsbedingte Funktionsstörungen von Organen und Organsystemen, altersbedingte Funktionseinschränkungen sowie Tumorerkrankungen jeder Art. Versetzt mit synthetischen Hormonen und Vitaminen sollten die Frischzellen gegen buchstäblich jede Art von Krankheit und Funktionsstörung helfen, und letztlich sogar den Alterungsprozess umzukehren imstande sein.

Schon in den 1950ern wurden schwere Schädigungen durch frischzelltherapeutische Behandlungen beschrieben: allergische Schockreaktionen, Magenblutungen, Leberzirrhosen, Herzinfarkte; es gab sogar eine erschreckend hohe Zahl dokumentierter Todesfälle.

Eine vernichtende Stellungnahme der Bundesärztekammer von 1957 konnte die weitere Ausbreitung des Verfahrens, das vor allem die Möglichkeit einer "Verjüngung" des Organismus suggerierte, jedoch nicht aufhalten: Frischzellentherapie boomte. Zu den bekanntesten Werbeträgern zählten begeisterte Nutzer wie Konrad Adenauer oder der spätere Fußballnationaltrainer Helmut Schön.

Frische Zellen zur "Verjüngung"

Massive Nebenwirkungen bei ausbleibendem Erfolg führten in den 1970ern zu einem schleichenden Niedergang, den eine weitere Stellungnahme des Wissenschaftsbeirates der Bundesärztekammer von 1976 beschleunigte: In Anbetracht des bisher nicht erbrachten Nachweises der Wirksamkeit der Zelltherapie, so die Kammer, sei es nicht gerechtfertigt, diese als wissenschaftlich begründetes Heilverfahren anzuerkennen.

Warnung der WHO

Des hohen Infektionsrisikos wegen wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine besondere Warnung vor dem Verfahren ausgesprochen. 1997 wurden Herstellung und Verkauf von Frischzellen in Deutschland durch das Bundesgesundheitsministerium verboten, im Jahr 2000 wurde das Verbot indes durch das Bundesverfassungsgericht aufgehoben:

Die Frischzellenpräparate, so der Richterspruch, seien keine Medikamente, da sie nicht über Apotheken in Verkehr gebracht würden. Vielmehr würden sie direkt in den jeweiligen Kliniken hergestellt und dort an die Patienten verabfolgt. Zulassung bzw. Verbot oblägen deshalb nicht dem Bund, sondern den Ländern. Zu den Gesundheitsrisiken der Zelltherapie äußerte sich das Gericht nicht.

In der Alternativmediziner- und Heilpraktikerszene lebt die ebenso nutzlose wie gefährliche Zelltherapie bis heute fort. Zum Einsatz kommt insbesondere die sogenannte "Zytoplasmatische (Zell-)Therapie", entwickelt schon in den 1950er Jahren von dem Medizinaußenseiter Karl Theurer, bei der das potentiell allergieauslösende Fremdeiweiß aus den eingesetzten Zellpräparaten angeblich herausgefiltert ist.

Verwendet werden in erster Linie Fertigpräparate, die frei im (Internet-)Handel erhältlich sind. Die Präparate werden aus Plazentamaterial trächtiger Kühe sowie Leber-, Lungen-, Nebennieren-, Knochenmark-, Darmschleimhaut-, Nabelschnurmaterial und Hoden un- oder neugeborener Stierkälber gewonnen.

Das den getöteten Tieren entnommene Zellmaterial wird zerkleinert, gesiebt und in flüssigem Stickstoff tiefgefroren, anschließend wird es in einem patentierten Verfahren einer Säuredampf-Vakuum-Hydrolyse unterzogen. Durch weitere Lyophilisierung (= Gefriertrocknung) entstehen sogenannte Trockensubstanzen, aus denen über Wasserzusatz Injektionslösungen verschiedener Konzentrationsstufen hergestellt werden.

Die jeweiligen Lösungen gibt es als Einzel- oder als Kombiorganpräparate, als "Ursubstanzen" oder homöopathisch verdünnt, mit und ohne subpharmakologische Zusätze. Daneben werden auch Salben, Tropfen und Kapseln mit Rinderzellen vertrieben.

Nicht nur bei Krebserkrankungen ist die Zytoplasmatische Therapie angeblich das Verfahren der Wahl, vielmehr auch und insbesondere bei degenerativen Gelenksveränderungen und vorzeitigem Altern (Anti-Aging-Therapie).

Alles andere als harmlos

Tatsache ist: Die Zellprodukte gleich welcher Art sind alles andere als harmlos. Vor allem jene Präparate, die in Form intramuskulärer Injektionen verabreicht werden, können nicht nur zu dramatisch verlaufenden allergischen Reaktionen bis hin zum tödlichen Schock führen.

Vielmehr kann das eingebrachte Fremdeiweiß auch das sogenannte Guillan-Barré-Syndrom auslösen, eine Erkrankung, die in Form einer Polyradikuloneuritis die Nerven der Rückenmarkswurzeln beschädigt und mit aufsteigendem Verlauf zur vollständigen motorischen Lähmung des Patienten führen kann.

Entgegen aller Behauptung können auch die Allergene aus zytoplasmatischen Präparaten nicht entfernt werden. Die Warnung der WHO hat bis heute Gültigkeit.

Mit der Transplantation adulter oder geklonter Stammzellen (einschließlich der ethisch äußerst umstrittenen Verpflanzung embryonaler Stammzellen) haben die komplementär- medizinischen Zelltherapien nach Niehans oder Theurer nichts zu tun.

Colin Goldner ist klinischer Psychologe. Er setzt sich seit etlichen Jahren kritisch mit alternativen Heilverfahren auseinander.

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