Alternative Energie:Ein Tank voll Hitze

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Paraffin in der Heizung, Salz im Kraftwerk - neue Methoden, Wärme zu speichern, sollen die Nutzung erneuerbarer Energie verbessern und Schwankungen auf dem Strommarkt entschärfen.

Christopher Schrader

Als die Menschen das Feuer zähmten, und damit zum ersten Mal gezielt Energie nutzten, da ging es ihnen vermutlich um Wärme. Ihr Ziel war, kühle Nächte zu überstehen - und gleichzeitig legten sie den Grundstein der Kultur. Die Industriegesellschaft hingegen widmet der Wärme kaum noch Aufmerksamkeit, jedenfalls im Vergleich zur elektrischen Energie, zu Sonnenstrom und Windkraft, zu Leitungen und Speichern. Zu Unrecht, sagen Forscher und Entwickler: Wärme könne in vielen Fällen helfen, Probleme auf dem Energiemarkt zu entschärfen.

Ein Problem der Energiewende ist, dass Elektrizität anfällt, wenn der Wind bläst oder die Sonne scheint, aber nicht unbedingt, wenn sie gebraucht wird. Strom für späteren Gebrauch aufzuheben ist schwierig. Wärme auf Vorrat zu erzeugen und zu speichern hingegen einfach. Wissenschaftler erproben daher Materialien vom Kerzenrohstoff Paraffin über Salz und Beton bis zur Stahlschlacke. Die Ideen, die sie in dieser Woche auf einer Konferenz zur Speicherungen regenerativer Energien in Berlin vorgestellt haben, sehen Anlagen in Kellern von Wohnhäusern, in Containern vor Hallenbädern oder auf dem Gelände von Großkraftwerken vor.

"Man kann Wärme nutzen, um auf dem Strommarkt Erzeugung und Verbrauch zu entkoppeln", sagt Peter Schossig vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg. Dafür gibt es zwei Ideen. Erstens müssten mehr Privathäuser und Bürogebäude mit Öko-Strom heizen, wenn er gerade im Überfluss vorhanden ist. Und zweitens sollten Kraftwerke, die heißen Dampf für Turbinen und Generatoren erzeugen, diese Hitze für späteren Gebrauch aufbewahren können, um flexibel auf den Bedarf im Stromnetz zu reagieren.

In der Anlage "Gemasolar" zwischen Sevilla und Córdoba in Spanien wird eine Flüssigkeit in einem Turm mit Sonnenlicht erhitzt. (Foto: REUTERS)

Dies ist eines der Grundprinzipien der sogenannten solarthermischen Kraftwerke, die in Südspanien entstehen. Das Kraftwerk Gemasol zwischen Sevilla und Córdoba fokussiert Sonnenlicht mit Spiegeln auf einen Turm, in dem sich eine Flüssigkeit erhitzt. Deren Wärme lässt sich zu Dampf umwandeln, der Turbine und Generator treibt, sie kann aber auch in einen Tank mit Tausenden Tonnen Salz geleitet werden. Wenn dieses schmilzt, nimmt es ähnlich wie Eiswürfel in einem Longdrink Energie auf, ohne sich zu erwärmen. Die Energie kann der Speicher später wieder abgeben, wenn die Sonne untergegangen ist - ein Solarkraftwerk für die Nacht.

Salz ist für diesen Zweck ein ausgezeichnetes Material, bestätigt Guilhem Dejean vom Labor des französischen Forschungszentrums CNRS in Perpignan. Aber es sei relativ teuer und nicht beliebig verfügbar. Er schlägt darum vor, Schlacke aus der Stahlproduktion für die Wärmespeicherung zu nehmen. Von dem Material sind große Überschüsse vorhanden, es kostet seinen Daten zufolge zurzeit 25 Euro die Tonne und nicht 625 Euro wie das Salz. Allerdings müssten die Stahlhütten ihren Abfallstoff direkt nach der Entnahme in keramische Platten gießen. Zurzeit lässt Dejean Schlackebrocken probeweise einschmelzen und umformen.

Eine weitere Alternative zu Salz bietet Øivind Resch von der Firma Nest an: Beton. Bei der Berliner Konferenz saß der norwegische Manager an seinem Stand neben der Kaffeetheke und versuchte das Konzept zu erklären. In Gebäuden von der Größe von Lagerhallen stehen demnach Betonblöcke mit Rohren darin, durch die Dampf strömt. Die Klötze erwärmen sich und können die Hitze noch lange Zeit später wieder abgeben - zu 95 Prozent, wie Resch versichert. Selbst große Kohlekraftwerke könnten so den erzeugten Dampf von mehr als 540 Grad Celsius und einem Druck von 240 bar zwischenspeichern. Das hätte den Vorteil, dass der schwierig zu steuernde Brenner nicht auf das Wechselspiel von Bedarf und schwankendem Angebot an Ökostrom reagieren muss. Die Hitze wird aus dem Beton nur entnommen, wenn sich die Lieferung von Strom lohnt.

Solche Wärmespeicher könnten Betreibern von Kraftwerken, die neben Strom auch Fernwärme erzeugen, größere Flexibilität erlauben. Die sogenannte Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) führt gelegentlich zu Zielkonflikten. Zum Beispiel lässt sich die Anlage im Winter weder ausschalten noch ausfahren, weil immer ein Teil der Kapazität der Fernwärme dient. Mit einem Wärmespeicher, rechnet Ingo Weidlich von AGFW, einem Bündnis von KWK-Betreibern, vor, könnte das Kraftwerk bei Stromüberschuss stark gedrosselt werden - die Fernwärme käme aus dem Speicher. Und bei Mangel an Elektrizität könnte sich der Betreiber auf die Stromproduktion konzentrieren, ohne dass in den angeschlossenen Stadtvierteln die Heizungen auskühlen. Eine solche Flexibilität bringt nicht nur höhere Einnahmen, sondern kann auch den Ausstoß von CO2 senken.

Das Geschäftsmodell des großen KWK-Kraftwerks kann auch der Eigenheimbesitzer im Prinzip in seinem Keller kopieren. Längst gibt es kleine Blockheizkraftwerke, die zum Beispiel mit einem Automotor Strom zum Verkauf im Netz erzeugen und die Heizungswärme sozusagen nebenbei erzeugen. Damit die Familie ihren Wärmebedarf unabhängig vom Zustand des Strommarktes decken kann, steht neben dem Kellerkraftwerk ein Wärmespeicher. Die Betreiber füllen ihn nur dann, wenn sie ihre Elektrizität zu hohen Preisen verkaufen können.

Auch Besitzern von Wärmepumpen in einem Privathaus würde ein Speicher nützen. Eine Wärmepumpe verwendet Strom, um relativ kleine Temperaturunterschiede, etwa zwischen Erdreich und Luft, zu Heizwärme zu machen. Besonders günstig käme es dem Betreiber, könnte er die Wärmepumpe laufen lassen, sobald die Kosten für den Stromverbrauch niedrig sind. Verträge, bei denen der Preis pro Kilowattstunde mit Angebot und Nachfrage schwankt, gibt es für Verbraucher bisher kaum; viele Experten erwarten sie jedoch für die Zukunft.

Wärme transportieren mit schmelzenden Materialien

Wärmespeicher würden es Familien erlauben, ihre Heizung vom Strommarkt zu entkoppeln. "Wenn Sie beliebig viel Platz im Keller haben, nehmen Sie einen Wassertank als Speicher", sagt Peter Schossig vom Freiburger Fraunhofer-Institut. "Aber wenn Ihnen der Platz fehlt, gibt es bessere Alternativen." Etliche Forscher stellten in Berlin Versuche mit Paraffin vor. Es kann sehr viel Energie speichern, wenn es schmilzt, und beim Erstarren wieder abgeben. So lässt sich die Kapazität von Tanks womöglich vervierfachen.

Tom Nuytten vom Forschungslabor Vito im belgischen Mol hängt dazu einen Sack voller kleiner, mit Paraffin gefüllter Kapseln in den Wassertank. Tobias Kappels vom Fraunhofer-Institut für Umwelttechnik in Oberhausen experimentiert hingegen mit einem Brei aus Paraffin und Wasser. Chemische Zusatzstoffe halten das Kunstwachs darin in Suspension, erklärt er, egal ob es flüssig oder fest ist. So lasse sich das Gemisch durch eine Heizungsanlage pumpen, ohne zu verklumpen.

Außer Paraffin erproben etliche andere Forscher auch sogenannte Salzhydrate. Sie geben Wasserdampf ab, wenn sie erwärmt werden. Führt man später wieder Wasserdampf zu, setzt eine chemische Reaktion die Wärme wieder frei. Margarethe Molenda vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Stuttgart erprobt das mit Kalziumchlorid. Sie hofft, in Industriebetrieben sogenannte Abfallwärme, die bisher nicht nutzbar ist, mit der Hydratreaktion einfangen und später auch an einem anderen Ort - wieder freisetzen zu können.

Schmelzende Materialien machen aus Wärme also auch eine transportable Ware. Auf dieser Idee gründet sich das Geschäft der Dortmunder Firma Latherm. Sie füllt Industriecontainer mit dem Salz Natriumacetat, mit Röhren für heißes Wasser und einer elektronischen Steuerung. Wird der Container mit Abwärme der Dortmunder Deponie Nordost aufgeladen, schmilzt das Salz. Dann bringt die Firma den Container auf einem Anhänger zum Hallenbad Brake oder zur Ebel-Grundschule in Bottrop, wo das Salz langsam erstarrt und Wasser sowie Klassenräume heizt. Die Energieagentur NRW nennt das "Wärme auf Rädern".

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