Alltags-Wunder:Ergonomie für Anfänger

Der Mensch, ein krasser Fall von Ambivalenz. So viel Schönes hat er erfunden, Wahres, Gutes, Leckerschmecker, h-moll-Messe, Fußball, Chips von funny-frisch. Gleichzeitig erfindet er fortwährend Dinge, die an Scheußlichkeit nicht zu überbieten sind, den schwäbischen Dialekt, Tschernobyl, Kerners Sendungen.

Von Alex Rühle

Das Schlimmste aber, was der Mensch ersann, ist der Bürostuhl. Wem ist eingefallen, dass sich der Mensch zum Arbeiten jedes Mal zusammenfalten soll wie ein alter Tetrapak-Karton? Der Krankenkassenmafia?

Alltags-Wunder: Menschenwürde? No way. Der Autor bei der täglichen Selbstkasteiung.

Menschenwürde? No way. Der Autor bei der täglichen Selbstkasteiung.

Der Mensch wird auf dem Stuhl zusammengeknickt, als ob er selbst ein hässliches Möbel sei, das man für ein paar Jahre im Keller verstauen möchte.

Ergonomisch ist man ein Fall für amnesty international, sobald man darauf Platz nimmt. Menschenwürde? No way. Die Beine verknotet, die Hüften zerknautscht und was die Bandscheiben angeht, so fällt mir beim täglichen Gehocke die Szene in "Terminator" ein, wo die riesige Müllpresse in grausam langsamer Bewegung alles ineinander mantscht, was ihr in die Quere kommt.

Am Ende jedes Arbeitstags schleppt man seinen geschundenen Körper hinter sich her wie eine Alditüte. Da soll sich noch einer wundern, dass Chefs immer rumlaufen, als wären sie ihre eigene Hämorrhoide. Sie haben ja auch zehn Jahre länger auf einem Stuhl gesessen als man selbst.

Was für Uschi Glas' Faltencreme nicht bewiesen ist, gilt für Bürostühle definitiv: Sie machen klein, hässlich, gemein. Gibt es Alternativen? In den Siebzigern waren mal diese riesigen bunten Gummibälle en vogue.

In den Siebzigern waren allerdings auch selbst gestrickte Hodenwärmer in. Man denkt zwangsläufig ans Gebären bei diesen Bällen. Andere Möglichkeit: japanisch. Kein Stuhl. Schicke Schlichtheit auf dem Boden. Allerdings kommt man so nicht mehr auf den Schreibtisch.

Bleibt am Ende doch nur der Bürostuhl, dieser Allesverkrüppler und Rückgratstaucher, Samenstaudamm, Gebärmuttervertrockner. Uuuuh, war das eine Beschimpfungsorgie. Ich fühle mich wie Jim Morrison von den Türen, oder wie hieß noch dieser jugendliche Musiker, der nach seiner Darbietung immer alle Instrumente zertrümmerte?

Nur dem Stuhl, auf dem ich sitze, scheint das alles egal zu sein. Er staucht, er faltet, er quetscht und ich fühl mich schon so elend wie mein eigener Chefredakteur.

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