Alltag im Alten Ägypten:Friedhof der Tiermumien

Pyramiden und goldene Gräber sind uninteressant geworden: Ärchäologen untersuchen heute Tiergräber in Ägypten. Denn einbalsamierte Katzen, Hunde und Stiere liefern überraschende Einblicke in den Alltag der Hochkultur am Nil.

Hubert Filser

Im Jahr 1888 stießen abenteuerlustige Entdecker im östlichen Nildelta auf Mumiengräber - in Ägypten an sich keine Seltenheit. In diesem Grab jedoch waren keine Menschen bestattet, sondern Katzen. Und nicht wenige: 180 000 Katzenmumien fanden die Archäologen, säuberlich aufgeschichtet in den unterirdischen Gräbern des antiken Kultortes Bubastis.

ÄGYPTISCHE KATZENMUMIE

Die Tiere waren in Leinen gewickelt, einige hatten Gesichter aus Gold: Ägyptische Katzenmumie aus griechisch-römischer Zeit

(Foto: DPA/DPAWEB)

Die Tiere waren in Leinen gewickelt, einige hatten Gesichter aus Gold. Die Ausgräber sicherten sich die wertvollen Stücke. Doch da sich der Grabungsleiter Edouard Naville nicht für "die kleinen Dinge" interessierte, schafften englische Seefahrer die restliche tierische Fracht nach England.

Dort kamen die meisten der duftenden Leinenbündel nicht etwa ins Museum, sondern wurden zerbröselt und als Dünger auf Feldern verstreut. Heute sind selbst unscheinbare Tiermumien, also gerade "die kleinen Dinge", für die Wissenschaft von großem Wert. Sie erzählen oft mehr als goldene Schätze über das Leben vor mehreren tausend Jahren.

Noch am Anfang des 20. Jahrhunderts dienten Mumien als Trophäen für Abenteurer, die in den Salons der europäischen Großstädte von ihren Großtaten erzählten, eingewickelte Leichen präsentierten und diese auf Mumienpartys bisweilen enthüllten. Während es menschliche Mumien oft in Sammlungen schafften, gingen die Tierkadaver meist verloren.

Erst seit ein paar Jahren kümmern sich die Wissenschaft um Tiermumien

Erst seit ein paar Jahren kümmern sich die Wissenschaftler verstärkt um die Tiermumien, allen voran Salima Ikram von der Amerikanischen Universität in Kairo. Es ist eine Forschung jenseits der spektakulären Pharaomasken und wertvollen Grabbeigaben, jenseits der mächtigen Statuen und der gigantischen Pyramiden. Oder wie Salima Ikram sagt: "Wir können von Tiermumien viel über Religion lernen, über Technologie, Handel, Medizin, sich verändernde Umweltbedingungen und nicht zuletzt über das Verhältnis von Mensch und Tier." Die Tiermumien ermöglichen einen Blick in den Alltag der Antike.

Es gibt mumifizierte Ibisse, deren gebrochene Knochen fachgerecht geschient waren - etwas, das nur ein Tierarzt kann. Salima Ikram erzählt, man habe zum Beispiel Hausaffen die spitzen Eckzähne entfernt, um ihr gefährliches Gebiss zu entschärfen. Aus den Kiefern waren die Zähne so sauber gezogen, dass Experten am Werk gewesen sein müssen.

Tiere waren vor mehr als 3000 Jahren mindestens so stark in den Alltag integriert wie heute. Die Verbundenheit zur Tierwelt zeigt sich auch daran, dass viele ägyptische Götter Tierköpfe hatten, der Wissensgott Thot einen Ibiskopf, der Totengott Anubis einen Hunde- oder Schakalkopf, Horus, eine der wichtigsten Gottheiten überhaupt, einen Falkenkopf und Sobek einen Krokodilkopf.

32 Tierfriedhöfe habe man in Ägypten entdeckt, sagt Salima Ikram, sie vermutet 100 weitere. Die großen Grabstätten liegen im Umfeld der Kultzentren, meist am Rand des Niltals, aber auch in Oasen. Sie haben erstaunliche Dimensionen.

In Sakkara, einer der berühmtesten Grabstätten 20 Kilometer südlich von Kairo gelegen, liegen mindestens 1,2 Millionen Hunde. In Tuna el-Gebel in Mittelägypten am Westufer des Nils fanden sich zahllose Ibis-Mumien in unterirdischen Grabkammern nahe dem Wüstenrand, in Abydos weiter den Fluss hinauf Richtung Mündung ebenfalls Hunde-Mumien, in Kom Ombo in Oberägypten zahlreiche Krokodil-Mumien, die längsten maßen mehr als fünf Meter.

Im Land liegt ein gigantischer Mumien-Zoo

Über das Land verteilt findet sich ein gigantischer Mumien-Zoo, mit Pavianen, Falken und anderen Vögeln, Käfern, Fischen, Schlangen, Stieren, am häufigsten aber mit Katzen und Hunden. Oft betraten die Forscher an den heiligen Orten Räume, in denen vom Boden bis zur Decke Mumien gestapelt waren, alle von der gleichen Tierart.

Jede Region hatte ihre eigene Gottheit, der jeweils ein bestimmtes Tier geopfert wurde", sagt der Schweizer Anatom und Mumienforscher Frank Rühli von der Universität Zürich, der auch berühmte menschliche Mumien wie die von Tutanchamun untersucht hat. Der Fruchtbarkeitsgott Zobek wurde in Kom Ombo verehrt, die Katzengöttin Bastet in Bubastis, der ibisköpfige Thot in Tuna el-Gebel. Die Ägypter bezogen Tiere in ihre religiösen Handlungen mit ein, dies erklärt ihre extreme lokale Häufung.

Salima Ikram arbeitet in Sakkara, dem größten Tierfriedhof des Landes. Fast 3500 Jahre lang war der Ort zentrale Grabstätte, vor allem für Hunde, die dem Totengott Anubis geopfert wurden. Anfangs gab es Schätzungen von bis zu acht Millionen mumifizierten Hunden und Schakalen in Sakkara, so genau weiß das keiner. Die Forscher haben es bis heute nicht geschafft, das gesamte unterirdische Hallensystem mit den Hundemumien zu durchdringen.

Die ältesten Tiermumien stammen aus dem Alten Reich, sie sind 4500 Jahre alt. Der Tierkult nahm mit der Zeit zu und mit ihm der Bedarf an Opfertieren, die allermeisten Mumien entstanden in der Spätzeit des Alten Ägypten im 7. bis 4. Jahrhundert vor Christus bis in die griechisch-römische Zeit. Damals führte der Tierkult zu regelrechten Massenveranstaltungen. Hunderttausende Pilger reisten in die Kultzentren des Landes.

Tausende Katzenpriester feierten, Bier und Wein flossen in Strömen

Es gab prächtige, bisweilen ausschweifende Feste, bei denen auch reichlich Bier und Wein flossen. In Bubastis zelebrierten mehrere tausend Katzenpriester die Feiern, bis zu 700 000 Menschen nahmen am dortigen Neujahrsfest zu Ehren von Bastis teil. Der griechische Dichter Herodot beschrieb sowohl die riesigen Katzenfriedhöfe der Stadt wie auch die üppigen Festgelage im fünften Jahrhundert vor Christus.

Dass solche Menschenmassen zusammenkamen, kann man sich angesichts heutiger Großveranstaltungen vielleicht noch vorstellen. Wie aber kamen all die Menschen an ihre Opfertiere? Abgesehen davon war es eine Kunst, die Tiere fachgerecht zu mumifizieren. Die Forscher vermuten, dass es angesichts der gewaltigen Zahl an Tiermumien eine regelrechte Mumien-Industrie gegeben haben könnte. Zumindest waren den großen Tempeln im ganzen Land zahlreiche, streng durchorganisierte Zuchtbetriebe angegliedert - vielleicht auch, um ausreichenden Nachschub an Opfer- und Ritualtieren wie auch an Tiermumien zu sichern.

Es muss professionelle Hundezüchter gegeben haben

Salima Ikram erzählt, dass es wohl auch rund um die Grabstätte in Sakkara professionelle Hundezüchter gegeben haben muss. "Priester unterschiedlicher Rangordnung kümmerten sich um Tiere, zogen sie groß und mumifizierten sie später auch", erzählt Salima Ikram.

In Tuna el-Gebel gab es an einem heute ausgetrockneten See verschiedene Zuchtplätze für die heiligen Ibisse, in Kom Ombo fanden die Archäologen nahe den Tempeln Teiche für die Krokodile. Überreste entsprechender Mumifizierungswerkstätten nahe den heiligen Tempeln habe man bislang noch nicht gefunden, sagt Salima Ikram. "Aber wir suchen danach."

Unter den Mumien sind auffallend viele Jungtiere, vielleicht auch weil sie in den Zuchtbetrieben starben. Viele Tiere wurden wohl gezielt getötet, um sie zu mumifizieren, das zeigen Genickbrüche.

Offenbar konnten Pilger die Mumien als Opfergaben auch direkt in den heiligen Anlagen kaufen, so wie man heute Kerzen in Kirchen ansteckt. Wie teuer die Tiere waren, ist in schriftlichen Quellen nicht dokumentiert. Doch gab es offenbar Angebote in verschiedenen Qualitätsklassen, wie die unterschiedliche Art der Mumien belegt.

Vom aufwändig einbalsamierten Tier bis zu einer Art Mumien-Imitat, einem mit Lumpen umwickelten Packen Holzwolle, wurde alles geopfert. "Man muss mit dem Begriff Mumie vorsichtig sein", sagt Frank Rühli. "Es gibt auch kleine Tiere, die einfach nur getrocknet und so geopfert wurden." Er habe in Zürich mal einen entsprechenden kleinen Fisch untersucht.

Fachgerechte Mumifizierung dauert auch bei Tieren wochenlang

Kein Wunder, eine fachgerechte Mumifizierung kann mehrere Wochen dauern. Vor allem bei größeren Tieren waren aufwändige Konservierungsmaßnahmen nötig. Den heiligen Apis-Stieren von Mempis entnahmen die Priester nach dem Tod so wie Menschen die inneren Organe, ehe sie mit einer großen Zeremonie in Sakkara bestattet wurden.

Die Ägyptologin Salima Ikram hat inzwischen herausgefunden, dass es wohl vier Arten von Tiermumien gab: Haustiere, heilige Tempeltiere, Votivgaben und Speiseopfer. Tempeltiere wie der Apis-Stier verkörperten eine Gottheit, sie lebten bis zu ihrem Tode im Tempel. Wer ihnen zu nahe kam, riskierte sein eigenes Leben.

Doch auch Haus- und Schoßtiere konnten Berühmtheit erlangen. Es gibt Bilder von Pharaonen mit ihren Lieblingstieren, etwa von Ramses II. mit seinen Löwen und Antef II. und seinen Hunden. Welche Rolle die Tiere hatten, ist nicht immer klar, aber sie wurden in Gräbern nahe bei ihren Herrchen bestattet.

Solche Beispiele reichen in der Regel nur für nette, kleine Anekdoten über Herrscher und ihre Hunde. Doch die gewaltigen Grabkammern bergen noch ganz andere Möglichkeiten, die von der Forschung lange übersehen wurden.

Das Erbgut der Tiermumien ist ein gewaltiger Datenspeicher. Mit modernsten Verfahren der Medizin und Chemie oder mit hochauflösenden Tomographen können Forscher einer Mumie fast alle Details früherer Lebensumstände entlocken: Wie ist das Tier gestorben, wie hat es sich ernährt, welche Krankheiten hatte es, die möglicherweise auch Menschen befielen? Knochen, Weichteile, Fell oder Haut und Mageninhalt bieten sich zur Analyse an.

Diese Forschung hat erst begonnen. Salima Ikram versucht derzeit, mehr über Rasse, Alter und Geschlecht der Hunde von Sakkara zu erfahren, vom kleinen Krummbeiner über den auffälligen Dalmatiner bis zum eleganten Windhund sind zahlreiche Rassen vorhanden. Die genetische Vielfalt und die Entwicklung von Hunderassen lässt sich dabei gut verfolgen. Auch epidemiologische Studien seien möglich, sagt Frank Rühli, so zum Beispiel über Parasiten-Erkrankungen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: