Alexander der Große:Vom Griechen zum Buddhisten

Die Eroberung Zentralasiens durch Alexander den Großen beeinflusste die dortige Kultur. Doch sie wirkte auch auf den Herrscher selbst zurück. Eine Ausstellung zeigt diese Wandlungen.

Burkhard Müller

Keinen anderen Menschen dürfte es in der Weltgeschichte geben (Jesus vielleicht ausgenommen), der durch die Jahrtausende die Phantasie so vieler grundverschiedener Kulturkreise entzündet hat wie Alexander der Große.

Dem Herrscherbild, dessen strahlenden Urtypus er lieferte, strebten Caesar und Augustus nach und diesen wiederum alle römischen, byzantinischen und deutschen Kaiser. In der Welt des Islam wandelte er sich zum idealen Kalifen, als Dhûl-Qarnain, der Gehörnte, findet er sich in den Geschichten aus Tausendundeiner Nacht; eine Miniatur aus Kaschmir zeigt ihn als indischen Raja.

Er ist der Gewaltmensch, der den Gordischen Knoten durchhaut, aber auch der gelassene Monarch, der den kynischen Philosophen Diogenes aufsucht, welcher in einer Tonne wohnt. Wünsch dir von mir was du willst, sagt er diesem Mann ohne Bedürfnisse, und der erwidert: Geh mir ein bisschen aus der Sonne.

Worauf wiederum Alexander bemerkt: Wahrhaftig, wäre ich nicht Alexander, ich wollte Diogenes sein - ein kleines, ironisches, generöses Geplänkel, das auf unangestrengte Weise klarmacht, wie viele im Ernst bedenkenswerte Lebensentwürfe es auf der Welt gibt, nämlich zwei, den des Philosophen und den der heldischen Majestät.

Noch mit einem anderen Philosophen hatte es Alexander im Lauf seines kurzen Lebens zu tun (er starb wie Jesus im dreiunddreißigsten Jahr): Aristoteles, der sein Erzieher wurde. Mit scharfem und nüchternem Blick sieht dessen Büste dem Besucher entgegen, der den ersten Raum der Ausstellung im Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museum betritt.

Man spürt sogleich die realistische Richtigkeit dieses Porträts, es passt zu seinen uns überlieferten Werken. Darin unterscheidet es sich sehr von den antiken Köpfen und Statuen ringsherum, die Alexander darstellen. Können sie alle dieselbe Person meinen?

Nur in zwei Dingen besteht offenbar Einigkeit: Er hält den Hals ein wenig schief, und über der Stirn befindet sich ein fontänenartig aufschießender Haarwirbel, die "Anastole", die seiner Frisur etwas löwenhaft Unbezähmbares verleiht. Ansonsten wird seine Gestalt wie die eines Gottes behandelt: mit der völligen Freiheit andächtiger Imagination.

Das Riesenreich holt Alexander ein

Alexanders Taten schillern mit der Mehrdeutigkeit des Mythos. Gerade zwanzig Jahre alt, macht er sich an ein Projekt, von dem die Griechen im allgemeinen und speziell sein Vater, König Philipp von Makedonien, lange träumten: die Perser dafür zu bestrafen, dass sie eineinhalb Jahrhunderte zuvor Griechenland überfallen und die Akropolis in Athen zerstört hatten.

Alexander schafft es, Persien, das erste Weltreich der Geschichte, mehr als hundertmal so groß wie sein heimisches Makedonien, in einem ununterbrochenen zehnjährigen Feldzug zu unterwerfen und dessen äußerste Grenzen im Osten sogar noch zu überschreiten. Im leicht zu merkenden Jahr 333 v.Chr. findet die entscheidende Schlacht bei Issos statt.

Aber er bleibt nicht derselbe dabei: Das eroberte Riesenreich holt ihn ein, er wird selbst mehr und mehr zum persischen Großkönig und verlangt, zur Empörung seiner Getreuen aus dem alten Europa, die Proskynesis, die Niederwerfung in den Staub als Form der Huldigung.

Was die Ausstellung zeigt, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Alexanderzug ins Unbekannte

So verschieden die Quellen ihn auch zeichnen, in einem stimmen sie überein: dass sein hervorstechender Charakterzug der "pothos" gewesen sei, eine schmerzlich ungestüme Sehnsucht nach dem Neuen und Großen, worin die Gier nach Entdeckung und die Lust an der Eroberung ununterscheidbar zusammenflossen. Alexander eroberte Länder, von denen man bis dahin noch nicht einmal gehört hatte.

Am Fluss Hyphasis in Nordindien meuterte die griechische Armee, die nicht mehr weiter wollte. Vergeblich suchte Alexander sie umzustimmen, nur noch ein kleines Stück müssten sie durchhalten, dann würden sie mit eigenen Augen das Ende der Welt erblicken - es half nichts, sie zwangen ihn zur Umkehr.

Eine Computer-Animation zeichnet auf der Leinwand Alexanders Weg durch Wüsten und Gebirge nach, 25.000 Kilometer; eine weitere malt seinen triumphalen Einzug in Babylon aus, der damals größten Stadt der Welt.

Man folgt diesen Darbietungen mit einer Faszination, in die sich wie bei verpönten Genüssen leichtes Missgefühl mischt: Es wirkt so viel stärker als die Exponate in ihren Vitrinen! Die technisch imaginierte Totalität droht die originalen Spuren eines vergangenen Lebens zu überstrahlen, die, wie alle solchen Spuren, eben gering und fragmentarisch sind.

Authentisch oder sichtbar

Man muss sich schon sehr anstrengen, um die geprägten Bilder auf den zahlreich vorhandenen Münzen zu erkennen, die eine zentrale Rolle unter den Quellen spielen. Um dem Besucher zu helfen, sind direkt neben den Originalen vergrößerte Reproduktionen angebracht.

Er muss sich also in gewissem Grad zwischen dem Authentischen und dem Sichtbaren entscheiden, eine ungute Wahl, der er nur entgehen kann, indem er den Blick springen lässt: Man vergewissert sich erst der Präsenz des Objekts und wechselt dann zu dessen deutlicherer Wiedergabe, oder umgekehrt.

Man betrachtet einen Keilschrifttext auf polsterartiger, handygroßer Tontafel, einen Vertrag; nicht dass man nichts versteht, ist erstaunlich, damit rechnet man; sondern dass in diesem engmaschigen Muster, das an einen Pullover aus grober Wolle erinnert, überhaupt je ein Menschenauge etwas hat verstehen können.

Die Ausstellung führt den Titel "Alexander der Große und die Öffnung der Welt - Asiens Kulturen im Wandel", und sie hat es sich zur Aufgabe gesetzt, besonders jenen riesigen östlichen Teil der von Alexander durchwanderten Regionen zugänglich zu machen. Sie wird dabei selbst zu einer Art Alexanderzug ins Unbekannte.

Nachdem man viele im Prinzip vertraute Gegenstände gesehen hat, von der klassischen griechischen Herme bis zu den glasierten Löwen- und Drachenziegeln des babylonischen Ischtar-Tors, betritt man auf einmal den zentralasiatisch-indischen Raum.

Züchtigung mit dem Pantoffel

Neue Grabungen haben die bislang wenig erforschte Geschichte der historischen Landschaft Baktrien (in Nord-Afghanistan und Tadschikistan) erschlossen. Dort hielt sich noch jahrhundertelang, weit abgeschnitten von den hellenistischen Kerngebieten, eine lebens- und anregungskräftige Mischkultur, die bis weit nach Indien wirkte.

Sie nahm Welle um Welle angreifender Reitervölker auf, weihte sie in die Münzprägung ein, lehrte sie ihre Sprachen in griechischen Lettern schreiben, trat dem Buddhismus nahe und verlieh Buddha, der bis dahin körperlos gewesen war, einen Körper nach Vorbildern der hellenischen Bildhauerei.

In Tadschikistan und Usbekistan behält man die alten Techniken und Materialien bei, lernt aber die Geheimnisse der realistischen Kunst aus dem Westen - das Ergebnis sind etwas ramponierte, aber ungemein lebendige Porträtköpfe aus Stuck und ungebranntem Ton. Ein Speckstein-Teller aus Gandhara in Nordindien stellt Aphrodite dar, wie sie den frechen Amor-Knaben an den Flügeln festhält und mit ihrem Pantoffel züchtigt.

Als das zauberhafteste einzelne Stück der Ausstellung aber darf man ein Elfenbeintäfelchen bezeichnen, nicht mehr als 20 Zentimeter hoch, das eine junge Frau im ungewöhnlichen Dreiviertelprofil zeigt. Ihr Rock wirbelt um sie herum, während ihre übereinandergeschlagenen nackten Ballerinenfüße Zehen haben, als ob sie damit greifen könnte; trotz des flachen Reliefs stellt sich eine unwahrscheinliche plastische Wirkung ein.

Das Täfelchen stammt aus Begram in Afghanistan, jenem Land, wo der Westen derzeit daran verzweifelt, wie er die Frauen aus ihrer Verschleierung befreien soll. Hier sieht man: Er konnte es einmal, vor zweitausend Jahren.

Die Ausstellung "Alexander der Große und die Öffnung der Welt" dauert bis zum 21. Februar 2010. Sie findet in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen statt und ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet.

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