Vulkanausbruch vor El Hierro:Wassergeburt

Vulkanologen beobachten begeistert die Entstehung eines Unterwasservulkans vor der Kanareninsel El Hierro "hautnah". Biologen allerdings sprechen von einer ökologischen Katastrophe für die Artenvielfalt.

Velten Arnold

"Da! Seht nur! Jetzt kommt er raus!" Ein Ruck geht durch die Hobby-Vulkanologen, die seit Stunden von einem Hügel auf einen weißschäumenden Strudel im Meer starren. In einer gewaltigen Fontäne steigt ein schwarzes brodelndes Etwas aus dem Wasser. Das Schauspiel dauert acht Sekunden, dann bricht das Ungetüm in sich zusammen.

UNDERWATER VOLCANIC ERUPCTION IN EL HIERRO ISLAND

Die Spuren der Unterwassereruption sehen aus wie ein Algenteppich auf dem Meer. Doch die Schlieren im Wasser sind gefährlich: Weil der Vulkan stark schwefelhaltiges Material ausstößt, sterben vor der Kanareninsel El Hierro die Fische.

(Foto: dpa)

Schauplatz des Naturereignisses ist das Meer vor La Restinga, einem Fischerdorf am südlichen Zipfel der Kanareninsel El Hierro. Seit dem 10. Oktober entsteht hier am Meeresboden ein neuer Vulkan, Wissenschaftler sind elektrisiert. "Für uns ist das wie ein Sechser im Lotto", sagt David Calvo, Vulkanologe am Instituto Volcanológico de Canarias.

Er sitzt in seinem Labor zwischen Reagenzgläsern mit Luft- und Wasserproben, die seine Mitarbeiter täglich von El Hierro schicken, und man sieht ihm die Begeisterung an. "Wir sind bei der Geburt eines Unterwasservulkans dabei. Momentan gibt es weltweit Dutzende Unterwasserausbrüche, aber wir kriegen nichts davon mit. Hier sind wir hautnah dabei."

So sieht das auch Maria José Blanco, Leiterin der kanarischen Abteilung des Instituto Geográfico Nacional. Die Physikerin, die normalerweise auf Teneriffa lebt, hat ihr Quartier seit Wochen im Kulturzentrum von La Restinga aufgeschlagen. Mit ihrem achtköpfigen Team überwacht sie vor Monitoren rund um die Uhr jede Bewegung des aufsteigenden Magmas und jedes Beben. "Wir haben es mit dem Ausbruch eines Spaltenvulkans zu tun", sagt sie. "Das bedeutet, statt eines röhrenförmigen Schlots öffnet sich eine lange Spalte, aus der Magma austritt."

Spaltenvulkane sind typisch für die kanarischen Inseln, so der Vulkanologe David Calvo. "Man muss sich das vorstellen wie einen Reißverschluss. Das Schwierigste für das Magma ist das Aufdrücken der ersten Zähne, dann geht der Verschluss langsam weiter auf." Die Eruptionsspalten können sehr lang sein wie beim Ausbruch des Volcano del Clérigo Duarte auf Lanzarote im Jahr 1825, als Lava auf einer Länge von 14 Kilometern austrat. "Wie lang die Spalte bei El Hierro ist, wissen wir nicht", sagt Calvo.

Dass der Ausbruch ausgerechnet vor der erst gut eine Million Jahre alten und damit jüngsten Kanareninsel El Hierro stattfindet, überrascht ihn nicht. "Unter der Insel haben wir es mit einer Anomalie zu tun, einem Manteldiapir: Das Magma steigt aus den Tiefen des Erdmantels auf und bildet eine Magmakammer, die bis in die Ozeanische Erdkruste reicht und sich nur zehn bis 15 Kilometer unter dem Meeresgrund befindet."

Treibstoff aus der Magmakammer

Erste Untersuchungen des aus dem Meer gefischten Materials ergaben, dass es sich um sehr frisches Magma handelt, das direkt vom Erdmantel aufsteigt, also der zweitobersten Schicht. Das lässt darauf schließen, dass die Magmakammer mit Nachschub versorgt wird und dem Eruptionsprozess sozusagen neuen Treibstoff liefert.

Underwater volcanic eruption off La Restinga's coast, El Hierro i

Von der der Küste vor dem Fischerdorf La Restinga aus lassen sich Ausbrüche des neuen Unterwasservulkans beobachten.

(Foto: dpa)

Was sich am Meeresgrund in 300 Metern Tiefe genau abspielt, wird vom Forschungsschiff Ramón Margalef des spanischen Ozeanografischen Instituts aus untersucht. Die letzte Vermessung des Unterwasservulkans wurde mit Echoloten zwischen dem 24. und 28. Oktober vorgenommen, und bis dahin, so Juan Acosta, Geologe und Leiter der Expedition, hatte der neue Vulkan bereits 24 Millionen Kubikmeter Lava ausgespuckt.

Zum Zeitpunkt der Messung hatte der Vulkan ein Fundament von 600 Metern Durchmesser, einen 120 Meter breiten Krater und war 100 Meter in die Höhe gewachsen. "Seitdem ist er aller Voraussicht nach weitergewachsen", sagt der Geologe. "Doch bis zur Wasseroberfläche fehlen noch 200 Meter." Allerdings wächst ein Vulkan die ersten 100 Meter schneller als die nächsten, weil das Fundament sich enorm verbreitern muss.

Noch bricht der Vulkan in großer Tiefe aus, doch die Folgen sind auch über dem Meeresspiegel spürbar. Die Geologen des kanarischen Vulkanologie-Instituts, die täglich mit GPS-Geräten über die Insel schwärmen, haben vertikale und horizontale Verformungen des Bodens von bis zu 4,5 Zentimetern festgestellt. Der sichtbarste Ausdruck der Eruption ist jedoch der mehrere Kilometer breite bräunlichgrüne Teppich auf dem Meer.

Für das Leben im Meer hat das Schauspiel fatale Folgen. "Der Teppich ist stark schwefelhaltig und hat ein gewaltiges Fischsterben verursacht", sagt Alberto Brito, Meeresbiologe an der Universität La Laguna auf Teneriffa. "Nach unseren Untersuchungen sind die meisten Fische an Sauerstoffmangel zugrunde gegangen."

"Wir erleben eine ökologische Katastrophe"

UNDERWATER VOLCANIC ERUPCTION IN EL HIERRO ISLAND

Das Meer vor La Restinga, einem Fischerdorf am südlichen Zipfel der Kanareninsel El Hierro.

(Foto: dpa)

Der Forscher versteht die Euphorie der Geologen und Vulkanologen angesichts des Ausbruchs, teilt sie aber nicht. "Wir erleben eine ökologische Katastrophe für die Artenvielfalt, was umso schlimmer ist, als das Mar de las Calmas 1996 zum Meeresreservat erklärt wurde, in dem ein vorbildliches Modell von Nachhaltigkeit verwirklicht wurde."

Damit hat der unterseeische Vulkanausbruch auch Folgen für die Menschen. "Die 600 Einwohner von La Restinga haben vom und mit dem Meer gelebt", sagt Fernando Guitérrez, Vorsitzender der örtlichen Fischervereinigung. Betroffen sind 40 Fischerfamilien, neun Tauchschulen, Restaurantbesitzer und Apartmentvermieter, die von einem auf den anderen Tag vor dem Nichts stehen.

Wie lange es dauern wird, bis sich das Meeresreservat erholt? "Der Braune Zackenbarsch zum Beispiel verbringt sein ganzes Leben auf der Fläche von der Größe eines Fußballplatzes und wächst ein Kilogramm im Jahr. Einen zehn Kilogramm schweren Braunen Zackenbarsch kann es also frühestens in zehn Jahren wieder geben", sagt Alberto Brito.

Alles, so der Meeresbiologe, hängt davon ab, wie lange die Eruption noch andauert. Und vor allem auch davon, ob es im Norden der Insel zu einem weiteren Ausbruch kommt. "Noch dient der Norden als Reserve, von dem aus der Süden wieder mit Leben besiedelt werden könnte."

Nach Norden, auf die Küste vor La Frontera, richtet sich auch das Augenmerk der Forscher. Jeden Tag bebt dort die Erde, das bisher stärkste Beben fand in der Nacht zum Samstag statt und erreichte eine Stärke von 4,6 auf der Richterskala. "Die Beben rühren daher, dass das Magma wie ein Schlagbohrer gegen die Erdkruste pocht und eine Öffnung sucht", sagt David Calvo. "Das kann ein Anzeichen für einen bevorstehenden Ausbruch sein."

Auch Maria José Blanco hält einen Ausbruch im Norden für durchaus möglich. "Der Meeresgrund fällt dort rasch auf bis zu 1500 Meter ab, weshalb die Auswirkungen geringer ausfallen dürften als im Süden."

Die Wissenschaftler wissen, dass Vulkanausbrüche für die Kanaren normal sind. "Alle Inseln hier sind so entstanden", sagt Blanco. Und David Calvo stellt klar: "Der Prozess begann vor 20 Millionen Jahren, in den nächsten Millionen Jahren werden auf diese Weise weitere Inseln entstehen."

Ob der Vulkan vor La Restinga sich aus dem Meer erhebt, wie es sich viele Bewohner von El Hierro wünschen, um eine neue Touristenattraktion zu gewinnen, und wie lange der Ausbruch noch dauert, wagt niemand vorherzusagen. Der längste Ausbruch auf den kanarischen Inseln dauerte sechs Jahre und schuf zwischen 1730 und 1736 einen großen Teil von Lanzarote.

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