Usain Bolt und die Physik:Stark wie dreieinhalb Pferde

Usain Bolt

Der Jamaikaner Usain Bolt (führend) beim 200-Meter-Lauf im Stade de France in Saint-Denis bei Paris am 6 Juli 2013

(Foto: dpa)

Die Leistungen des Sprinters Usain Bolt faszinieren nicht nur Sportfans. Jetzt haben Physiker den Weltrekordlauf von 2009 analysiert - und Bolts größten Feind identifiziert.

Von Patrick Illinger

Nach einer Sekunde ist der Oberkörper noch geduckt. Auch nach zwei Sekunden streckt er den Kopf noch nach vorne. Erst drei Sekunden nach dem Start richtet Usain Bolt seinen Körper vollständig auf und lässt seine Beine wirbeln wie Schaufelräder.

Nach 9,58 Sekunden läuft er im Olympiastadion von Berlin über die Zielline und streckt die Arme seitlich aus wie ein Düsenjäger im Überschallflug. Neuer Weltrekord. Stoff für Legenden. Dieser Mann aus Jamaika hat die einst legendären 10,0 Sekunden von Armin Hary aus dem Jahr 1960 auf eine Weise unterboten, wie es Sportwissenschaftler und Biometriker kaum für möglich hielten.

Viel ist seit Bolts Rekordlauf im Jahr 2009 über die Physis dieses Athleten gesagt worden, über die wundersamen Hebelkräfte seiner Beine mit den langen Unterschenkeln. Und anders als viele seiner Sprinter-Kollegen wurde Bolt bislang nicht des Dopings überführt.

Mit einem ganz anderen, weder biochemischen noch biometrischen Blickwinkel haben nun Physiker den Rekordlauf von Berlin untersucht und allerlei Parameter gemessen, die sonst eher in der Auto- oder Luftfahrtindustrie relevant sind (European Journal of Physics, Bd. 34, S. 1227, 2013).

Hilfreich für die Physiker war, dass jede Zehntelsekunde von Bolts Lauf mit Lasermessgeräten aufgezeichnet wurde. So konnten die Forscher zum Beispiel seine Endgeschwindigkeit von 12,2 Meter pro Sekunde (43,9 km/h) ermitteln und ausrechnen, dass Bolts Körper eine durchschnittliche Kraft von 815,8 Newton aufwendete. Das entspricht dem Heben eines 83,2 Kilogramm schweren Gewichts. Seine Maximalkraft von fast 1000 Newton wendete er beim Start auf.

Damit katapultierte sich Bolt mit einer Beschleunigung aus den Startblöcken, die fast so groß ist, als würde er senkrecht nach unten fallen. Kurz vor dem Ziel sank die Kraft auf unter 700 Newton. Die Spitzenleistung während des Laufs betrug 2620 Watt (3,51 PS) und wurde 0,89 Sekunden nach dem Start abgerufen, als Bolt gerade mal die Hälfte seiner Endgeschwindigkeit erreicht hatte.

Usain Bolt

Sieg beim 200-Meterlauf der IAAF Diamond League in  Stade de France in Saint-Denis, bei Paris am 6. Juli 2013

(Foto: dpa)

Biometrische Vorteile, physikalische Nachteile

Besonders interessant an der physikalischen Analyse des Rekordlaufs ist jedoch, dass sein Körper biometrisch gesehen Vorteile haben mag, aber auch einen klaren physikalischen Nachteil aufweist: Bolt erzeugt, vor allem aufgrund seiner Größe von 1,95 Meter, einen beträchtlichen Luftwiderstand.

81,6 Kilojoule Energie verbrauchte der Jamaikaner während seines Laufs. Damit könnte man eine 60-Watt-Glühbirne 22 Minuten lang brennen lassen. Von dieser Energie flossen aber nur acht Prozent in die Körperbewegung. Der Rest, satte 92,2 Prozent der Gesamtenergie, wurde gebraucht, um den Luftwiderstand zu überwinden. Während moderne Autos einen sogenannten Luftwiderstandsbeiwert von weniger als 0,3 aufweisen, liegt der sogenannte cw-Wert von Bolt etwa vier Mal so hoch.

All das zeige die außergewöhnlichen Fähigkeiten Bolts, betonen die Wissenschaftler: "Er war in der Lage, mehrere Rekorde zu brechen, obwohl er weniger aerodynamisch ist, als es Menschen sein können", sagen die Physiker von der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko.

War am Ende der leichte Rückenwind entscheidend, der Bolt in Berlin mit 0,9 Meter pro Sekunde unterstützte? Nein, sagen die Forscher, das sei zwar ein Vorteil gewesen gegenüber seinem vorangegangenen Weltrekordlauf bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking, wo Bolt bei Windstille 9,69 Sekunden lief. Zieht man den Einfluss des Windes in Berlin ab, wäre Bolt 9,68 Sekunden gelaufen, also immer noch Weltrekord. Mit einem maximal erlaubten Rückenwind von zwei Meter pro Sekunde wären es sogar 9,46 Sekunden geworden.

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